Bankier David de Rothschild "Das ist der Todeskuss"

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Bürgermeister in der Normandie

David de Rothschild im Jahr 2007 im Gespräch mit der Wirtschaftswoche

Bedauern Sie Ihre Entscheidung?

Nein, ich kompensiere das heute, indem ich mich auf dem Gebiet der Medizin engagiere. Ich bin Präsident einer französischen Stiftung, die sich mit psychischen Erkrankungen beschäftigt, und ich bin im Fundraising für ein internationales Forschungszentrum in Paris tätig, das sich mit Störungen des zentralen Nervensystems befasst. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Neurologie und Psychiatrie in den nächsten 20 bis 30 Jahren enorme Durchbrüche geben wird, die das Leben der Menschen verändern werden. Und ich bin sehr davon überzeugt, dass man einen Teil seiner Zeit der Gesellschaft widmen muss.

Waren Sie deshalb von 1977 bis 1995 Bürgermeister von Pont-l’Évêque in der Normandie? Wie kamen Sie dazu?

Ich kenne diesen Ort, seit ich vier oder fünf Jahre alt war. Als Kind habe ich mit meiner Mutter dort gelebt, später bin ich im nahe gelegenen Deauville...

...an dessen Strand Merkel und Sarkozy Ende 2010 über den Euro diskutierten...

...in die Schule gegangen. Ich habe in der Gegend auch ein Anwesen, das ich häufig aufsuche. Ich habe mein ganzes Leben lang sehr viel Zeit dort verbracht, es ist das Herz meiner Heimat. Und als der damalige Bürgermeister – er war über 80 Jahre alt – aufhörte, suchten sie einen Kandidaten. Sie kamen zu mir. Ich wurde gewählt.

Wie sehen Sie diese Zeit heute?

Investmentbanking ist eine ziemlich elitäre Angelegenheit. Eine Stadt mit 4.000 Einwohnern zu führen bedeutet hingegen, sich mit den Dingen des Alltags zu befassen. Mit Schulen, Sport und Wohnungen. In der Rezession 1992/93 kamen jeden Freitagnachmittag Menschen zu mir: Monsieur le Maire, ich kann meine Stromrechnung nicht bezahlen. Monsieur le Maire, mein Mann ist Polizist, er hat eine Stelle 300 Kilometer von hier bekommen, ich aber finde dort keinen Job, können Sie mir helfen?

Hat Sie diese Erfahrung geprägt?

Wenn Sie es richtig angehen, ist das eine ehrbare, nützliche Aufgabe. Manchmal sagt man mir, ich würde in einer Sphäre leben weitab von den Problemen der einfachen Leute – ich weiß aber wahrscheinlich mehr über die Probleme einfacher Leute als viele, die in ihrem Leben nur ihrem Geschäft nachgegangen sind. Es war eine harte Zeit, weil ich parallel unsere französische Bank wieder aufbaute, aber es war großartig.

Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?

Wissen Sie, es gibt im Französischen einen Ausdruck, nombrilistes ...

...für Menschen, die Nabelschau betreiben.

Genau. So bin ich nicht erzogen worden. In der Minute, in der Sie glauben, Sie gehören zu einer Art königlichen Familie, haben Sie ein Problem. Was ich aber empfinde, ist eine Pflicht gegenüber der Institution. Für mich geht es um die Kontinuität der Familie. Sind 100 Familienmitglieder in einer Firma tätig, ist sie nicht mehr zu beherrschen – ist aber kein Familienmitglied in der Firma tätig, ist es keine Familienfirma mehr. Für die Bank ist das Engagement der Rothschilds wichtig, auch um sich von anderen Banken abzuheben. Allerdings müssen Sie auf die Qualifikation achten. Jemanden, der nicht dafür geeignet ist, an die Spitze zu setzen, weil er ein Familienmitglied ist, das führt ins Desaster. Das ist der Todeskuss.

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