Autoindustrie Russlands riskantes Opel-Experiment

Dem Kreml ist ein großer Coup gelungen: Zum Schnäppchenpreis von einer halben Milliarde Euro hat sich die staatliche Sberbank bei Opel eingekauft. Obendrein winken 600 Millionen Euro deutscher Staatsgeldern für die Modernisierung der russischen Autoindustrie.

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Produktion des Quelle: dpa

Der Einstieg bei Opel ist für Russland ein gewaltiges Experiment. Noch nie ist es gelungen, westliche Technologie im Osten zum Laufen zu bringen. Vom Erfolg dieses Versuchs hängt die Zukunft von Opel ab.

Der Deal war perfekt, das Memorandum unterschrieben. Doch German Gref – künftig einer der heimlichen Herrscher bei Opel – klang alles andere als zufrieden: „Es ist noch zu früh zum Gratulieren“, sagte der Chef der Sberbank, als er am Freitag vor die Presse trat. Zuvor hatte seine Kreml-Bank die Absichtserklärung unterzeichnet, einen 27,5-prozentigen Anteil am Opel-Konzern zum Schnäppchenpreis von 500 Millionen Euro zu kaufen. Die sei aber „unvergleichbar kompliziert“ ausgefallen, sagte der russische Ex-Wirtschaftsminister genervt, er werde sich jetzt erst einmal durch ein mehr als 1000 Seiten dickes Dokument kämpfen müssen.

Russische Autoindustrie liegt am Boden

Aus seiner Skepsis über die Opel-Übernahme hatte German Gref nie einen Hehl gemacht. Der Spitzenbankier mit den deutschen Vorfahren wollte seine Sberbank, die mit Abstand größte Bank Osteuropas, lieber zum Global Player im Finanzsektor aufbauen. Doch die Anweisung zur Opel-Übernahme kam von ganz weit oben – vom mächtigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin.

Für Putin ist die Gleichung simpel: Die russische Autoindustrie liegt am Boden, die Modelle stehen technologisch auf dem Niveau der 1970er Jahre. Also schickt er die staatlich gelenkte Sberbank vor, den deutschen Autobauer Opel zu kaufen. Schön für Russland, dass die Bundesregierung für die Opel-Sanierung den Deal mit einer großzügigen Spende schmackhaft machte: Rund 600 Millionen Euro deutscher Staatshilfen sollen in die Modernisierung der russischen Autoindustrie fließen, kündigten Magna-Manager am Wochenende an. Die deutsche Hilfe für den Aufbau Ost würde reichen, um ein brandneues Opel-Werk in mitten die russische Provinz zu stellen. Ob die Russen wohl so dreist sind, im Gegenzug einen deutschen Standort zu schließen?

„Was mit den deutschen Werken geschieht, ist den Russen weitestgehend egal“, sagt ein deutscher Automanager, der mit den Vorgängen betraut ist. Die Sanierung des Opel-Konzerns und das Tagesgeschäft werde die Sberbank den Magna-Leuten überlassen. Allerdings werde Russland wohl kaum einen einzigen Rubel in den Gesamtkonzern stecken, auch der Arbeitsplatzabbau sei für die Russen zweitrangig.

Notwendige Umschulungen

In Moskau zählt nur eine Frage: Wie schaffen wir es, deutsches Know-how in Russland zum Laufen zu bringen? Eine Antwort haben die Kreml-Strategen noch nicht gefunden. Es genügt nicht, einfach eine Anlage in Deutschland ab- und in Russland wieder aufzubauen. Die Mitarbeiter des maroden russischen Herstellers GAZ, von dessen Bändern künftig Opel-Modelle rollen sollen, müssen gründlich umgeschult und mit westlicher Fertigungstechnologie vertraut werden. Eine Sisyphusarbeit für die Magna-Manager, die mit dieser Mammutaufgabe beauftragt sind.

Ohnehin fragt sich, ob sich neue GAZ-Modelle auf dem russischen Markt überhaupt verkäuflich sind. Selbst wenn es die Russen schaffen, deutsche Opel-Technik einzubauen, werden GAZ-Autos aus Nischni Nowgorod bei Moskau stets „made in Russia“ bleiben. Auf PKWs aus heimischer Produktion lastet aber selbst in Russland ein negatives Image; die Auto-Kundschaft zwischen Kaliningrad und Wladiwostok zieht im Zweifel Importwagen vor, selbst wenn Lada und Co. dank niedriger Produktionskosten und hoher Zölle auf importierte Fahrzeuge nur halb so viel kosten wie ausländische Marken. Das zeigt auch das Beispiel des Wolga-Nachfolgemodells namens „Siber“, der trotz halbwegs moderner Chrysler-Technologie für den GAZ-Konzern zum Flopp wurde.

Es sind schwerwiegende und lange Zeit verschleppte Strukturprobleme, die das Opel-Experiment so riskant machen: In jedem russischen Autowerk schockiert die Tiefe der Fertigung Besucher aus dem Westen. In den Fabriken arbeiten viel zu viele Mitarbeiter, der Automatisierungsgrad ist gering. Das allein macht die russische Fahrzeugproduktion anfällig für Qualitätsmängel. Und wie niedrig die Produktivität in russischen Autofabriken ist, zeigt sich während der Mittagspause im Lada-Werk Togliatti, derentwegen die 100.000 Mitarbeiter die Bänder abschalten.

Katastrophale Bedingungen

Unter solch katastrophalen Bedingungen wird es schwierig, mal eben einen Opel in Russland zu bauen – selbst wenn eine Menge Milliarden aus dem deutschen Fiskus nach Osten fließen.

Mit all dem will Sberbank-Chef German Gref eigentlich gar nichts zu tun haben. Deswegen wies er auch gleich nach der Unterzeichnung des Memorandums auf sein Recht hin, die Aktien an GAZ oder die staatliche Wiederaufbaubank VEB zu verkaufen. Möglicherweise landet Opel bald auch beim krakenhaften Industriekonglomerat „Rostechnologii“, das Putins einstiger Geheimdienst-Kompagnon Sergej Tschemesow leitet. Erst vor drei Wochen sammelte der unter dem Dach seiner Holding die Anteile an Lada-Bauer Awtowas, an Daimlers LKW-Partner Kamaz und einem Zulieferer der GAZ-Gruppe. Als Sanierer maroder Unternehmen ist Tschemesow bis dato nicht aufgefallen – er schlachtet marode Firmen aus und verscherbelt Technologien an staatliche Industriekonzerne.

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