
Es ist paradox: Die niedrigen Leitzinsen der Europäischen Zentralbank sollen den Finanzsektor mit Liquidität versorgen und dadurch krisenfester machen. Doch das Gegenteil wird erreicht. Zwar können sich Banken dank der ultralockeren Geldpolitik jederzeit billig Geld besorgen. Doch die Medizin hat eine starke Nebenwirkung: Sie lässt die Gewinne besonders derjenigen Banken deutlich schrumpfen, die stark vom Zinsgeschäft abhängig sind. Im Klartext trifft das solche Institute, die das Spargeld ihrer Kunden als Bau- oder Investitionskredit weiter reichen, also vor allem kleine und mittlere Volksbanken und Sparkassen.
Die Bundesbank und die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin haben heute Zahlen für den deutschen Markt vorgelegt. Danach sinken die Gewinne vor Steuern laut einer Umfrage bei 1500 kleinen und mittleren Banken bis 2019 um 25 Prozent – falls das Niedrigzinsumfeld bestehen bleibt. Sinken die Zinsen noch weiter, könnten die Profite in einem solchen Szenario sogar um 75 Prozent schrumpfen. Je nach Szenario leiden 40 bis 300 Institute besonders stark.





„Die Ertragslage ist sehr ernst“, sagt Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht bei der BaFin. Das sei aber kein Anlass zur Panik, denn die betroffenen Banken hätten in den vergangenen Jahren hohe Reserven aufgebaut, mit denen sie die Durststrecke überstehen könnten. Tatsächlich haben regional verankerten Volksbanken und Sparkassen die Zahl ihrer Kunden deutlich gesteigert und viel daran verdient, weil sie in den Krisenzeiten im Gegensatz zu den internationalisierten Großbanken als sichere Häfen für das Geld der Sparer galten.
Die EZB-Bankenaufseher bezeichnen Volksbanken und Sparkassen fast schon herablassend als „less significant institutions“ – weniger bedeutende Kreditinstitute, mit denen sich die nationalen Bankenaufseher von Bundesbank und BaFin abgeben dürfen, während die Zentralbankaufseher vor allem auf die 123 Großbanken in der Europäischen Union schauen. Entgegen diesem Zerrbild aber sind Sparkassen und Volksbanken mit großem Abstand Marktführer im Privatkundengeschäft. Die Reaktionen der Banken auf die schrumpfenden Zinseinnahmen schlagen also auch auf den Großteil der deutschen Bankkundschaft durch.
Denn Bankenaufseher Röseler will dafür sorgen, dass die Banken ihre üppigen Reserven tatsächlich für die Stabilisierung ihrer Finanzlage nutzen. Wo das nicht funktioniert, will die Bankenaufsicht Kapitalaufschlägen anordnen oder Boni an Management und Mitarbeiter sowie Ausschüttungen an die Eigentümer verbieten. Um diese Maßnahmen zu verhindern, werden Banken natürlich alles versuchen und an anderen Stellschrauben drehen. Das heißt: Filialen schließen, Mitarbeiter abbauen und zentrale Aufgaben an Billigtöchter auslagern. Gleichzeitig könnten die Gebühren für die Kunden steigen. Kostenlose Girokonten sind in der Welt der Volksbanken und Sparkassen ohnehin nicht verbreitet, was eine schleichende Gebührenerhöhung möglich macht. Und der Service wird sicher nicht besser, wenn gespart wird.
Negative Zinsen auf das Ersparte drohen den meisten Kunden immerhin keine – zumindest nicht auf breiter Front. Denn den Strafzins der EZB auf Liquiditätsüberschüsse an die Kundschaft weiterzugeben, darüber denkt nur eine Minderheit der von der Bundesbank befragten Institute nach.