Autobauer Wie Milliardenklagen Porsches Fusion mit VW bedrohen

Für Porsche kommt es knüppeldick. In der Affäre um angebliche Kursmanipulationen muss der Sportwagenhersteller zulassen, dass US-Anwälte das Unternehmen bis weit ins nächste Jahr nach belastendem Material durchforsten. Hinzukommen neue milliardenschwere Schadensersatzforderungen.

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Ex-Porsche-Chef Wiedeking: Quelle: REUTERS

In der letzten Juni-Woche ist es wieder so weit: Tausende Segler werden bei der Kieler Woche ihr Stelldichein geben, orchestriert von 300 Konzerten auf einem Dutzend Bühnen und über drei Millionen Besuchern.

Ein Stammgast der Megaparty wird in diesem Jahr vermutlich weniger ausgelassen feiern als in den Jahren zuvor: Wendelin Wiedeking. 2005 wurde der damalige Porsche-Chef mit dem Weltwirtschaftlichen Preis, der im Rahmen der Kieler Woche verliehen wird, ausgezeichnet. Seither fuhr der gesellige Manager immer wieder mit Porsche-Kollegen zu dem feuchtfröhlichen Sommerfest.

Doch in diesem Jahr ist alles anders: Wiedeking ist wegen der gescheiterten VW-Übernahme nicht mehr Porsche-Chef, die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist ihm wegen möglicher Marktmanipulationen während der Übernahmeschlacht auf den Fersen – und mit den Ex-Kollegen will er nicht mehr feiern. Der 57-Jährige, der alle Verdächtigungen der Stuttgarter Staatsanwälte zurückweist, verzichtete darauf, seine Ex-Kollegen bei Porsche zu fragen, ob sie ihn nach Kiel begleiten.

Bisher wurde Wiedeking nur von hiesigen Strafbehörden und von US-Fonds verfolgt. Jetzt zeigt sich, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte. Denn zusätzlich zu den rund zwei Milliarden Dollar Schadenersatz, die US- Kläger von Wiedeking, seinem ehemaligen Finanzvorstand Holger Härter und Porsche fordern, wollen nun auch Kanzleien in Deutschland zuschlagen.

2,4 Milliarden Euro Schadenvolumen

Die Münchner Kanzlei CLLB vertritt gemeinsam mit der amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei DRRT ein Dutzend Fondsgesellschaften, die gegen Wiedeking beziehungsweise seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Porsche-Holding, klagen wollen. „Das derzeit von uns vertretene Schadenvolumen beläuft sich auf etwa 2,4 Milliarden Euro“, sagt CLLB-Anwalt Franz Braun. Und diese Summe, so betont Braun, sei noch vorsichtig gerechnet. Zudem hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihre Ermittlungen ausgeweitet und ermittelt inzwischen gegen insgesamt zehn Personen aus dem Umfeld von Porsche sowie eines weiteren Unternehmens, wie die Behörde gegenüber der WirtschaftsWoche bestätigte.

Egal wie die Strafermittlungen und die angedrohten Schadensersatzklagen ausgehen, die möglichen Folgen sind schon jetzt in groben Zügen erkennbar. VW muss fürchten, dass sich die Übernahme von Porsche verzögert und anders als geplant über die Bühne geht. Den Familien des VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch und seines Cousins Wolfgang Porsche droht im Extremfall der Verlust großer Teile ihres Miteigentums am VW-Konzern.

Und Porsche, das steht schon jetzt fest, wird die kommenden knapp zwei Jahre von Anwälten in den USA in Atem gehalten. Denn der Stuttgarter Autobauer hat sich bereits am 24. März dieses Jahres mit Advokaten diverser Hedgefonds in den USA vor einem New Yorker Gericht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, in dem sich das Unternehmen auf nie gekannte Weise Außenstehenden ausliefert.

Inquisitorisches Verfahren

Der Fahrplan des Verfahrens, der der WirtschaftsWoche vorliegt, sieht vor, dass Porsche US-Anwälten von Dezember 2010 an Einblick in alle relevanten Vorgänge im Unternehmen gewährt. Die Suche nach Beweismaterial für mögliche Kursmanipulationen soll, so die Vereinbarung, bis zum 30. Juni 2011 andauern. Danach schließt sich eine Befragung von Mitarbeitern an, die Porsche bis zum 15. Dezember 2011 über sich ergehen lassen muss. Bis Mai 2012 sollen die Ergebnisse feststehen.

Damit könnte der Fall Porsche über Jahre zur Hängepartie für den Volkswagen-Konzern werden, der bereits 49,9 Prozent an der Porsche AG hält und eine Fusion mit der Porsche Automobil Holding SE anstrebt. Sollte die Holding-Gesellschaft der schwäbischen Autoschmiede durch milliardenschwere Schadensersatzforderungen belastet werden, könnte die Fusion in Mitleidenschaft gezogen werden. Zwar heißt es in Finanzkreisen, dass sich VW vertraglich gegen alle Eventualitäten abgesichert habe. Doch im schlimmsten Fall würde der Konzern nicht wie geplant mit der Porsche-Holding verschmelzen, sondern über Optionen nur das operative Geschäft übernehmen. Laut Finanzkreisen würde das dann allerdings länger dauern.

Porsche-Modell Panamera: Der Quelle: dpa

Die Schadensersatzklage in den USA ist aus Sicht von Porsche unbegründet und unzulässig. An „theoretischen Spekulationen über Schadenshöhen“ wolle sich Porsche deshalb nicht beteiligen. Porsche bestätigt indes, dass ein Zeitplan mit den Klägern vereinbart wurde.

Mit den Klagen und der Einwilligung von Porsche in ein inquisitorisches Verfahren nach US-Recht ist eingetreten, was VW-Aufsichtsratschef und Porsche-Miteigentümer Ferdinand Piëch bereits im vergangenen Jahres befürchtete: Die Rache der Banker. Wiedeking und Härter hatten 2008 beim Versuch Volkswagen zu übernehmen, Milliardengewinne mit Wetten auf VW-Aktien verbucht. Das mehrte ihre eigenen Gehälter, die teilweise an den Unternehmensgewinn gekoppelt waren. Und das schadete Banken, institutionellen Anlegern wie Pensions- oder Hedgefonds und Privatpersonen, die dadurch Milliarden verloren.

Der Rachefeldzug startete Anfang des Jahres in den USA. Investmentfonds, darunter Elliott, Glenhill und GCM Little Arbor, reichten am 25. Januar bei einem New Yorker Gericht eine Klage gegen Porsche, Wiedeking und Härter ein. Im April schlossen sich weitere Fonds an. Damit fordern nun allein in den USA 35 Fonds einen Schadensersatz von insgesamt mindestens zwei Milliarden Dollar.

Ominöses protokoll

Die Klage stützt sich in wesentlichen Teilen auch auf Enthüllungen der WirtschaftsWoche: An neun Stellen in der 68-seitigen Klageschrift beziehen sich die Anwälte auf Berichte der WirtschaftsWoche über ein Geheimtreffen von zwei hochrangigen Porsche-Managern, zwei Rechtsanwälten und einem Vertreter des VW-Großaktionärs Niedersachsen am 25. Februar 2008 in Berlin.

Wie ein vertrauliches Protokoll dieser Besprechung belegt, das der WirtschaftsWoche vorliegt, kreiste die Diskussion während dieses Treffens auch um das heikle Thema: Ermöglicht das Land Niedersachsen, dass Porsche die volle Macht über VW bekommt? Damit stellt sich aus heutiger Sicht für die Kläger die Frage: Hatte Porsche entgegen öffentlicher Äußerungen schon Ende Februar 2008 die Absicht, über 75 Prozent an Volkswagen zu erwerben und einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit dem Autoriesen zu schließen, um mit den Milliarden aus der Konzernkasse die Übernahme zu finanzieren?

Fest steht, dass damals die Sperrminorität Niedersachsens bei VW das einzige Hindernis war, das einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit VW im Wege stand. Und fest steht auch, dass sich die Vertreter von Porsche, so ist dem Protokoll zu entnehmen, offenbar schnell auf die Sonderstellung einschossen, die das vom Europäischen Gerichtshof in Teilen verworfene VW-Gesetz dem Land Niedersachsen bisher gewährte.

Umstrittene Erklärung

Die Sperrminorität, zitiert das vorliegende Protokoll einen der Porsche-Vertreter, müsse „ersatzlos aus der VW-Satzung entfernt werden“ und sei „ohne Verzug zu beseitigen“. Gegen alles andere werde man von Porsche-Seite „sofort vorgehen“. Als Porsche-Vertreter anboten, Niedersachsen anstelle der Sperrminorität zwei Sitze im 20-köpfigen VW-Aufsichtsrat zu garantieren, entgegnete der Vertreter des Landes Niedersachsen laut Protokoll: Dies würde Porsche „den Weg zum Abschluss eines Beherrschungsvertrags eröffnen“.

Rückblickend erklärte der Vertreter des Landes Niedersachsen gegenüber der WirtschaftsWoche: „Aus der Diskussion insgesamt und insbesondere aus dem intensiven Meinungsaustausch über den Bestand der Sperrminorität“ habe er „den Schluss gezogen, dass Porsche letztlich“ das Ziel des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages verfolge. Porsche bestreitet, bereits im Februar 2008 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag angestrebt zu haben.

Acht Monate später, im Oktober 2008, war es dann doch so weit: Die Stuttgarter gaben offiziell bekannt, dass sie einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit VW anstreben würden. Der Kurs der VW-Aktie schoss danach binnen Tagen auf über 1000 Euro. Getroffen waren all jene Investoren, die auf einen sinkenden Kurs gesetzt hatten. Hätten sie früher gewusst, dass Porsche einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag anstrebt, wären sie vorsichtiger gewesen und hatten die Milliardenschäden womöglich vermieden.

Kursverlauf der VW-Aktie

Porsche bestreitet, dass das Unternehmen oder Wiedeking und Härter den Markt durch falsche Informationen in die Irre geführt hätten. Nicht im Februar, sondern erst im Oktober 2008 sei beschlossen worden, den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag anzustreben. Die Gutachten zweier unabhängiger Juraprofessoren hätten ergeben, dass der von den Staatsanwälten erhobene Verdacht des Verstoßes gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften unbegründet sei.

Doch die Zweifel an dieser Darstellung wachsen. Dazu trägt eine bislang wenig beachtete Äußerung von VW-Aufsichtsratschef und Porsche-Großaktionär Piëch gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ bei. Die zitiert Piëch am 12. Mai 2008 mit den Worten, die Entscheidung bei Porsche, die „Anteile an Volkswagen auf 75 Prozent zu erhöhen, sei am Ende des ersten Halbjahres 2008“ gefallen. Damit hätte Piëch die Vermutung bestätigt, dass Porsche schon vor Oktober 2008 über 75 Prozent bei VW anstrebte.

Porsche räumt ein, dass seit 2005 „verschiedene Szenarien“ geprüft worden seien. Die Entscheidung für die Erhöhung der Anteile auf über 75 Prozent sei aber erst im Oktober getroffen worden. Allmählich dämmert auch den Verantwortlichen bei Porsche und Volkswagen, dass die Schadensersatzklagen sowie die Ermittlungen des Stuttgarter Oberstaatsanwalts Hans Richter eine Bedrohung darstellen.

Suche nach Kreditverträgen

Denn inzwischen überprüfen die Fahnder nicht nur die Vorfälle zwischen Februar 2009 bis Juni 2009, sondern auch seit Oktober 2008. Damit geraten auch die Ereignisse rund um die Kursausschläge im Oktober 2008 und verdächtige Ereignisse in ihrem Vorfeld ins Visier. Zudem weitete die Staatsanwaltschaft den Kreis der Personen, gegen die ermittelt wird, auf zehn aus. Drei von ihnen stammen aus dem Porsche-Umfeld, sieben aus einem anderen Unternehmen.

Zudem hat Oberstaatsanwalt Richter offenbar eine Spur aufgenommen, die der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff bereits im Juli 2009 im WirtschaftsWoche-Interview dezent legte: „Die Voraussetzung für viele Porsche-Kredite der Banken war“, so Wulff, „dass es zu einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bei VW kommt.“

Also, folgern Insider, müsste sich dies in den Kreditverträgen finden, die Porsche mit den Banken schloss. Aus diesem Grunde suchten Ermittler unlängst bei den Hausbanken von Porsche, der BW Bank und der LBBW, nach belastendem Material. Nach Angaben von Porsche „gab und gibt es keine Vereinbarungen mit Banken, aus denen hervorgeht, dass ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag von VW bereits vor Oktober 2008 angestrebt wurde“.

Insolvenz nicht ausgeschlossen

„Jetzt hängt alles am Staatsanwalt“, heißt es in Porsche-Kreisen dazu. Wenn Anklage erhoben werde, könne es zu einer Klagewelle kommen, und die jetzt bekannten milliardenschweren Schadensersatzklagen aus den USA und Deutschland seien dann womöglich nur der Anfang. „Die Forderungen könnten dann schnell die Schadenssumme von zehn Milliarden erreichen“, fürchten sich Topmanager in Stuttgart-Zuffenhausen.

Die Ängste werden in Wolfsburg geteilt. In einem Wertpapierprospekt, den Volkswagen zur Kapitalerhöhung im März veröffentlichte, heißt es: „Potenzielle Schadensersatzverpflichtungen der Porsche Automobil Holding SE könnten deren Vermögens- und Liquiditätslage erheblich belasten und bei Erreichen einer erheblichen Größenordnung sogar zur Insolvenz der Porsche Automobil Holding SE führen.“

Die Schadensersatzansprüche könnten auch die Eigentümer der Porsche-Holding und damit die Familien Porsche und Piëch treffen. Das Emirat Katar, das mit zehn Prozent an der Porsche SE beteiligt ist, hat sich laut Finanzkreisen bei der Übernahme umfassend vertraglich abgesichert.

Im April sagte Volkswagen-Chef Martin Winterkorn: „Wir haben Porsche, ein Aushängeschild Deutschlands, vor dem Aus gerettet.“ Gut möglich, dass er Porsche ein zweites mal retten muss.

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