Werner knallhart
Die Design-Ikone Citroën hat es schon Mitte des letzten Jahrhunderts vorgemacht: Sie hatte eine leisere Zweithupe für das Warnen von Fußgängern. Quelle: imago images

Leisere Zweit-Hupen helfen gegen Herzinfarkte

Autohupen sind gleich doppelt gefährlich: Meist werden sie missbraucht und außerdem sind sie so laut, dass Fußgänger, Radfahrer und Rollerfahrer vor Schreck fast umfallen. Dass es leiser geht, hat längst Citroën gezeigt.

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Sie kennen das sicher noch aus der Fahrschule: Gehupt werden darf nur als Warnung vor einer Gefährdung – oder beim Überholen außerorts. Paragraph 16 StVO. Allerdings gibt es offenbar ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis nach dem Wildhupen an Recht und Ordnung vorbei. Ich nehme mich davon gar nicht aus. Fühle ich mich von jemand anderem auf der Straße genötigt, in die Eisen zu steigen, plötzlich auszuweichen oder eine Rotphase an der Ampel länger zu warten, weil der Vordermann gerade genau so schnell in die Gänge kommt, dass er selber noch bei grün durchkommt, dann bleibt mir Gebeuteltem als Ausdruck meiner Kränkung doch gar nichts anderes als die Hupe.

Doch der Gesetzgeber hat uns mit der Hupe ein Werkzeug an die Hand gegeben, das eher zu Nötigungen und Körperverletzungen taugt, als zur gepflegten Kommunikation. Denn die Hupe ist in Deutschland wahnsinnig laut. 105 Dezibel darf sie im Abstand von sieben Metern einem offiziell in die Ohren hämmern. Zum Vergleich: Eine Kettensäge kommt in einem Meter Entfernung auf rund 110 Dezibel und ein Lautsprecher in einer Disko in einem Meter Entfernung auf rund 100 Dezibel. Da kann man sich vorstellen, wie das reinhaut, wenn man da als Radfahrer oder Fußgänger unvermittelt von 0 auf 105 Dezibel angehupt wird. Wer aus unmittelbarer Nähe so angedröhnt wird, stirbt fast.

Mir ist das jüngst auf meinem E-Motorroller passiert. Da hat es einer Autofahrerin nicht gepasst, dass ich vor ihr an der roten Ampel in Schrittgeschwindigkeit auf ihre Spur gewechselt bin (die Seitenstraße links war mit einem Müllfahrzeug versperrt und ich wollte deshalb doch gerade aus). Aus Frust, nicht mehr die Erste an der roten Ampel zu sein, hupte sie mich aus einem knappen Meter (nicht sieben Metern) Entfernung hinterrücks an. Trotz Sturzhelm mit Schaumstoff um meinen Ohren musste ich vor Schreck so zucken, dass ich beim Ausrollen ins Schwanken kam. Was mir in dieser adrenalingesättigten Sekunde an Schimpfwörtern in den Kopf schoss – dafür hätte eine einzige Rotphase nicht ausgereicht.

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von Marcus Werner

Dasselbe mit einem Taxifahrer hinter mir, der mich während der Fahrt aus heiterem Himmel anhupte. An der Ampel ließ er dann die Scheibe runter: „Fahr schneller“. Irre! Ich musste erstmal durchatmen. Unsere Hupen sind für die Alltagsmeckerei aus unmittelbarer Nähe viel zu laut. Dabei regelt §55 StVZO, dass die Schallzeichen technisch so beschaffen sein müssen, dass sie die Verkehrsteilnehmer nicht erschrecken. In der Praxis wird diese Vorschrift standardmäßig ganz klar gerissen!

Wie aber können wir unser unbestreitbares animalisches Bedürfnis, Dampf abzulassen, indem verspätete Pseudowarnungen abgeben, paaren mit dem vernünftigen Interesse der schwächeren Verkehrsteilnehmer, nicht mit Herzinfarkt tot vom Zweirad zu plumpsen?

Die Lösung: die leise Zweithupe. Das dezente „Menno!“ statt des brutalen „EY!“

Dass dies nicht so absurd ist, hat Citroën schon einmal vorgemacht. Die Autodesign-Ikone DS hatte schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zwei Hupen. Drückte man die Hupentaste nur leicht, hupte es leise aus der einen. Drückte man kräftiger, hupte die zweite lauter. Die erste war ausgelegt zum Warnen von Fußgängern. Das wäre doch auch heute perfekt, um dezent sein Missfallen kund zu tun, ohne die anderen vor Schreck fast umzubringen (selbst Schrecksymptome wie Herzrasen, Beklemmungsgefühle oder Schweißausbrüche können eine strafrechtlich relevante Körperverletzung begründen - eine Nötigung sowieso).

Klar, man könnte stattdessen das Bußgeld für ungerechtfertigtes Hupen auch von den lachhaften zehn auf saftige 1000 Euro anheben. Aber die neue „verhuschte Hupe“ würde außerdem ja auch zum Grüßen taugen, zum Danken, um den Beifahrer Zurückzitieren, wenn der gerade beim Bäcker reinspringt, um ihm noch schnell mit auf den Weg zu geben: „Doch lieber ein Croissant, Schatz!“

Warum gibt es das nicht? Die leise Hupe in der Lautstärke eines Föhns: rund 70 Dezibel.

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Mit den Hupen heutiger Modelle kann man selbst mit Mühe kaum dezent hupen. Will man nur ganz, ganz kurz auf die Hupe drücken, und tippt nur zackig drauf, kommt meist nix. Drückt man stärker, sind es eben gleich diese 105 Dezibel auf sieben Meter.

Drückt man dann aber nach dem Aussteigen auf den Zündschlüssel, ertönt bei vielen Autos ein kurzes Info-Hupen nach der Zentralverriegelung, das selbst aus nächster Nähe nicht stört. Warum gibt es diesen Ton nicht auch bei der Fahrt?

Die verhuschte Hupe könnte ein individuelles Erkennungsmerkmal für die jeweiligen Automodelle werden. So wie das künstliche Fahrgeräusch bei neuen Elektroautos bei Schrittgeschwindigkeit auch. Ich sehe da eine regelrechte Hupbranche entstehen. Mit studierten Huschhup-Designern. Und devot angehupt zu werden, wird zum Kompliment: Ich hab‘ dir was zu sagen, will dich aber nicht unnötig quälen. Die leise Hupe fördert so gar den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Kann da ein deutscher Hersteller bitte einen Vorstoß wagen? Oder wollen wir es tatsächlich wieder den Franzosen überlassen?

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