Neue Regelung bei Investmentbank Die Schattenseiten des unbegrenzten Urlaubs bei Goldman Sachs

Die Wall-Street-Bank Goldman Sachs versucht mit neuen Urlaubsregelungen ihre Beschäftigten an sich zu binden. Eine Studie warnt vor dem neuen System. Quelle: imago images

Nachdem sich die Belegschaft von Goldman Sachs über eine „unmenschliche“ Arbeitsbelastung mit 100 Stunden pro Woche beschwerte, gewährt die Bank Spitzenmanagern nun unbegrenzten Urlaub. Ist das wirklich eine Entlastung?

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Die Nachricht an die Mitarbeiter klingt nach maximaler Erholung: Wir kümmern uns „in jeder Phase ihrer Karriere“ um unsere Mitarbeiter, steht dort. Und: Man führe jetzt eine „flexible“ Urlaubsregelung ein, die „es euch ermöglicht, bei Bedarf freizunehmen, ohne einen festen Urlaubsanspruch zu haben.“ Bis vor wenigen Tagen hätte wohl niemand in der Wirtschaft angenommen, dass ausgerechnet die Investment Bank Goldman Sachs mal eine solche Nachricht, aus der das US-Medium CNBC zitiert, an ihre Mitarbeiter verschicken würde.

In der Vergangenheit klagten Mitarbeiter nämlich immer wieder über die enorme Arbeitsbelastung bei der Investmentbank. In einer internen Umfrage gaben Analysten, die gerade erst bei der Bank angefangen hatten, an, in der vergangenen Woche im Schnitt 105 Stunden gearbeitet zu haben. In der Präsentation zu der Umfrage heißt es: „Im Durchschnitt arbeiten Analysten im ersten Jahr über 95 Stunden pro Woche und schlafen fünf Stunden pro Nacht“. Zwar nahmen an der Umfrage nur 13 Analysten teil. Und dennoch traten ihre Berichte nicht nur an der Wall Street eine Debatte über die Arbeitsbelastung los: „Es gab einen Punkt, an dem ich ab morgens nicht mehr aß, duschte oder irgendetwas anderes tat, als bis nach Mitternacht zu arbeiten“, so ein Mitarbeiter von Goldman. „Mein Körper tut die ganze Zeit körperlich weh und psychisch bin ich an einem wirklich dunklen Ort“, so ein anderer.

Goldman Sachs will solchen Berichten mit der neuen Regelung zu unbegrenztem Urlaubsanspruch nun offenbar etwas entgegensetzen – und sich als attraktiver Arbeitgeber inszenieren. Die Investmentbank wählt damit einen Weg, den in den USA bereits Techfirmen wie Linkedin und Netflix eingeschlagen haben. Mit einem gravierenden Unterschied: Von der neuen Regelung profitieren bei Goldman nur die Spitzenmanager, also die „Geschäftsführer und Partner“ der Bank. Die Junganalysten, die 2021 in der internen Befragung von der ausufernden Arbeitsbelastung berichteten, wären davon also ausgenommen.

Das allerdings ist nicht mal das größte Problem an der neuen Regelung. Vielmehr ist die Regelung selbst das Problem. Denn in vielen Firmen zeigt sich, dass die Möglichkeit, unbegrenzte Urlaubstage zu nehmen, zum Gegenteil dessen führen, wonach die Sache erst einmal klingt: Beschäftigte nehmen weniger Urlaub als vorher, wo ihnen noch eine feste Zahl an freien Tagen zustand. Auf Onlineplattformen wie Reddit schildern Hunderte Nutzer solche Erfahrungen.

In der Vergangenheit berichteten auch Beschäftigte von Techunternehmen der WirtschaftsWoche, dass die völlige Freiheit sie unter Druck setzte. Sie orientierten sich bei der Urlaubsplanung an ihren Kollegen, die allesamt nur ein paar Tage im Jahr freimachten und wollten nicht unangenehm auffallen. „Zwei Wochen im Sommer, ein paar Tage um Weihnachten herum“, fasste ein Entwickler zusammen, was er im vergangenen Jahr aus der großen Freiheit gemacht hat. Viel weniger Urlaub als in den Jahren zuvor, als er noch bei anderen Unternehmen ohne unbegrenzte Urlaubsregelung arbeitete.

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Erschöpfung und Schuldgefühle

Und auch Studien zeigen, wozu der unbegrenzte Urlaubsanspruch führen kann: Forscherinnen und Forscher aus den Niederlanden, Österreich und Deutschland wiesen in einer gemeinsamen Untersuchung im März dieses Jahres zwar nach, dass unbegrenzte Urlaubstage im besten Fall bei den Mitarbeitern für mehr Motivation, höhere Produktivität und gesteigertes Wohlbefinden sorgen. Doch die negativen Effekte klingen deutlich bedrohlicher: Unbegrenzte Urlaubstage könnten im schlimmsten Fall zu „selbstgefährdendem Arbeitsverhalten“ samt „langen Arbeitszeiten und Erschöpfung“ führen. Außerdem könnten die Regelungen „Unsicherheits- und Schuldgefühle bezüglich der erforderlichen Arbeitserfüllung“ hervorrufen. Manche Mitarbeiter würden sich zwar Urlaubstage nehmen, aber trotzdem von zu Hause aus arbeiten, wenn die Schuldgefühle gegenüber den Kollegen, die sich nun allein um die stressige Arbeit kümmern, zu groß würden.

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Außerdem könnte das Fehlen formaler Regeln für die unbegrenzten Urlaubtage „zu neu entstehenden informellen Regeln führen, die nicht kommuniziert werden und soziale Konflikte verstärken“, schreiben die Forscher. So wie im Fall des Entwicklers, der der WirtschaftsWoche davon berichtete, dass in seiner Abteilung niemand die Regelung voll ausnutze und sich alle Kollegen an der Urlaubsplanung der anderen orientierten. Experten raten deshalb dazu, feste Urlaubstage zu vereinbaren, die Mitarbeiter auf jeden Fall nehmen müssen. Und sei es der gesetzliche Mindestanspruch von 20 Tagen bei einer Fünf-Tage-Woche. Darüber hinaus sollten Mitarbeiter dann frei entscheiden dürfen.

Eine ähnliche Regelung soll es von 2023 an auch bei Goldman Sachs geben, so berichtet CNBC. Alle Mitarbeiter sollten demnach mindestens drei Wochen Urlaub pro Jahr nehmen oder aber ihren Mindestanspruch an Urlaubstagen, falls dieser höher ist. Den Mitarbeitern unterhalb der Spitzenmanager hilft das nicht wirklich. Sie dürften die Nachricht eher als Appell verstehen, den Urlaub, der ihnen ohnehin schon zusteht, auch wirklich zu nehmen. Denn den unbegrenzten Urlaub erhalten sie nicht.



In Deutschland setzen bisweilen vor allem Start-ups auf eine Regelung für unbegrenzten Urlaub: die Bank Tomorrow und die Lebensmittelfirma Purefood aus Hamburg, das Münchner Mehrweg-Start-up Recup oder das Berliner PR-Unternehmen Getpress etwa. Den Kritiken zum Trotz treffen die Firmen damit einen Nerv: Eine Befragung, die das Marktforschungsunternehmen Appinio Ende Februar unter Beschäftigten in Deutschland durchgeführt hat, zeigt, dass mehr als 72 Prozent einen unbegrenzten Urlaubsanspruch bei ihrem aktuellen Arbeitgeber befürworten würden.

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