Autohersteller Billigauto von Rolls-Royce für eine Viertelmillion Euro

Erlösung für krisengeschädigte Superreiche: Der Luxuslimousinenhersteller Rolls-Royce bringt ein Billigauto – den Ghost für eine Viertelmillion Euro.

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Rolls-Royce-Chef Purves, Modell Ghost: Countdown läuft Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Peter Gossner ist geistesgegenwärtig. „Vorsicht!“, ruft der Bayer im schwarzen Outfit und mit schicker Designerbrille. In der rechten Hand ein Taschentuch, eilt er herbei, beugt sich tief hinunter, kriecht in den Fußraum unter dem Lenkrad und prüft, ob die schwarzen Stilettos der Kundin auf den hellen, Creme-Light-farbenen Ledersitzen Spuren hinterlassen haben. Haben sie nicht – Gossner kann aufatmen.

„Angespannt“, so beschreibt der Kundenbetreuer seinen Gemütszustand in diesen Wochen. Gossner treibt die Angst um, ein winziger Kratzer oder Fleck könnte seinen Schützling, mit dem er seit mehreren Wochen durch die Welt tingelt, entweihen – jenes Gefährt aus dem Hause Rolls-Royce, das es offiziell noch gar nicht gibt und das intern das Kürzel „200 EX“ trägt. 3000 Menschen, unter anderem in Genf, Singapur, Shanghai und in den USA, ließ Gossner das neue Gefährt bereits besteigen. Sie durften das Furnier des Armaturenbretts aus glänzend-edlem südamerikanischem Santos-Palisanderholz streicheln und die zweifarbige Motorhaube in „Darkest Tungsten“ und „Liquid Silver“ betätscheln. Gossner hat die Karosse als Verantwortlicher im Konzeptfahrzeugbau des Rolls-Royce-Mutterkonzerns BMW persönlich und per Hand zusammengebaut. „Ich bin nicht nur die Putze“, stellt er klar, während er mit dem Taschentuch feudelt.

Gossners persönliche Rundumbetreuung gilt einem Fahrzeug, mit dem der britische Luxusfahrzeughersteller in neue Gefilde vorstößt. Gemessen am Geldbeutel seiner Kunden lächerliche 200.000 bis 250.000 Euro soll der künftige kleine Rolls-Royce kosten – eine Art billiger Jakob für Superreiche. Das Edelschnäppchen soll „Ghost“ heißen, zu Deutsch: „Geist“, und im September auf den Markt kommen. Sein Preis liegt gut ein Drittel unter jenen 340.000 Euro, für die das Basismodell des derzeitigen Rolls-Royce-Klassikers, der Phantom, zu haben ist.

Neuer Rolls soll den Gesamtabsatz mittelfristig verdoppeln

„Der Phantom ist der Smoking, der Ghost ein maßgeschneiderter Geschäftsanzug“, sagt der Schotte Tom Purves, der seit Juli 2008 als Chef von Rolls-Royce Motor Cars am Firmensitz im südenglischen Goodwood residiert. Weltweit hätten bereits „mehr als Zehntausend potenzielle Käufer“ signalisiert, dass sie „großes Interesse“ am Ghost hätten. Rund 1500 seien sogar schon „fest entschlossen, einen neuen Ghost zu erwerben“. Der 60-Jährige bestreitet vehement, dass das Modell wegen der Krise zur Unzeit kommt. „Wäre ich froh, wenn wir den Ghost jetzt nicht hätten?“, fragt er, um postwendend klarzustellen. „Auf keinen Fall! Gerade in harten Zeiten ist es gut, etwas Neues anbieten zu können.“ Dass der Ghost preisgünstiger ist als der Phantom, passt gut in die Zeit. Immerhin ist die Zahl der Millionäre nach dem neuesten World Wealth Report der US-Unternehmensberatung Capgemini und der Investbank Merrill Lynch im vergangenen Jahr weltweit von 10,1 auf 8,6 Millionen gefallen. Auch dürfte die Gruppe der Superreichen, die über ein Vermögen von 30 Millionen US-Dollar und mehr verfügen, mit weltweit 78.000 im vergangenen Jahr gegenüber 2007 abgenommen haben.

Trotzdem betont Purves, die Entscheidung zum Bau des Ghost sei schon 2006, also ein Jahr vor der Krise, gefallen und habe mit den Krisenfolgen für die Betuchten nichts zu tun. Rolls-Royce-Besitzer hätten stets mehrere Wagen in der Garage, viele seien Sammler und Autonarren und erfüllten sich mit einem Rolls-Royce einfach einen Jugendtraum. Purves und Vorgänger Ian Robertson, der mittlerweile als Vertriebsvorstand bei BMW in München sitzt, sind daher sehr optimistisch. Beide hoffen, dass sie den Rolls-Royce-Gesamtabsatz mit dem Ghost „mittelfristig“ auf mehr als 2000 Einheiten im Jahr verdoppeln können.

Auslieferung ab Januar 2010

Der neue, nicht ganz so superteure Edelschlitten ist die zweite Modellreihe von Rolls-Royce neben dem Phantom und knüpft an die ruhmreiche Vergangenheit des legendären Silver Ghost an. Der kam 1907 auf den Markt und brachte dem damals noch jungen britischen Nobelautohersteller den Durchbruch.

Der wiederbelebte Geist ist im Grunde eine Art Komplementärmodell zum klassischen Phantom. Er ist knapp 5,40 Meter lang, fast zwei Meter breit und wird von einem 373 Kilowatt (507 PS) starken 6,6-Liter-Zwölfzylindermotor angetrieben. Damit ist der Ghost ein wenig kürzer als der Phantom, seine Karosserie ist nicht aus Aluminium, sondern aus Stahl – die Herstellungskosten sind somit weitaus geringer als beim Phantom. Trotzdem ist er leichter, wirkt weniger wuchtig, weniger konservativ und weniger protzig als der große Bruder.

Der Countdown für die Montage des neuen Kleinen läuft. Ab September soll der Ghost in Goodwood zusammengebaut und ab Januar an die ersten Kunden ausgeliefert werden. Hier, in der idyllischen Grafschaft Sussex, produziert BMW seit 2003 auch den Phantom, das erste Modell und Flaggschiff, das 1998 nach der Übernahme der Rolls-Royce-Markenrechte und der Trennung von Bentley von den Münchnern in eigener Regie und nach intensiven Kundenbefragungen konzipiert wurde. BMW hat in den vergangenen Jahren rund 40 Millionen Pfund in den Ausbau der edlen Manufaktur in Goodwood investiert, bis vor Kurzem röhrten hier für die notwendige Erweiterung noch die Betonmischer.

Der neue Rolls Royce 200EX: Ab Quelle: REUTERS

Für den Ghost lassen sich die Deutschen nicht lumpen. Eine zweite Montage-straße wurde eingerichtet, damit beide Fahrzeuge parallel gefertigt werden können. Die Belegschaft soll mit dem Start der Ghost-Produktion um 150 auf 900 Mitarbeiter aufgestockt werden. Das sind für die internationale Automobilindustrie zwar nur Peanuts – aber immerhin Signale der Hoffnung in einer krisengebeutelten Branche, die versucht, sich mit Kurzarbeit und Staatshilfe über die Runden zu retten.

Seit Monaten werden Rolls-Royce-Mitarbeiter in bordeauxroten oder schwarzen Polohemden für die neue Produktion geschult. Fotografieren ist verboten, denn sie üben an echten Komponenten des neuen Ghost. Weil die Karosserie-Teile und Motoren bei BMW in Deutschland produziert werden, wirkt die Rolls-Royce-Fabrik in Goodwood, in der nur Montage, Innenausstattung und Lackierung stattfinden, wie ein großer Handwerksbetrieb.

Auslieferungen gehen um 27 Prozent zurück

Im Vergleich zu anderen Betrieben ist es in Goodwood schon an normalen Tagen erstaunlich ruhig. Zurzeit wirkt die Manufaktur manchmal jedoch fast gespenstisch still. Dann ist "produktionsfreier Tag", wie das bei Rolls-Royce heißt, einer von 60, die in diesem Jahr geplant sind. Denn auch Luxuslimousinen sind nicht völlig immun gegen die Krise: Von Januar bis Mai 2009 wurden weltweit nur 276 Fahrzeuge ausgeliefert – 105 oder 27 Prozent weniger als in den ersten fünf Monaten 2008.

Irgendwann fordert der horrende Preis offenbar auch bei Rolls-Royce einen Tribut. Vom Phantom mit seiner langen Motorhaube und dem mächtigen Kühlergrill wurden seit der Auslieferung der ersten Wagen im Jahr 2003 genau 4916 Fahrzeuge verkauft. 2008 erreichte der Absatz mit 1212 Stück den bisherigen Rekord. 80 Prozent davon werden speziell nach den Wünschen der Kunden gefertigt. Ein größerer Kofferraum, Picknick-Tischchen aus Walnussholz für die Fondspassagiere oder ein goldener Trinknapf für den Schoßhund? Kein Problem. Jeder Kunde kann zwischen 44.000 Außenfarben wählen. Wer viele Extras ordert, verdoppelt leicht den Preis. Bisher verdiente BMW damit ordentlich Geld – wie viel, wird nicht verraten.

Rolls-Royce-Chef Purves hofft, dass sich dank des Ghost der Absatz im Gesamtjahr stabilisieren wird. Allerdings werde das nur mit Mühe zu erreichen sein. Und er räumt ein: „Wir beobachten die Situation Monat für Monat, keinesfalls wollen wir zu viele Leute einstellen, falls sich abzeichnen sollte, dass auch 2010 schwierig wird.“ Im Moment glaubt er noch, „dass 2010 besser sein wird als das laufende Jahr“.

Boom in China und Russland lässt nach

Bis zur Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 lief das Geschäft bei Rolls-Royce auch durchaus gut, danach gab es aber einen deutlichen Rückgang der Bestellungen. Purves schiebt das weniger auf plötzliche wirtschaftliche Nöte als auf die veränderte Gemütslage seiner Kunden. „Ich kenne kaum jemanden, der früher Rolls-Royce-Kunde war und heute finanziell nicht mehr in der Lage wäre, sich unsere Autos zu leisten“, sagt er. Offenbar habe sich aber die Stimmung verschoben, holen die Superreichen lieber weiterhin eine ihrer alten Nobelkarossen aus der Garage: „Etwa 70 Prozent aller jemals gebauten Rolls-Royce können ja auch heute noch auf der Straße gefahren werden.“

Vor allem der US-Markt, weltweit seit Jahrzehnten das wichtigste Absatzgebiet, läuft in diesem Jahr nicht mehr so gut wie früher. Auch der Boom in China und Russland ließ nach. Dafür liefen die Geschäfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Nordeuropa gut. Wichtigste Absatzmärkte hinter den USA sind Großbritannien, gefolgt von den Emiraten, China und Russland. Deutschland liegt nach Verkaufszahlen in Europa auf Platz drei.

Purves kennt Rolls-Royce wie kaum ein anderer. Er fing 1967 nach dem Studium zunächst als Ingenieurlehrling an und blickt heute auf 19 Jahre bei Rolls-Royce und 24 Jahre bei BMW zurück. „Was sich nicht geändert hat, ist, dass unsere Kunden heute wie damals das Allerbeste wollen und über die Mittel verfügen, um sich das Beste leisten zu können.“ Dass Rolls-Royce in deutscher Hand liegt, stört Purves nicht. „Wir haben jetzt einen Besitzer“, sagt der Rolls-Royce-Chef, „der in die Zukunft investiert, das ist für uns sehr wichtig.“

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