Bahnstreik Lokführer gehen auf Kollisionskurs

Die Lokführergewerkschaft GDL hat erneut zu bundesweiten Warnstreiks aufgerufen. Die harte Gangart erinnert an das Jahr 2007, als die GDL für einen eigenständigen Tarifvertrag streikte. Wird es dieses Mal noch schlimmer? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Bahnfahrenden drohen Streiks: Quelle: dpa

Die Begründung von Donnerstag vor einer Woche wirkte kurios: Wegen der laufenden Ski-Weltmeisterschaft in Garmisch-Patenkirschen, so hieß es aus der Presseabteilung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), würde der geplante Ausstand auf diese Woche verschoben. Möglicherweise war der Grund nur vorgeschoben. Selbst am vergangenen Freitag Mittag waren sich die Gewerkschafter noch immer uneins, wann und wie gestreikt werden soll.

Am Dienstag dieser Woche und heute Freiteag führten die Warnstreiks der GDL zu erheblichen Beeinträchtigungen des bundesweiten Bahnverkehrs. Das Hin und Her in der Streikstrategie täuscht jedoch über die wahre Eintracht der GDL hinweg, wenn es um die angepeilten Ziele geht. Denn da weiß die Gewerkschaft ganz genau, wofür sie kämpft: Ein bundesweiter Flächentarifvertrag soll allen 26.000 Lokführern im Nah-, Fern- und Güterverkehr auf der Schiene den gleichen Lohn sichern, egal für welches Unternehmen sie arbeiten. Die Löhne sollen dem Niveau der Deutschen Bahn entsprechen. Hinzu kommen Lohnsteigerungen bei der Deutschen Bahn. Die GDL fordert somit ein Lohnniveau von 105 Prozent des derzeitigen Konzerntarifs beim Staatskonzern Deutsche Bahn. GDL-Chef Claus Weselsky weiß um seine Stärke. Als Spartengewerkschaft ist die GDL mächtiger denn je. Kommt es nun zu einem erneuten Showdown auf der Schiene? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wann wird gestreikt?

Die GDL kündigte die ersten Warnstreiks für den Dienstag an. Genauer Zeitpunkt, Ausmaß und regionale Schwerpunkte wurden kurzfristig bekanntgegeben werden. Der erste Arbeitskampf dauerte nicht länger als drei Stunden, führte aber bundesweit zu erheblichen Zugverspätungen. Auch heute morgen streikten die GDL-Mitglieder erneut: Von 8.30 bis 11.30 Uhr. Bundesweit fielen im Nah-, Regional- und Fern- sowie Güterverkehr Züge aus oder erreichten ihr Ziel mit massiver Verspätung. 

Von der Aktion ausgenommen war einzig die Berliner S-Bahn, die ohnehin nur eingeschränkt fährt. Besonders betroffen waren das Rhein-Main-Gebiet sowie der S-Bahn-Verkehr in Hamburg und  Stuttgart.

Von den Streikmaßnahmen ausgenommen sind die Unternehmen des Schienengüterverkehrs. Die GDL führt derzeit noch mit den sechs großen Schienengüterverkehrsunternehmen (SGV6 genannt) Gespräche, darunter zum Beispiel die MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft, rail4chem Eisenbahnverkehrsgesellschaft und SBB Cargo Deutschland. „Hier führen wir noch sehr positiv verlaufende Verhandlungen“, sagte GDL-Chef Weselsky vergangene Woche.

 Zeitgleich mit dem ersten Warnstreik wird die GDL auch die Urabstimmung einleiten. Das Ergebnis werde etwa zwei Wochen später feststehen. Erst danach wären unbefristete Streiks möglich.

Wer verhandelt mit wem?

Die Tarifverhandlungen sind komplexer denn je, denn Eisenbahnen und Gewerkschaften verhandeln teilweise separat voneinander, teilweise gemeinsam. Am 14. Februar hatten Deutsche Bahn und die sechs großen Wettbewerbsbahnen (Benex, Abellio, Veolia, Keolis, Hessische Landesbahnen und Arriva Deutschland – G6 genannt) einen Branchentarifvertrag unterzeichnet, der unter Schlichtung von Ex-Verteidigunsminister Peter Struck (SPD) mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ausgehandelt worden war. Doch dieser Vertrag gilt vor allem für Zugbegleiter, Fahrdienstleister und Disponenten. Für die Lokführer hat die GDL die Verhandlungen übernommen. Doch anders als bei den Gesprächen mit der EVG, sitzen die beiden Arbeitgebergruppen und die Gewerkschaft nicht gemeinsam an einem Tisch. Die GDL verhandelt einzeln sowohl mit den Wettbewerbern der Deutschen Bahn (G6) über eine Angleichung der Löhne auf das Niveau der Deustchen Bahn als auch mit Vertretern der Deutschen Bahn über eine Erhöhung des Tariflohns. Am Ende des Tages erhofft sich die GDL eine Tariflohnangleichung inklusive der Lohnsteigerung.

Wie weit liegen die Parteien auseinander?

Eigentlich ist die Differenz auf dem ersten Blick nicht sehr hoch. In dem Branchentarifvertrag zwischen der Eisenbahnergewerkschaft EVG, Deutsche Bahn und den Wettbewerbern (G6) liegen die Lohnunterschiede bei maximal 6,25 Prozent. Lokführer der Wettbewerbsbahnen liegen also nur noch geringfügig unterhalb der Löhne beim Staatskonzern. Die Parteien feierten das Ergebnis bereits als fairen Ausgleich. Insbesondere die G6-Gruppe unter Vorsitz der Unternehmen Benex und Veolia betonten wiederholt, dass der Branchentarifvertrag die „spezifischen Erfordernisse und Charakteristika der Nahverkehrsbranche“ anerkenne. Obwohl die G6-Gruppe sich beim Lohn recht weit an das Niveau der Deutschen Bahn heran wagte, behielten die Unternehmen ein Stück Flexibilität. Diesen Wettbewerbsvorteil will die GDL einkassieren. Aus dem Umfeld der Arbeitgeber ist zu hören, die GDL hätte sich bislang keinen einzigen Zentimeter bewegt. Sie fordert weiterhin ein Lohnniveau von 105 Prozent des derzeitigen DB-Tarifs und sei zu keinerlei Zugeständnisse bereit. Eine Schlichtung lehnte die GDL bislang kategorisch ab.Insofern sind die Fronten durchaus verhärtet. Die Nahverkehrsunternehmen argumentieren, der Job eines Lokführers in einem Regionalexpress oder bei einer S-Bahn sei leichter als die Arbeit im Schienengüter- und Fernverkehr, wo grenzüberschreitende und ermüdende Nachtfahrten die Regel seien.

Geht es der GDL nur um bessere Löhne?

Nein. Die GDL fordert auch, die Lokführer künftig besser gegen Berufsunfähigkeit abzusichern. Pro Jahr gebe es im Schnitt 800 Suizidfälle, und nicht jeder Lokführer könne nach einem Unfall mit Personenschaden weiterfahren. Deshalb müsse er tarifvertraglich geschützt, statt in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden. In diesem Punkt dürfte es im Laufe der Verhandlungen Annäherung geben. Entscheidend für die starre Haltung der GDL ist aber ein ganz anderer Aspekt. Vor drei Jahren haben die Lokführer in einer harten Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn einen eigenständigen Tarifvertrag erzwungen. Seit 2008 kann nur noch die GDL Löhne und Arbeitsbedingungen der Lokführer mit der Deutschen Bahn verhandeln. Die GDL steht dadurch im Wettstreit mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG, die erst jüngst durch die Fusion der beiden Eisenbahnergewerkschaften Transnet und GDBA entstanden ist. Vor allem bei den Wettbewerbsbahnen sind EVG und GDL erbitterte Feinde, da beide Gewerkschaften um die Gunst der Lokführer buhlen. Beide Gewerkschaften haben bei den G6-Bahnen Mitglieder. Nun geht es vor allem GDL-Chef Weselsky darum, sich als besserer Vertreter der Lokführer zu profilieren und der EVG Mitglieder abzujagen. Nach eigenen Angaben vertritt die GDL bislang 70 bis 80 Prozent der Lokführer in Deutschland. Da ist noch Potenzial.

Wie schlimm war der Streik 2007/2008?

Ende 2007 und 2008 kämpften die beiden Sturköpfe Manfred Schell von der GDL und Bahnchef Hartmut Mehrdorn gegeneinander. Die GDL forderte einen eigenständigen Tarifvertrag und Einkommenssteigerungen von bis zu 31 Prozent. Mehdorn schickte seine besten Leute in den Ring, um die Forderungen abzuwiegeln. Am Ende gab es elf Prozent mehr Lohn und einen eigenständigen Tarifvertrag.

Die Bilanz des Bahnstreiks war beispiellos: Im November 2007 ging zweieinhalb Tage gar nichts. Danach folgten mehrere Wochen und Monate lang einzelne Streiktage und Verbalschlachten im Fernsehen und Tageszeitungen. In der Wirtschaft gab es Lieferschwierigkeiten und vereinzelt Produktionsausfälle. Auch im Ausland, etwa bei belgischen Firmen geriet die Produktion ins Stocken, weil sie nicht mehr mit Waren aus Deutschland beliefert werden konnten. Erst der Abschluss im März 2008 brachte Ruhe in den Konflikt. Die Deutsche Bahn bezifferte die Kosten für das Unternehmen auf rund 170 Millionen Euro. So viel Umsatzeinbußen musste der Konzern durch den Ausstand der Lokführer verkraften.

Berechnungen des Vereins für Socialpolitik hingegen kommen zu deutlich höheren Belastungen. Der Lokführerstreik von 2007 und 2008 habe die Deutsche Bahn und die gesamte Wirtschaft insgesamt rund 500 Millionen Euro gekostet. Ausschlaggebend dafür waren vor allem die Kosten im Schienengüterverkehr. Weil einige Güterzüge nicht fuhren, beklagten Unternehmen Produktionsunterbrechungen und -ausfälle.  Ein Streiktag im Güterverkehr kostete die Wirtschaft damals rund 35 bis 45 Millionen Euro. Mit acht Streiktagen schlug der Ausstand bei den Unternehmen damit mit rund 360 Millionen Euro zu Buche.

Im Personenverkehr verursachte der Streik deutlich geringere Kosten. Die Belastungen vor allem im Fernverkehr beliefen sich auf rund 100 Millionen Euro, weil Konferenzen, Messen und Geschäftstermine abgesagt werden mussten. Die Kosten für Ausfälle im Nahverkehr seien dagegen zu vernachlässigen.

Wird der jetzige Streik schlimmer als der von 2007/2008?

Davon ist nicht auszugehen. Der GDL ging es damals um ihre Existenz, wollte sie nicht von den beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA geschluckt werden. Der Kampf für einen eigenständigen Tarifvertrag war ein Ziel, für das der damalige GDL-Chef Manfred Schell so ziemlich alles riskierte.

Doch unterschätzt werden darf der derzeitige Konflikt nicht, auch wenn es nur um die Lohnhöhe geht. Die GDL sitzt am Schalthebel der Mobilität und hat schon 2008 gezeigt, dass sie die Deutsche Bahn in die Knie zwingen kann. Zudem gilt der heutige GDL-Chef Weselsky als der kompromisslosere Gewerkschafter (Details dazu im wiwo.de-Porträt von Klaus Weselsky). Hinzu kommt: Die GDL wird ihre bisherige Streiktaktik, die sie in den vergangenen beiden Jahren an den Tag gelegt hat, ändern. Die GDL fuhr bislang vor allem eine Strategie der Nadelstiche. Sie bestreikte mal hier, mal dort ein kleines Bahnunternehmen, das gegen die Interessen der GDL-Mitglieder arbeitete. Diese Strategie war wenig erfolgreich. Die Öffentlichkeit nahm diese Hauskämpfe kaum wahr. Nun wird die GDL aller Voraussicht nach ihre bundesweite Macht ausspielen. Bestreikt sie den Regional- und Fernverkehr bundesweit, werden die Auswirkungen auf Wirtschaft und Fahrgäste spürbar höher.

Gibt es bei Verspätungen wegen des Streiks Anspruch auf Erstattung?

Nein. Rein rechtlich haben Reisende keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkarte. Auch wenn es wegen des Streiks zu Verzögerungen kommt, die die Weiterreise behindern, besteht kein Anspruch auf Ersatz der Folgekosten. Verpasst der Kunde etwa seinen Anschlusszug oder das Flugzeug, gibt es keinen generellen Anspruch auf Entschädigung.

Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) empfiehlt aber, den Verkehrsunternehmen zu schreiben und auf eine kulante Regelung zu setzen - unabhängig von der rechtlichen Lage. Ob die Bahnen dem einzelnen Reisenden entgegenkommen, hängt dann auch vom Ausmaß des Streiks ab. Bei flächendeckenden Streiks wird es schwieriger, auf Erstattungen der Fahrpreise zu hoffen.

Allerdings hat zumindest die Deutsche Bahn bereits kulante Regelungen angekündigt. Zum einen wollte die die Auswirkungen für Reisende gering halten, indem sie zusätzliches Personal an den Bahnhöfen mobilisiert. Zudem kündigte sie laut Nachrichtenagentur DPA an, die Kosten für jene Kunden zu erstatten, die wegen des Streiks Anschlusszüge verpassen oder eine Reise komplett absagen. 

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