
Es ist ja nicht so, dass es bisher Anlass gegeben hätte, daran zu zweifeln, dass Carlos Ghosn in seinem Reich der unangefochtene Boss ist und ziemlich frei schalten und walten kann. Ghosn war spätestens seit seiner Zeit bei Nissan, als er den japanischen Hersteller zurück in die Erfolgsspur führte, ein Rockstar der Branche, der mit dieser Rolle durchaus kokettiert hat und dessen Auftritte bei Pressekonferenzen eher an den Einmarsch eines Boxers bei einem WM-Titelfight erinnerten als an den eines Automobilmanagers.
Doch all das scheint ihm noch nicht gereicht zu haben. Und so strebt er, just in einer Zeit, als seine Erfolgsbilanz tiefe Risse zeigt, eine in jeder Hinsicht unglaubliche Ämteranhäufung an: Der Mann will sein eigener Chefkontrolleur werden. Im kommenden Jahr, so ließ Renault gestern Abend verlauten, werde der amtierende Verwaltungsratschef, Ghosns Vorgänger Louis Schweitzer, Ghosn auch für den Posten des Verwaltungsratsvorsitzenden vorschlagen.
Dabei gäbe es gerade jetzt mehr Grund denn je, Carlos Ghosn auf die Finger zu schauen. Ghosn, der zum 1. Januar auch den Vorsitz des Europäischen Verbandes der Automobilhersteller ACEA übernimmt, hat viel von seinem Glanz verloren. Immer wieder musste er seit seinem Amtsantritt bei Renault seine eigenen Prognosen kassieren, und das war nicht nur der allgemeinen Wirtschaftskrise geschuldet. Mit viel Tamtam wollte Ghosn Renault in Richtung Premium führen – jetzt muss er froh sein, dass er das Billigauto Dacia Logan hat, denn ohne diesen Verkaufsschlager sähe es bei Renault noch viel finsterer aus.
Die Mittelklasselimousine Renault Laguna jedenfalls, eines der wichtigsten Modelle für Ghosns Zukunftsstrategie und unter seiner Ägide entstanden, ist ein Flop. Insgesamt ist die Marke derzeit also in einer ziemlich mäßigen Verfassung und laut Ghosn inzwischen auch Stellenstreichungen nicht mehr ausgeschlossen. Ausgerechnet in einer solchen Zeit das Kontrollgremium eines Unternehmens der Leitung des Unternehmenschefs selbst zu unterstellen, ist eine Ohrfeige für alle Mitarbeiter. Wenn der ehemalige Renault-Chef Louis Schweitzer nicht auch sein eigenes Erbe verspielen will, dann täte er gut daran, sich diese Entscheidung noch einmal gut zu überlegen.