Bahntechnik Chinesen hängen Siemens ab

Eisenbahnbauer aus dem Osten bedrohen die Pfründen der Marktführer Siemens, Alstom und Bombardier.

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Der neue ICE 3 Quelle: AP

Nur ungern erinnert sich Wang Qian an die Zeiten, als es in China noch keine Hochgeschwindigkeitszüge gab. „Mehr als 13 Stunden brauchte ich für die knapp 900 Kilometer von Peking nach Qingdao“, sagt die 30-jährige Mutter. Manchmal habe der Zug wegen einer Panne stundenlang auf freier Strecke gestanden.

Jetzt nimmt die Frau in Wagen 13 des neuen Hochgeschwindigkeitszugs „Hexie“ („Harmonie“) Platz und lehnt sich entspannt zurück. In nur fünfeinhalb Stunden wird sie in Qingdao sein. Den Komfort verdankt die Chinesin vor allem Ausländern. Die Zugtechnik stammt aus Japan, die Signal- und Steuerungstechnik von Siemens. Der deutsche Eisenbahnbauer ist in China dick im Geschäft. Im vergangenen Herbst erhielten die Münchner einen Auftrag über 140 Superschnellzüge auf Basis des ICE3, den sie zusammen mit dem chinesischen Hersteller CNR bauen.

Deutschland weit vorn

Doch die Freude über solche Aufträge wird bei Siemens nicht ungetrübt bleiben. Denn der deutsche Traditionskonzern und mit ihm die anderen beiden großen europäischen Eisenbahnbauer, Bombardier Transport mit Sitz in Berlin und Alstom, ansässig in Paris, kommen mit solchen Geschäften mittelfristig ganz schön in die Bredouille. Bildete das Trio aus Bombardier, Alstom und Siemens vor drei Jahren noch unangefochten die Spitze der drei größten Hersteller für das rollende Material wie Lokomotiven, Triebzüge und Wagen, so haben sich inzwischen die beiden führenden chinesischen Hersteller CNR und CSR dazwischengeschoben und Siemens auf Platz fünf verwiesen. Die beiden staatseigenen Giganten haben ihren Umsatz mit Schienenfahrzeugen seit 2005 auf zusammen 5,5 Milliarden Euro verdoppelt. „In den kommenden Jahren dürfte der Vorsprung der Europäer weiter schrumpfen“, sagt Maria Leenen, geschäftsführendeGesellschafterin des auf den Bahnmarkt spezialisierten Beraters SCI.

Lange Zeit galt die internationale Eisenbahnindustrie als Beleg für die These, dass in reifen Branchen nach zahllosen Fusionen irgendwann nur noch wenige Player übrigbleiben, die den Markt untereinander aufteilen. Die Väter dieser Voraussage waren vor rund acht Jahren Mitarbeiter der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Tatsächlich hatte sich die Branche seit den Achtzigerjahren stark konsolidiert: Allein das Trio Bombardier, Alstom und Siemens schluckte in den vergangenen 30 Jahren über 100 selbstständige Firmen.

Doch offenbar hatten die Consulter nicht weit genug gen Osten geblickt. Allen voran die Chinesen und Russen begnügen sich mittelfristig nicht mehr mit ihren Heimatmärkten, sondern nutzen die bisherigen Spitzenreiter als Steigbügelhalter für die Gegenattacke.

Die Eisenbahnindustrie ist alles andere als eine Nischenbranche. Die Bahnbauer setzen weltweit jährlich über 130 Milliarden Euro um. Deutschland ist dabei das bedeutendste Bahnbauland der Welt. Drei der weltweit zehn größten Bahnbauer haben hier ihren Sitz: die Bahntechniktochter des kanadischen Mischkonzerns Bombardier, Siemens und der sauerländische Gleistechnik- und Lokomotivhersteller Vossloh. Die Eisenbahnindustrie rangiert mit 45 000 Mitarbeitern vor der Mineralöl-, der Schiffsbau- oder Bekleidungsindustrie.

Gefährliche Nachrücker

Die Krux für die deutschen Eisenbahntechniker liegt jedoch darin, dass das Geschäft im Inland in den vergangenen fünf Jahren um 17 Prozent sank, während es im Ausland um 40 Prozent stieg. „Die Märkte für Bahntechnik in China oder in Russland sind weitaus dynamischer als in Deutschland“, sagt Siemens-Mobility-Chef Hans-Jörg Grundmann.

Weil die deutschen und europäischen Anbieter in Russland oder China aber nur unter der Bedingung Fuß fassen dürfen, dass sie – von Ausnahmen abgesehen – in Gemeinschaftsunternehmen mit Einheimischen den Markt beliefern, züchten sie ihre Konkurrenz selbst heran. In Russland baut Siemens zum Beispiel mit dem russischen Wettbewerber Sinara Doppelloks am Ural; die Antriebstechnik wird in der Nähe von Petersburg hergestellt. Bereits unterschrieben ist ein Abkommen über 240 Vorortzüge im Wert von 2,2 Milliarden Euro mit der Aeroexpress, einer Tochter der russischen Staatsbahn RZD. Die Züge sollen zunächst im Siemenswerk Krefeld entstehen, ab 2012 will das Joint Venture in Russland produzieren.

Know-How fehlt

Lediglich den Sapsan, einen Hochgeschwindigkeitszug auf der Basis des ICE für die Strecken Moskau–Sankt Petersburg und Moskau–Nischni Nowgorod, durfte Siemens exklusiv herstellen. Den Russen fehlt dafür schlichtweg das Know-how.

Alstom geht noch weiter: Im Frühjahr vereinbarten der Siemens-Erzkonkurrent und die russische Transmaschholding (TMH) die schrittweise Übernahme von 25 Prozent der TMH-Anteile bis 2012 und eine strategische Partnerschaft. Alstom liefert Superschnellzüge nach Russland für die Strecke Sankt Petersburg–Moskau. Dazu kommen 200 Lokomotiven, die Alstom mit TMH baut.

So gestärkt, kann der russische Branchenriese zu einem Wettbewerber für Westeuropäer aufsteigen. Das Unternehmen, das 2009 einen Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro einfuhr und 57 000 Mitarbeiter an zehn Standorten beschäftigt, hat den russischen Markt voll unter Kontrolle. Der Marktanteil bei Elektroloks in Russland lag zuletzt bei 98 Prozent, bei elektrisch betriebenen Personenzügen, die Siemens besonders interessieren, bei 85 Prozent. Denn beim Massengeschäft mit Waggons oder Güterlokomotiven geben die Russen ihren einheimischen Herstellern den Vorzug.

Jetzt schon greift TMH auf den Nachbarmärkten an: Erst vor Kurzem kauften die Russen den ukrainischen Marktführer. Nächstes Jahr will TMH in der Ukraine 100 Lokomotiven für die russische Staatsbahn RZD und 50 Triebfahrzeuge für die mongolische Eisenbahn bauen.

Geradezu flächendeckend rollen die Chinesen den Eisenbahnmarkt auf, indem sie alle großen Hersteller aus Europa und Japan in Joint Ventures einbinden und deren Know-how anzapfen. Bombardier etwa baut 80 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ Zefiro zusammen mit dem chinesischen Produzenten CSR. Siemens und Alstom kooperieren mit CNR. Kawasaki aus Japan tat sich mit CSR zusammen, um einen Superzug auf Basis des japanischen Flitzers Shinkansen zu produzieren. Dazu kommen noch unzählige Gemeinschaftsprojekte im U-Bahn-Bau, im Schienenbau oder in der Signaltechnik.

Der japanische

Technisch dürften die Chinesen mit der Konkurrenz von Siemens, Alstom, Bombardier oder Kawasaki und Hitachi aus Japan schon bald mithalten, prophezeien Experten. „Die Beziehung zwischen den chinesischen Herstellern und ihren ausländischen Partnern ändert sich definitiv“, sagt Iain Carmichael, Experte für Transportwesen bei der Beratungsgesellschaft Lloyd’s Register Rail Asia. China könne heute Technologie anbieten, die internationalen Standards entspräche. „Aus Partnern sind Konkurrenten geworden.“

In Schwellenländern des Nahen Ostens und in Afrika, aber auch in Argentinien und Brasilien sind die chinesischen Konzerne tätig. Im vergangenen Jahr bestellten mit Australien und Neuseeland die ersten entwickelten Länder Züge bei CSR. Insgesamt zog der Konzern 2009 Auslandsaufträge mit einem Volumen von 1,2 Milliarden US-Dollar an Land. Das sind zwar nur knapp zehn Prozent des Gesamtumsatzes des Konzerns, im Vergleich zum Vorjahr allerdings mehr als 60 Prozent. Insgesamt könnten Chinas Hersteller weltweit schon bald auf einen Marktanteil von zehn Prozent kommen, prognostizieren die Experten bei Nomura in Hongkong.

Starke Bahnbauer aus Nippon

Damit nicht genug: Auch die Japaner, schon in den Fünfzigerjahren Vorreiter in der Hochgeschwindigkeitstechnik, machen den europäischen Herstellern das Leben schwer. Jahrzehntelang hatten Kawasaki, Mitsubishi, Toshiba oder Hitachi das Auslandsgeschäft nur zögerlich vorangetrieben. Doch seit einigen Jahren sind sie in China äußerst aktiv und gehen mit ihren chinesischen Partnern auch ins Ausland wie zum Beispiel im vergangenen Jahr nach Singapur, wohin Kawasaki und CSR 22 U-Bahnen liefern. In England soll Kawasaki-Konkurrent Hitachi für den Ausbau des Schnellzugnetzes 140 Züge mit jeweils zehn Waggons liefern. Auch in Frankreich, so der Hitachi-Europa-Vertriebschef Mac Motraghi, wolle der Konzern künftig bei Ausschreibungen mitmischen.

Erst recht in Deutschland stehen die Tore für den japanischen Technologieriesen weit offen. Die Deutsche Bahn ärgert sich darüber, dass das eingespielte Team von Bombardier, Siemens und Alstom beim Wettbewerb untereinander wenig Sportsgeist zeigen. „Die liefern sich ein Freundschaftsspiel“, ärgert sich ein Bahnmanager, „und wir zahlen überhöhte Preise.“ Die Bahn hatte deshalb wiederholt Emissäre nach Japan geschickt, um japanische Unternehmen zur Beteiligung an Ausschreibungen zu ermuntern. Für das ausstehende Großprojekt der Deutschen Bahn von 300 Schnellzügen dürfte es jedoch zu spät ein: Siemens ist der Favorit, wenn auch Bahn-Chef Grube betont, dass die Preisvorstellungen noch weit auseinanderliegen.

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