Autodesign "Wir brauchen kein Krisenauto"

Design ist tiefgründig. Es muss strategisch angelegt sein. Es beginnt mit der Unternehmensphilosophie, aus der die Designstrategie entsteht, die über Jahre und Jahrzehnte gepflegt wird - sagt der Designer Peter Pfeiffer und philosophiert über die Zukunft des Autos.

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Peter Pfeiffer, ehemaliger Chef der Mercedes Benz-Designabteilung und Gründer der pfeiffer design group

WirtschaftsWoche: Herr Pfeiffer, ich habe Stift und Papier mitgebracht. Können Sie skizzieren, wie verschiedene Autotypen in der Zukunft aussehen?

Pfeiffer: Etwas aufzeichnen auf einem Blatt Papier ist, mit Verlaub, dummes Zeug. Design ist sehr viel tiefgründiger. Es muss strategisch angelegt sein. Es beginnt mit der Unternehmensphilosophie, aus der die Designstrategie entsteht, die über Jahre und Jahrzehnte gepflegt wird. Daraus entsteht die eigentliche Designtätigkeit.

Eine bestimmte Formgebung steht für Werte wie Sicherheit oder Innovation?

Kann sie. Der Mensch, der ein Produkt, in unserem Falle eben Auto, von der Entfernung sieht, muss sofort erkennen können, um was für eine Marke es sich handelt. Das muss stimmig sein: Die Kunden merken sofort, wenn ein Unternehmen ein bestimmtes Image nur vorgaukelt.

Wie lange dauert es, bis ein neuer Autotypus Gestalt annimmt?

Bei einem Automobil dauert der kreative Prozess etwa zwölf Monate. Der kreativste Anteil beträgt rund sechs Monate – die restlichen Monate wird Feinarbeit geleistet. Der Kern des Designs ist dann gelegt. Dann dauert es zwei bis drei Jahre, bis das Auto auf den Markt kommt. Je nach Komplexität des Produktes kann es auch insgesamt fünf Jahre dauern.

Wer berät einen Designer bei der Frage, welche gesellschaftlichen Entwicklungen zwei bis drei Jahre nach einem Entwurf vorherrschen?

Designer fragen Forscher. Mercedes-Benz hat in Berlin eine Abteilung, die sich nur mit Zukunftsfragen befasst.

Brauchen Sie für alle gesellschaftlichen Szenarien die passenden Entwürfe?

Nein, dennoch sollte man versuchen möglichst viele mögliche Szenarien in einem Konzept zu vereinen. Die A-Klasse von Mercedes wurde einst auch als Elektroauto konzipiert, sie hat deshalb Raum für die Batterien. Aber damals vorherzusehen, dass heute so etwas wichtig sein könnte – da tut sich jeder schwer. Ein Smart war – wenn Sie so wollen – auch zu früh für seine Zeit und ist jetzt genau richtig. Aber klar ist: Kein Unternehmen kann gegen den Markt produzieren. Alle Wagen mit einem sehr geringen Kraftstoffverbrauch und die auch so aussahen, sind bis heute grandios gescheitert, weil der Markt sie nicht haben wollte.

Porsche hat gerade mit dem Panamera einen neuen Gran Tourismo vorgestellt. Der Entschluss zum Bau dieses Reisesportwagens wurde gefasst, als die Wirtschaftskrise noch nicht zu erkennen war. Dumm gelaufen, oder? 

Als Porsche dieses Auto auf Kiel gelegt hat und den Entwicklungsprozess gestartet hat, war die Welt – wenn Sie so wollen – noch heil. Es ist weder Porsche noch einer anderen Autofirma möglich, zu sagen: „Wir stoppen das jetzt.“ Ob die gesellschaftliche Lage zur Markteinführung noch passt, kann keiner sagen. Sie können später vielleicht noch was an den Farben ändern, aber viel mehr nicht.

So etwas schmerzt den Designer?

Ein Automobil ist auf einen Produktzyklus von etwa sieben Jahren angelegt. Und in zwei Jahren sieht die Welt vielleicht schon wieder anders aus.

Wird sich auch die Einstellung der Menschen zu den schweren Geländewagen, den SUV, wieder ändern? Sie gelten heute als CO2-Schleudern und Klimaschädiger.

Andererseits fühlen sich viele Menschen in einem SUV sicherer aufgehoben. Und das nicht nur in den USA.

Dennoch sind SUV nicht nur für Umwelt-schützer eine Provokation auf Rädern.

Die Antwort kann aber nicht darin bestehen, dass wir nur noch kleine Autos bauen oder wir sie kleiner aussehen lassen, als sie sind. Es geht darum, dass auch ein großes Auto umweltverträglich sein muss.

Audi Q7: Mit Leuchtdioden und großem Kühlergrill Gesichter zeichnen Quelle: Audi

Müssen Autos in Deutschland anders wirken als in den USA?

Autohersteller fertigen in aller Regel für den Weltmarkt und nicht nur für Deutschland. Als Designer sind sie deshalb immer im Zwiespalt, ob die Entwürfe für den amerikanischen und asiatischen Markt vielleicht zu klein und zu unauffällig sind. Für den europäischen Markt erscheinen sie meist zu groß. Bei der S-Klasse von Mercedes etwa besteht die Ausgewogenheit darin, dass das gleiche Auto von den Deutschen als eine Spur zu selbstbewusst und in den USA eine Spur zu wenig selbstbewusst empfunden wird.

Gleichen sich die Bedürfnisse der Kunden auf den unterschiedlichen Märkte durch die Krise stärker an?

Nein, nicht durch die Krise, aber sehr wohl durch die Globalisierung. Aber Autohersteller können nicht so schnell reagieren wie die Hersteller von Mode. Die Anpassungsprozesse vollziehen sich in dieser Branche in Modellgenerationen.

Welcher Markt wird künftig die Autoindustrie am stärksten beeinflussen: Europa, USA oder die asiatischen?

Die Welt lässt sich nicht auf ein Einheitsprofil zurechtbiegen. Auch in den USA gibt es ein wachsendes Umweltbewusstsein. Auch dort freuen sich die Autobesitzer, wenn der Wagen weniger Sprit schluckt. Selbst wenn der Kraftstoff dort deutlich weniger kostet als bei uns. Aber ich bin sicher: Die Automobile werden sich unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise nicht radikal verändern. Wir werden neuartige Antriebsformen erleben, aber keine grundlegend neuen Fahrzeugtypen.

Menschen kaufen Autos, weil ihnen das Design gefällt. Dennoch bestimmen Ingenieure das Auto in seiner Form entscheidend mit. Stört Sie das?

Nein, weil es eine Teamarbeit ist, welche von einem ständigen Geben und Nehmen gekennzeichnet ist. Dabei ist das äußere Erscheinungsbild das Erste, was der Mensch von einem Produkt wahrnimmt. Erst dann entscheidet er sich in einem zweiten Schritt, ob das für ihn aus funktionalen oder praktischen Gründen infrage kommt. Wenn er Ja sagt, dann hat der Designer seinen Job gemacht. Der Sinnesreiz "Kauf mich, ich bin schön" ist unsere ursprünglichste Aufgabe. Der Kunde hat ja auch etwas davon. Kaufen Sie etwas mit Verstand, dann wollen Sie, dass es perfekt funktioniert. Kaufen Sie etwas mit Herz, dann gehen Sie anders damit um – sprechen Sie mal mit einem Fahrer eines Oldtimers.

Entspricht diese Zuneigung der, die viele Menschen für Produkte von Apple zeigen? 

Auch. Es sind zwei Dinge: Wenn sie die Geräte, zum Beispiel das iPhone, in die Hand nehmen, erzeugen sie durch Gewicht und Haptik ein Gefühl der Wertigkeit. Darüber hinaus ist, das erste Mobiltelefon, mit dem ich gänzlich zurecht kam, das iPhone.

Und was könnte ein Autodesigner von den Gestaltern des iPhone lernen?

Optik, Haptik und die Wichtigkeit der Bedienung. Beim Automobil sprechen immer alle vom Exterieur. Ich sage: Ob Sie mit einem Auto lange verbunden bleiben, entscheidet sich im Interieur, nicht im Exterieur. Denn Sie müssen sich im Innenraum wohlfühlen, und alles muss selbstverständlich sein. Wenn das nicht funktioniert, die Sitze unbequem sind und Sie sich täglich über eine Funktion ärgern, dann werden Sie sich rasch von dem Fahrzeug verabschieden.

Die Bedienung von Fahrzeugen wird aber doch immer komplexer, nicht einfacher.

Ja, es gab eine Zeit Anfang des Jahrtausends, da hieß es: "So viel wie möglich." Da war der Grundgedanke das mobile Büro. Diese Tendenz ist vorbei. Heute ist das Credo: "Was ist nötig?"

Und dazu zählt der Becherhalter, der selbst in Luxusautos inzwischen Standard ist? Den kann kein Designer im Innenraum haben wollen.

Sie können in den USA kein Auto verkaufen ohne Cupholder. Das hängt mit den amerikanischen Fahrgewohnheiten zusammen: Das entsteht vor allem durch die großen Distanzen, die der durchschnittliche Amerikaner alleine auf der täglichen Strecke zum Büro zurücklegt. Hierdurch ist zum Beispiel das Frühstück im Auto selbstverständlich.

Und in Europa?

Hier dreht es. Früher wollte keiner einen Cupholder, heute wird er akzeptiert.

Gibt es auch Impulse aus Deutschland?

Das Thema Sicherheit, Fahrkomfort und Qualität ist sicher ein sehr deutsches Thema. Aber auch oder vor allem im Bereich des Designs setzen die Deutschen Maßstäbe. Mercedes baut beispielsweise alle zwei Jahre ein Forschungsfahrzeug, in dem Zukunftstechnologien enthalten sind. Gerade bei diesen Fahrzeugen kann man zukünftige Designtrends hervorragend andeuten.

Welche sind das? Klimafreundliche Ökoautos ohne Ecken und Kanten?

Nein, eben genau diese nicht. Aber wenn wir über Elektroautos sprechen, dann ist klar, dass man dem Wagen ansehen muss, dass es ein anderes Fahrzeug ist.

Sehen also alle Autos künftig so aus wie der Toyota Prius?

Ich denke, nein. Denn eines wird nicht funktionieren: Verzichtdesign. Oder Spardesign. Die Form darf schon ausdrücken: Ich bin anders. Dennoch muss sie Emotionen wecken. Es muss den Kunden so bewegen, dass er das gerne fahren will. Aber nur, wenn ein batteriebetriebener Sportwagen wie ein Sportwagen aussieht, kann er ein Erfolg werden.

Mehr Rundungen oder weniger, mehr Kanten oder weniger Kanten? Wie sieht das aus?

Das kann viele Facetten haben. Es beginnt beispielsweise mit der Belüftung. Ein batteriebetriebenes Fahrzeug kann eine ganz andere Frontpartie haben, da die Lüftungsschlitze an dieser Stelle, je nach Batterielage, nicht nötig sind.

Aber ausgerechnet die sind doch gerade im Automobildesign wieder sehr en vogue. Die modernen Fronten zeigen doch mehr Grill, als für die Kühlung des Motors benötigt wird.

Das gilt sicherlich nur zum Teil. Bei den einen ist es tatsächlich benötigte Kühlfläche, wohingegen andere Hersteller es durchaus als Designelement einsetzen.

Im Rückspiegel tauchen mittlerweile aber viele böse blickende Frontpartien auf.

Es gibt Autohersteller, die die aggressive Seite betonen, und andere, die selbstbewusst, aber nicht aggressiv wirken. Ein kleinerer Wagen sollte sympathisch, ein Sportwagen energisch ausschauen.

Ein anderes Wort für böse.

Da würde ich schon einen Unterschied machen. Wenn Autos "böse schauen" ist es für mich schon wieder ein Schritt zu weit.

Viele Wagen erinnern an aggressive Tiere.

Zum Teil erinnern sie an Raubvögel. Aber auch Augenbrauen von Katzen werden assoziiert.

Warum?

Die modernen LED-Leuchten geben den Designern die Chance, ein kleines Kunstwerk zu gestalten. Früher war ein Scheinwerfer ein geriffeltes Glas, hinter dem ein Leuchtmittel steckte. Die Form war noch ein Thema, aber der Inhalt war komplett verdeckt. Heute ist das wie ein Schaufenster. Das Licht wird inszeniert. Da werden in Zukunft auch noch neue Formen kommen. Das ist ein weiteres Feld, um die Markenidentität auszudrücken, die in Zukunft der entscheidende Faktor beim Automobilkauf sein wird.

Und auf welches technische Detail am Auto von morgen würden Sie gerne verzichten?

Wenn es etwas gäbe, was die Außenspiegel ersetzen würde, würde ich es begrüßen.

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