Es gibt diesen Moment, da öffnet sich auch bei sonst so kühl kalkulierenden Investoren das Herz. Die 80 Eigentümer der Kölner Sport- und Konzerthalle Lanxess Arena spüren das jedes Mal auf ihrer jährlichen Gesellschafterversammlung. Zieht sich die Diskussion über Mieten und Renditen zu sehr in die Länge, genießt manch einer den tollen Ausblick. Vom Konferenzraum direkt unter der imposanten Dachkonstruktion aus Stahl lässt sich die gesamte Halle mit ihrem Fassungsvermögen von maximal 20 000 Zuschauern überblicken. Einer, der dabei war, empfindet bei dem Anblick auch Stolz: Zu Lebzeiten im Stadtbild einen zweiten Fixstern neben dem Kölner Dom geschaffen zu haben, das tröstet über Durststrecken hinweg – auch wenn der Miteigner dies öffentlich nie zugeben würde.
Zum Schwelgen in Erinnerungen werden die Gesellschafter in Zukunft noch mehr Zeit haben. Denn der Bauherr der 1998 unter dem Namen Köln-Arena eröffneten zweitgrößten Mehrzweckhalle Europas – ein vom Troisdorfer Projektentwickler Josef Esch gemeinsam mit dem Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim aufgelegter geschlossener Immobilienfonds – bereitet den Verkauf vor. Das geht aus internen Protokollen und Unterlagen hervor, die die WirtschaftsWoche einsehen konnte. Auf der letzten Gesellschafterversammlung am 25. September, an der neben Fondsgeschäftsführer Esch auch Georg Baron von Ullmann und Thomas Bscher als Vertreter der ehemaligen Sal.-Oppenheim-Gesellschafter teilnahmen, wurden die Ausstiegspläne erstmals vorgelegt und diskutiert. Gelingt der Coup, winkt den Anlegern ein Erlös von mehr als einer halben Milliarde Euro – Geld, dass einige Fondszeichner dringend brauchen.
Die Geschichte von Sal. Oppenheim
Salomon Oppenheim gründet in Bonn eine Bank
Umzug nach Köln
Mit der Finanzierung von Eisenbahnen und dem Einstieg ins Versicherungsgeschäft steigt die Bank auf
Auf Druck der Nazis Umbenennung in Pferdmenges & Co. (bis 1947)
Alfred von Oppenheim (gest. 2005) wird Chef und baut die Betreuung reicher Privatkunden auf
Verkauf der Anteile an der Colonia Versicherung, Beginn der Zusammenarbeit mit Josef Esch
Ex-Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl führt Sal. Oppenheim.
Matthias Graf von Krockow folgt ihm.
Mit dem Kauf der BHF Bank wird Sal. Oppenheim zur größten Privatbank Europas. Esch-Projekte wie der Neubau der Kölner Messe geraten in die Kritik.
Die Bank macht erstmals Verlust
Durch die Pleite des Handelskonzerns Arcandor, mit dem die Bank über Kredite und Aktienbeteiligung eng verbunden ist, gerät Sal. Oppenheim in eine existenzbedrohende Krise
Die Deutsche Bank übernimmt Sal. Oppenheim komplett.
Zahlreiche Prozesse von Anlegern wegen Verlusten bei Oppenheim-Esch-Fonds. Die Staatsanwaltschaft Köln erhebt Anklage gegen die Ex-Bankführung und Josef Esch, Prozessbeginn wohl Anfang 2013
Vor allem die ehemals persönlich haftenden Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim, die Adelsfamilien Oppenheim, Ullmann und Krockow – alle auch im Arena-Fonds investiert – suchen nach Auswegen aus einer akuten Notlage. Einst standen sie auf den Ranglisten der reichsten Deutschen weit oben, doch inzwischen haben sie sich mit ihren oft kreditfinanzierten Investments an den Rand des persönlichen Ruins manövriert. Bei einigen übersteigen die aufgenommen Kredite das vorhandene Privatvermögen deutlich.
Zugleich machen etliche reiche Kunden die ehemalige Sal.-Oppenheim-Führungsriege für ihre Vermögensverluste bei den Fonds verantwortlich und haben Klage eingereicht. Viele frühere Geschäftspartner liegen miteinander im Clinch, und so bilden jetzt Gerichtssäle die Kulisse einer Nibelungensaga, in der es um Geld, Gier und Genugtuung geht.
Zentrale Schlachtfelder
Auf drei zentralen Schlachtfeldern wird der Kampf um das Erbe von Sal. Oppenheim ausgefochten:
Madeleine Schickedanz, Tochter des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz, will ihren tiefen Fall nach der Pleite des Handelskonzerns KarstadtQuelle vor Gericht stoppen und streitet vom 18. Dezember an gegen frühere Geschäftspartner aus dem Oppenheim-Esch-Umfeld um insgesamt 1,9 Milliarden Euro. Die Quelle-Erbin präsentiert sich dabei als Marionette in einem Milliardenspiel. Doch geheime Dokumente wecken Zweifel an ihrer Version.
Auch enttäuschte Anleger des Oppenheim-Esch-Immobilienfonds drohen mit einem Prozessmarathon durch die Instanzen und kämpfen um die Rückabwicklung mehrerer Fonds. Hier geht es um Streitwerte von mehreren Hundert Millionen Euro.
Wenn nun das gemeinsam von Sal. Oppenheim und Esch aufgebaute Immobilien-Imperium peu à peu abgewickelt wird, bleibt vom einstmals so traditionsreichen Geldhaus nicht viel übrig. Die ehemalige Bankführung muss sich zudem gegen eine Reihe strafrechtlicher Vorwürfe zur Wehr setzen. Nach Informationen der WirtschaftsWoche steht eine weitere Anklage unmittelbar bevor, zudem hat die Staatsanwaltschaft Köln ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Verfahren werden das angeschlagene Image der Bank weiter ramponieren.
Das Rheingold
Der Komplett- oder Teilverkauf der Fonds wäre ein Megaprojekt, mit dem die Altgesellschafter von Sal. Oppenheim ein letztes Mal ins operative Geschehen eingreifen können. 72 Projekte, unisono als geschlossene Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet, legten Sal. Oppenheim sowie die persönlich haftenden Gesellschafter Matthias Graf von Krockow und Christopher Freiherr von Oppenheim gemeinsam mit dem Troisdorfer Maurerpolier Esch auf. Rund vier Milliarden Euro sammelten sie bei den Reichen in Deutschland ein. Konzipiert als Steuersparmodell und gelockt mit dem Versprechen eines risikoarmen Investments, nahmen 250 Kunden die Einladung der Privatbank an und steckten einen Teil ihres Vermögens in meist mehrere Fonds.
Wer zögerte, bekam noch eine Garantieerklärung als Zugabe: Die Familie sei ja auch dabei. Gemeint war die Führungsriege von Sal. Oppenheim. „Wenn etwas schiefläuft, nehmen wir die Anteile zurück“, erinnert sich Fondsanleger Thomas Pachmann, Ex-Manager der Deutschen Bank, an ein Gespräch mit Christopher von Oppenheim. Der Zusage habe er vertraut: „Sal. Oppenheim – das war ein Name wie Donnerhall.“ Oppenheim widersprach vor Gericht, er habe keine Rücknahmegarantie gegeben: „Das habe ich so nicht gesagt. Da bin ich mir 100-prozentig sicher.“
Pachmann war in bester Gesellschaft. Die Gesellschafterlisten der Fonds lesen sich wie das Who’s who der deutschen Wirtschaft. Mit von der Partie unter anderem: der Neusser Industrielle Anton Werhahn, Ex-VW-Chef Carl Hahn, der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont, der frühere Daimler-Vorstand Klaus Mangold, Unternehmer Hubertus Benteler, Mitglieder der Haribo-Gründerfamilie Riegel, die Erben des 2007 verstorbenen Kölner Stahlhändlers Otto Wolff von Amerongen, Ex-Karstadt-Boss Wolfgang Urban und Hans Reischl, einst Chef von Rewe.
Anleger mit wackligen Oppenheim-Esch-Investments
Ex-Bundesbank-Chef
Quelle-Erbin
Schuhhändler
Ex-Axa-Manager
Maxdata-Gründer
LTU-Erbin
Haniel-Miteigentümer
Ex-Rewe-Chef
früherer VW-Chef
Ex-KarstadtQuelle-CEO
Erbe
Unternehmer
Verleger
Ex-Karstadt-Chef
Douglas-Patriarch
Erbin
Viele sind mit ihrem Investment zufrieden. Denn etwa zwei Drittel der Fonds laufen gut und halten die Renditeversprechen, die Sal. Oppenheim den Investoren-Promis vor der Zeichnung zugesichert hat.
Dafür ist der Ärger umso größer bei den Schrott-Fonds wie den fünf Karstadt-Immobilien oder den Fernsehstudios in Hürth und Köln-Ossendorf, die Mietkürzungen und Leerstände zu verdauen haben. Den Anlegern drohen dort Verluste in dreistelliger Millionenhöhe.
Deichmann fordert 165 Millionen zurück
Früher eng mit dem Bankhaus verbundene Unternehmer wie die Familie des Schuhhändlers Deichmann, der Bankiers-Erbe Wilhelm Finck jr. sowie etwa 20 weitere Kläger ziehen gegen Esch und das Bankhaus juristisch zu Felde und fordern mit Schadensersatzklagen die Rückabwicklung dieser Fonds. Ihr Vorwurf: Über Risiken seien sie nicht ausreichend aufgeklärt worden. Allein Deichmann, der sich an elf Fonds beteiligt hat, will Einlagen in Höhe von 165 Millionen Euro zurück.
Auch der schillernde Ex-Manager Thomas Middelhoff zählt zu den Fondsrebellen. Sein Fall zeigt, wie schmerzhaft die Fehlinvestments selbst bei begüterten Bankkunden ausfallen können.
Middelhoff, der später beim Handelskonzern KarstadtQuelle das Kommando übernahm, hatte sich mit Ehefrau Cornelie an acht Oppenheim-Esch-Fonds beteiligt. Die Bank hatte den Middelhoffs weit mehr als 100 Millionen Euro für die steueroptimierten Investments geliehen.
Middelhoffs Reserven
Nachdem etliche Fonds jedoch nicht liefen wie erwartet, reichte Middelhoff Klage gegen Esch und Sal. Oppenheim ein und bediente den Millionenkredit nicht mehr. Die Banker behandelten ihn darob wie den Häuslebauer um die Ecke, der seinen Kredit nicht fristgerecht abstottert. Sie ließen als Sicherheit hauseigene Konten und Depots von Middelhoff sperren, auf denen rund 23 Millionen Euro Festgeld lagern. In einer Klage drängt das Bielefelder Power-Paar noch vor dem Hauptverfahren auf Freigabe des Geldes und rechnete dem Gericht ihre „Existenzgefährdung“ vor.
Doch die Richter des Oberlandesgerichts Köln winkten ab. Middelhoff solle erst einmal seine Reserven bei anderen Banken aufbrauchen. Auch das Millionendomizil an der Côte d’Azur böte sich zur Veräußerung oder Verpfändung an, um die Zeit bis zu den Hauptverfahren um die Fondsfinanzierung durchzustehen.
Die Chancen, dass Middelhoff und andere Kläger die Prozesse gewinnen, sind in den vergangenen Wochen nicht gestiegen. Denn das Landgericht Bonn hat in einem ersten Urteil die Klage des Milliardärs von Finck abgewiesen. „Der Kläger ist wirtschaftlich erfahren und daher hinsichtlich vieler Einzelfragen nicht aufklärungsbedürftig gewesen“, schreibt Richterin Margret Dichter in ihrem Urteil.
Einige der Kläger haben sich auch an der Lanxess Arena beteiligt. Mit 80 Zeichnern und einem durchschnittlichen Investment von acht Millionen Euro gehört der Fonds zu den größten Oppenheim-Esch-Projekten und wirft eine gute Rendite ab. Derzeit prüfen die Eigner, wie ein Verkauf über die Bühne gehen könnte. Eine Mehrheit hat im schriftlichen Umlaufverfahren bereits den Vorschlag abgesegnet, eine in diesem Fall sehr aufwendige Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben.
Der Plan ist, den als Ganzes schwer verkäuflichen Immobilienfonds mit dem offiziellen Namen Köln-Deutz Arena und Mantelbebauung GbR in zwei oder drei kleinere Teile zu zerschlagen. Die meisten hoffen, dass sich in getrennten Bieterverfahren Käufer finden lassen für die große Mehrzweckhalle, die vom Kölner Eishockeyclub „Die Haie“ genutzte Trainingshalle, das von der Stadt Köln für 30 Jahre angemietete technische Rathaus sowie das angrenzende Parkhaus.
Die vier Gebäude liegen auf zwei Grundstücken – da ist eine Aufspaltung kompliziert, aber möglich. Auch die bisher gemeinsam genutzten Versorgungsanlagen für Strom, Wasser und Telekommunikation müssten so aufgeteilt werden, dass ein schrittweiser Verkauf möglich ist. Von der Machbarkeitsstudie erhoffen sich die Investoren sinnvolle Teilungsvorschläge. „Insbesondere das Rathaus ist für Investoren wegen des langfristigen Mietvertrages hoch interessant“, heißt es aus dem Kreis der Gesellschafter.
Als Modell könnte ein Bürogebäude im Kölner Gewerbegebiet Butzweilerhof dienen, das die Sparkasse KölnBonn als Firmensitz bis 2024 angemietet hat. Der Oppenheim-Esch-Fonds Köln-Ossendorf IV, an dem neben Maxdata-Gründer Holger Lampatz auch der Paderborner Industrielle Hubertus Benteler sowie SchwarzPharma-Erbe Patrick Schwarz-Schütte beteiligt waren, wurde Ende September 2011 an die UniCredit-Tochter Wealthcap zum Preis von 72 Millionen Euro verkauft.
Aus dem Kreis der Ex-Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim machten dabei Christopher Freiherr von Oppenheim und Ilona Gräfin von Krockow Kasse. Beide hielten je drei Prozent der Fondsanteile. Das Versilbern kleinerer Millionenbeträge, vor Jahren undenkbar, steht nicht mehr auf der Tabuliste. Zu groß sind bei einigen Altgesellschaftern des Bankhauses die finanziellen Einbußen. Und nicht nur bei ihnen.
Kriemhilds Rache
Madeleine Schickedanz rauscht mit ihrem Ehemann und einem Tross von Sicherheitsleuten ins Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe. In ihrem Armani-Hosenanzug sieht sie „wunderschön aus“, vermeldet die Gesellschaftspresse im Mai 2006, es werden Thunfisch-Pralinés und Jacobsmuscheln gereicht. Gilt es doch, das 125-jährige Jubiläum von Karstadt zu feiern.
Unvorstellbar ist in jenen Tagen, dass der einst so stolze Handelskonzern nur drei Jahre später in die Pleite trudeln und sich Schickedanz mit ihrem Vermögensverwalter Esch und dem Bankhaus Sal. Oppenheim überwerfen wird. Auch an dieser Front bahnt sich eine Gerichtsschlacht an, die das Publikum wohl über Jahre mit pikanten Details aus dem Leben der Milliardärin a. D. unterhalten dürfte.
Am 18. Dezember um 11 Uhr verhandelt das Kölner Landgericht erstmals die Klage von Schickedanz gegen insgesamt 14 frühere Geschäftspartner aus dem Oppenheim-Esch-Umfeld. Das Verfahren unterscheidet sich grundsätzlich von den Klagen der Fonds-Anleger – nicht nur weil das Volumen den Rahmen sprengt. Schickedanz hatte sich lediglich am Kölner Messefonds von Oppenheim-Esch beteiligt. Verheerend wirkten sich aber ihre Spekulationen mit KarstadtQuelle-Aktien aus, für die sie neben dem Bankhaus auch Esch verantwortlich macht. Die Beklagten widersprechen: Die Dame habe schlicht ein allzu großes Rad gedreht und sich verzockt.
Die traute Liaison früherer Jahre ist mit der Klage endgültig dahin. Nach der Fusion des Quelle-Versands mit Karstadt 1999 war Schickedanz zur größten Aktionärin des Handelskonzerns aufgestiegen und hatte sich nach und nach mit zusätzlichen Aktien eingedeckt. Das Geld dafür streckte von 2001 an vor allem Sal. Oppenheim vor.
Die adeligen Privatbankiers tauften den ersten Aktiendeal – wohl in Anspielung auf die Nibelungensage – intern „Projekt Kriemhild“. Schließlich galt es einen Schatz zu heben: Schickedanz sollte als Großkundin gewonnen werden.
Tatsächlich mündete die erste Kreditvergabe bald in ein umfangreiches Mandat. Oppenheim-Immobilienpartner Esch wurde zu Schickedanz’ Berater in allen Lebenslagen von Vermögensfragen bis zu „Startzeiten für die Golfrunde“, wie Esch seine Rolle im „Spiegel“ beschrieb.
Schickedanz stockte ihre Anteile an KarstadtQuelle weiter auf. Die Bankiers stellten dafür das Kapital zur Verfügung – erst direkt, später, als Probleme mit der Bankaufsicht drohten, verdeckt über ein Finanzvehikel namens ADG. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat deshalb ermittelt. Die Nachforschungen sind nun abgeschlossen. Die Staatsanwälte haben ausreichend Hinweise auf strafbare Handlungen gesammelt und die Verteidiger zu einer abschließenden Stellungnahme aufgefordert. Die Anklage dürfte Anfang 2013 erfolgen.
Über Hintergründe und Zweck des Engagements bei KarstadtQuelle gehen die Schilderungen der Beteiligten derweil weit auseinander. Sie sind nun Gegenstand des Gerichtsstreits.
In der Schickedanz-Version folgen ihre Investments einer Art fremdgesteuertem Masterplan. Oppenheim und Esch hätten demnach das Immobilienvermögen von Karstadt zu Geld machen wollen. Um im Verborgenen zu bleiben und lästige Übernahmevorschriften zu umgehen, hätten sie die tüdelige Quelle-Erbin quasi als Strohfrau missbraucht, um sich gemeinsam mit anderen Oppenheim-Familienmitgliedern selbst am Handelskonzern zu beteiligen. Der juristische Charme: Wenn Schickedanz für die Aktienkäufe nur vorgeschoben wurde, muss sie für die Schulden nicht geradestehen – und die unlauteren Aktiendeals wären praktischerweise verjährt.
Madeleine als Marionette? Zumindest Zweifel an der Rührstory sind angebracht. Unterlagen, die die WirtschaftsWoche einsehen konnte, deuten darauf hin, dass Schickedanz schon früh auf die Risiken bei ihren Aktienkäufen hingewiesen wurde – von ihrem eigenen Sohn.
Revolte im Familienkreis
Am 15. Juni 2005 um 10.30 Uhr trafen sich in der früheren Quelle-Kapitale Fürth bei Nürnberg die Gesellschafter der Madeleine Schickedanz Vermögensverwaltung. In der Gesellschaft war die Familienhabe gebunkert. Zu den Inhabern zählten neben Schickedanz auch ihre Kinder aus früheren Ehen. Und nicht alle waren von Muttis kreditfinanzierten Shoppingtouren angetan.
Hans-Peter Mangold, Sohn aus erster Ehe, probte den offenen Aufstand. Er hatte im Vorfeld der Sitzung Anwälte eingeschaltet und verweigerte seiner Mutter bei der Versammlung die Entlastung. Er fühle sich nicht ausreichend informiert, halte die Geschäftspolitik für „riskant“ und könne „keine tragende Strategie“ erkennen, heißt es in dem geheimen Protokoll des Treffens.
Früher ohne Anwälte
Schickedanz war ob der Revolte im Familienkreis konsterniert. Sie sehe in den Argumenten ein Misstrauen ihr gegenüber. Auch ihre Eltern hätten vielfach vor kritischen Situationen gestanden, aber in der Familie sei nicht mit Anwälten verkehrt worden. „Wie ihre Eltern werde auch sie dort, wo sie das Risiko trägt, alleine entscheiden“, vermerkt das Protokoll.
Der Satz dürfte auch vor Gericht eine Rolle spielen: Schickedanz trägt das Risiko, sie entscheidet. Von Druck durch Esch oder Scheinkäufen für einen Oppenheim-Investorenclub ist selbst im Familienkreis nicht die Rede. Ihr Ehemann Leo Herl führte bei dem Treffen vielmehr aus, dass die Investition im Zuge der Kapitalerhöhung zwingend notwendig war, um eine Insolvenz abzuwenden. Mit späteren Aktienkäufen sollte der Markt beruhigt werden. Im Umfeld der Quelle-Erbin heißt es, die Strohfrau-Konstruktion sei damals angesichts der internen Spannungen auch innerhalb der Familie verschwiegen worden. Fest steht: Hätte die Quelle-Erbin die Einwände ihres Sohnes beherzigt, würde sie wohl noch zu den reichsten Deutschen zählen. Stattdessen muss die 69-Jährige nun darauf bauen, dass das Gericht ihr glaubt – oder ihre Anwälte einen Vergleich aushandeln.
Die Kompromissbereitschaft der neuen Sal.-Oppenheim-Führung scheint jedoch begrenzt. Nach Verrechnung von Sicherheiten und Kreditschulden könnte Schickedanz einen gewissen Lebensstil behalten, aber mehr – sprich: Schadensersatz – sei nicht drin, deutet ein Jurist an.
Götterdämmerung
Das Filmchen auf der Internet-Seite des Bankhauses Sal. Oppenheim ist zwei Minuten und 42 Sekunden kurz. „Über 220 Jahre Kontinuität“ verspricht der Werbeclip. Der seit 2010 amtierende Oppenheim-Chef Wilhelm von Haller joggt darin die Eingangstreppe der Bank in Köln hinauf oder liest auf dem Rücksitz seiner Limousine den Wirtschaftsteil. Dazu geben er und andere Vorstände wohlklingende Anlegermaximen von sich. Bekennen sich zur „besonderen Form der Wertschätzung“. Wollen durch die Kombination „aus Personen und Vermögen“ für ihre Kunden „die beste Bank der Welt“ sein. Denn: „Es geht darum, Versprechen zu halten.“
So soll sie aussehen, die neue blitzsaubere Oppenheim-Welt. Nicht einmal am Rande ist die Rede von Verfehlungen der Vergangenheit. Für manchen Oppenheim-Esch-Anleger ist das der blanke Hohn.
Von Beginn an ist die Deutsche Bank als Neu-Eigentümerin auf Distanz zu Esch gegangen. Doch ganz kann sie die Verbindung nicht kappen. Schließlich haben gerade besonders wohlhabende Kunden dort insgesamt mehr als vier Milliarden Euro investiert.
Wie gefährlich die Verquickung mit Esch werden kann, zeigt ein in einer Sendung des WDR zitiertes Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields. Die Risiken für die Deutsche Bank durch mögliche Forderungen geschädigter Anleger beziffert es auf 1,8 Milliarden Euro. Weiter heißt es, dass die Aufklärung über Risiken nicht den üblichen Standards entsprochen habe – ein Vorwurf, der den Klägern bei den bevorstehenden Prozessen Munition liefert. Die Deutsche Bank erklärt, das Gutachten sei „in einem frühen Stadium der Verhandlungen“ entstanden, die Rechtsrisiken hätten sich nicht materialisiert.
Unabhängigkeit unmöglich
Als Deutschlands größte Bank Sal. Oppenheim übernahm, galt der Kaufpreis von einer Milliarde Euro als Schnäppchen. Doch mit den bisher erfolgten Abschreibungen hat Deutschlands größtes Kreditinstitut nun schon knapp drei Milliarden Euro aufgewendet. Die Oppenheim-Tochter BHF ist die Deutsche Bank bis heute nicht losgeworden.
Um die Kosten zu drücken, baut Oppenheim in großem Stil Stellen ab. Bleiben werden nur etwa 450 Mitarbeiter. Für die vermutlich rund 400, die gehen müssen, werden hohe Abfindungen fällig.
Die Folgen des Kahlschlags dürften weit darüber hinausgehen: „Damit ist Unabhängigkeit in der bisherigen Form unmöglich“, sagt ein Insider. So wird die Bank vermutlich nicht nur ihre eigene IT-Abteilung, sondern auch die selbstständige Analyse von Fonds und Aktien aufgeben. „Auf vielen Produkten wird Oppenheim stehen, aber Deutsche Bank drin sein“, sagt ein Kenner der Bank. Bleiben wird zumindest vorerst der Name Sal. Oppenheim. Überlegungen, die Marke ganz aufzugeben, sind vom Tisch. Doch von der einst stolzen Bank bleibt nicht mehr als eine Fassade. „Die Zukunft ist eine reine Vertriebsplattform“, sagt ein früherer Top-Manager.
Als wertvolles Herzstück gilt die Oppenheim-Vermögenstreuhand (OVT). Das größte deutsche Family-Office betreut einige Superreiche und hat die Turbulenzen der vergangenen Jahre weitgehend unbeschadet überstanden. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass OVT demnächst näher an Wilhelm von Finck, das Family Office der Deutschen Bank, rückt. Das bringt die Gefahr mit sich, dass sich einige der Kunden von Sal. Oppenheim abwenden.
Oppenheim-Chef von Haller ist in den knapp drei Jahren an der Spitze zur tragischen Figur geworden. Er hat sich mit immensem Engagement in die Arbeit gestürzt, sich morgens um sieben mit Kunden zum Frühstück getroffen und bis spät in der Nacht mit ihnen telefoniert. Doch die Probleme sind offenbar zu groß für ihn. Obwohl sein Vertrag noch bis 2015 läuft, gilt er in der Deutschen Bank inzwischen als völlig isoliert. Die wichtigen Entscheidungen fallen ohne ihn.
Die Mission des Oppenheim-Chefs wird vor allem dadurch zur Sisyphus-Aufgabe, dass immer mehr Geschäfte der Vergangenheit ins Zwielicht geraten. Pikanterweise haben die Strafverfolger nach Informationen der WirtschaftsWoche nun ausgerechnet die Oppenheim-Zentrale selbst ins Visier genommen. Der Anbau des Bankhauses in der Enggasse ist in bewährter Zusammenarbeit mit Esch entstanden.
Den Staatsanwälten fiel bei ihren Ermittlungen auf, dass die Bank nach der Übernahme auffällig hohe Wertberichtigungen bilden musste. Sie haben deshalb ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Befragungen der Kriminalpolizei sind noch in einem frühen Stadium. Weitere Enthüllungen sind wahrscheinlich.