Werner knallhart
Tempolimit: Freie Fahrt nur für autonome E-Autos? Quelle: dpa

Freie Fahrt nur für autonome E-Autos?

Tempolimits retten Leben und schützen vor Erderwärmung. Das Gegenargument: Das Autoland Deutschland braucht die freie Fahrt als Image-Boost. Wie wäre es mit freier Fahrt nur mit sicheren und umweltfreundlichen Autos?

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Wir nennen Länder, die ihren Aufgaben nicht gewachsen sind, ja gerne Bananenrepubliken. Weil Länder in denen Bananen wachsen, ja allesamt unterentwickelt sind, wie wir noch aus Kolonialzeiten wissen. Und die Banane ist so schön nah am Affen, das erniedrigt noch zusätzlich.

Gibt es in anderen Ländern eigentlich die herablassende Bezeichnung „Autorepublik“? Für Länder wie Deutschland?

Nee, ich komme drauf, weil:

- In Frankreich sind 2018 so wenig Menschen im Straßenverkehr gestorben wie noch nie. Frankreich hat vor einiger Zeit Tempo 80 auf Landstraßen eingeführt. Befürworter des Limits sehen einen Zusammenhang. Die Gegner nicht.

- In Kanada hatte eine Provinz 2014 das Tempolimit auf der Autobahn wieder angehoben. Von 110 auf 120. Als daraufhin die Zahl der tödlichen Unfälle um 118 Prozent hochschnellte, machte man eilig alles wieder rückgängig.

- Auf der A2 in Ostwestfalen-Lippe Richtung Niedersachsen gilt seit vier Jahren Tempo 120. Und obwohl zeitweise die Zahl der Unfälle gestiegen ist, ist die Zahl der Toten im gleichen Zeitraum gesunken. Die Polizei führt als einen Grund dafür das Tempolimit an.

Herrje, müssen wir wirklich darüber diskutieren, ob langsameres Fahren sicherer ist? Bis zu achtzig Menschenleben könnten im Schnitt in Deutschland pro Jahr gerettet werden. Ein Fünftel zum Beispiel der 409 Menschen, die 2017 auf den deutschen Autobahnen umgekommen sind.

Achtzig Menschen würden der Statistik nach überleben, wenn auf der Autobahn flächendeckend Tempo 130 gölte. Ich betone gölte: Denn die Bundesregierung setzt die Prioritäten anders. Rasen macht vielen Leuten Spaß. Und wenn Fahren Spaß macht, dann bedeutet es genau das, was die Autoindustrie braucht, um zu verkaufen. Irre Geschwindigkeiten als Kaufanreiz für Premiumfahrzeuge. Dafür achtzig Tote mehr. Was hier los wäre, wenn wir jährlich achtzig Terrortote zu beklagen hätten. Und das absolut zu echt.

von Thomas Stölzel, Martin Seiwert, Stefan Hajek

Das Bundesverkehrsministerium argumentiert denn zurzeit auch nur mit dem Klima- und Umweltschutz, den man nicht überziehen dürfe, denn schließlich haben die Autofahrer mit den Fahrverboten und ihren betrügerisch untergejubelten Schrottdieseln schon genug zu ertragen.

Frau Annegret Kramp-Karrenbauer indes will die Tempolimit-Diskussion gar nicht hören. Phantomdiskussion. Sie sagt, ein flächendeckendes Tempolimit würde kaum etwas ändern, denn ein großer Teil der Straßen habe schon ein Tempolimit (es gibt auf 70 Prozent der Bundesautobahnen kein Tempolimit), es ließe sich nur wenig CO2 einsparen (ein Tempolimit von 130 könnte jährlich bis zu 2 Millionen Tonnen CO2 einsparen – so viel wie ganz Island).

Aber: Was ist mit den achtzig Toten? Darüber redet zurzeit keiner. Achtzig Menschenleben retten zu wollen – das ist doch wohl auch aus Sicht des Bundesverkehrsministers nicht „gegen jeden Menschenverstand“.

Aber gut, wir leben in einem Land, in dem man mit der Rettung des Klimas und von Dutzenden Menschenleben zurzeit nicht weiterkommt, wenn es um Autos geht. Bananenrepubliken dieser Erde, nennt uns ruhig „Autorepublik“. Wir haben es verdient.

Dieses unangenehme Innovativ-sein-müssen

Wie aber könnte selbst in Deutschland ein Kompromiss aussehen?

Gehen wir mal davon aus, dass die Tempolimit-Diskussion zugunsten der Bevölkerung nur vorgeschoben ist. Denn ginge es allein um uns Bürger: Eine repräsentative Umfrage der ARD zeigt, dass 51 Prozent der Deutschen für ein flächendeckendes Tempolimit von 130 Stundenkilometern sind. Also los!

In Wirklichkeit geht es doch eher darum, der Autoindustrie entgegenzukommen, die sich selber in den Sumpf geritten hat, aber nun den ganzen Grenzwerten die Schuld dafür gibt, dass sie so unangenehm innovativ sein muss. Sind wir hier in Amerika oder was?

Wenn wir Deutschen unserer Autoindustrie zuliebe weiter das Image vom Land der freien Fahrt pflegen, dann nicht ohne Gegenleistung. Freie Fahrt nur für superinnovative Autos, die dabei Klima und Menschenleben retten.

Autos mit Kameras, die im Blick haben, wie voll und quirlig die Fahrbahn ist und welches Tempo deshalb vertretbar ist, ohne dass die Fahrt zum Himmelfahrtskommando wird. Die beim Überholen helfen oder es gleich selber erledigen, ohne auf den toten Winkel reinzufallen, die sofort erkennen, wenn ein anderes Auto mit einer deutlich geringeren Geschwindigkeit auf die linke Spur wechselt und dann ohne die gefährliche Schrecksekunde sofort in die Eisen gehen. Autos, die jede Art von nötigendem Drängeln unterbinden würden. Solche Autos hätten dann freie Fahrt. Weil sie ihre Freiheit zum Rasen vernünftig dosiert nutzen würden.

Autos, die dann aber auch ohne Emissionen unterwegs sind, weil sie regenerative Energien nutzen. Sei es Ökostrom aus der Batterie oder unter Einsatz von Ökostrom erzeugter Wasserstoff. Diese Autos können dann so viel Energie raushauen, wie sie wollen. Ganz ohne CO2 und Stickoxide.

Ja, solche Autos sind teurer. Rasen wäre dann was für Besserverdiener. Aber auch schon heute gilt: Wer sich kein verkehrssicheres Fahrzeug leisten kann, muss laufen. Stichwort TÜV. Die neue Freiheit zum Rasen wäre dann eben nur auf einem neuen Level von Verkehrssicherheit möglich.

Unterschiedliche Tempolimits je nach Fahrzeugtyp? Chaos? Nein. Kein Problem. Das haben wir schon heute mit PKW, Lastwagen, Autos mit Anhängern und Bussen. Es wäre eine Kategorie mehr. Das geht.

Autohersteller wären so gezwungen, ihren Autos die freie Fahrt einzubauen. Und international hieße es: In Deutschland dürfen die Leute so schnell fahren, wie sie wollen. Mit den modernsten Autos der Welt. Mit deutschen Autos. Ich wüsste jetzt nicht, was es da von Seiten der Autobosse zu jammern gäbe. Das Ganze dient ja schließlich der Rettung von uns Kunden.

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