BVG-Urteil Karlsruhe winkt die Bankenunion durch

Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht verkündet das Urteil, dass die Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig sind. Quelle: dpa

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bankenunion zeigt: Juristisch lässt sich der Weg in die Haftungsunion nicht aufhalten.

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Der Zug in Richtung Zentralisierung und Vergemeinschaftung von Risiken in der Europäischen Union ist rechtlich nicht mehr zu stoppen. Das ist die Quintessenz des heutigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Bankenunion. Die Karlsruher Richter wiesen die Verfassungsbeschwerden der Europolis-Gruppe um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber ab. Die Kläger hatten moniert, die Bankenunion sei rechtswidrig, weil mit ihr wichtige Kompetenzen ohne ausreichende Rechtsgrundlage auf die Europäische Ebene verlagert werden und Deutschland hohe finanzielle Risiken eingehe.

Die Verfassungsrichter urteilten, die gemeinsame Bankenaufsicht, für die seit 2014 die Europäische Zentralbank (EZB) zuständig ist, sei mit dem EU-Recht vereinbar, da sie „der EZB die Aufsicht über die Kreditinstitute in der Eurozone nicht vollständig überträgt“. Tatsächlich beaufsichtigt die EZB seit 2014 nur die großen Banken in der EU. Derzeit sind dies 114 Institute, darunter 19 aus Deutschland. Die übrigen, weniger bedeutenden Banken, werden weiterhin von den nationalen Behörden beaufsichtigt. In Deutschland sind dafür die Bafin und die Bundesbank zuständig. Die nationalen Aufsichtsbehörden, so die Karlsruher Richter, „üben ihre Befugnisse aufgrund originärer Zuständigkeiten aus und nicht infolge einer Ermächtigung durch die EZB“. Angesichts der „weiterhin bestehenden umfangreichen Befugnisse der nationalen Behörden, scheide „eine offenkundige Verletzung des Subsidiaritätsprinzips aus“.

Formalrechtlich mag das stimmen. Faktisch aber sind die nationalen Behörden bei ihren Aufsichtsaufgaben an EU-einheitliche Maßstäbe gebunden. Zudem kann die EZB jederzeit die Aufsicht und Prüfung auch der kleineren Banken an sich ziehen (Selbsteintrittsrecht), wenn sie dies für nötig hält. Ob es „im Wesentlichen bei der Zuständigkeit der nationalen Behörden bleibt“, wie die Verfassungsrichter behaupten, ist daher fraglich. Spätestens in der nächsten Bankenkrise dürfte sich die Zweiteilung der Bankenaufsicht als Schimäre entpuppen und die EZB weitere Kompetenzen an sich ziehen.

Gleichwohl muss man den Richtern zugutehalten, dass sie das Subsidiaritätsprinzip als leitenden Gedanken der europäischen Integration betonen. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) hingegen scheinen davon nicht allzu viel zu halten. So hatte der EUGH jüngst geurteilt, die EZB habe die „ausschließliche Zuständigkeit“ für die Bankenaufsicht und sei daher für sämtliche Kreditinstitute zuständig. Damit stärkten die Luxemburger Richter die Kompetenzen der EZB zulasten der nationalen Aufsichtsbehörden. Das jüngste Urteil aus Karlsruhe steht daher im Widerspruch zur Auffassung des EUGH. Insofern hätte man sich gewünscht, die Karlsruher Richter hätten die Klagen zur Bankenunion dem EUGH vorgelegt, um die Frage nach der originären Zuständigkeit für die Bankenaufsicht zu klären. Einen offenen Konflikt mit Luxemburg aber wollten die Richter in Karlsruhe offenbar nicht riskieren.

Den gemeinsamen Abwicklungsmechanismus für marode Banken – neben der gemeinsamen Aufsicht eine weitere wichtige Säule der Bankenunion – haben die Karlsruher Richter in ihrer heutigen Entscheidung ebenfalls durchgewunken. Die Verordnung halte „im Ergebnis der verfassungsrechtlichen Identitätskontrolle stand“, erklärten die Richter. Die Schaffung einer gemeinsamen Abwicklungsbehörde mit einem Abwicklungsausschuss stelle keine Kompetenzüberschreitung dar, „sofern die Grenzen der dem Ausschuss zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse strikt beachtet werden“. Damit mahnen die Verfassungsrichter das Einhalten von Regeln bei der Bankenabwicklung an, wie sie etwa durch die Haftungskaskade vorgesehen sind.

Ein wichtiges Element der Bankenabwicklung ist der Abwicklungsfonds, den die Banken mit Beiträgen speisen. Der Fonds soll bis zum Jahr 2024 über rund 55 Milliarden Euro verfügen. Die gemeinschaftliche Haftung der Finanzinstitute soll sicherstellen, dass die Steuerzahler im Fall einer Bankenkrise nicht erneut zur Kasse gebeten werden. Eine „Haftung der teilnehmenden Mitgliedstaaten wird hierdurch nicht begründet“, erklären die Verfassungsrichter. Kritisch äußern sich die Karlsruher Richter hingegen zur wachsenden Anzahl unabhängiger Agenturen in der EU. Die Unabhängigkeit senke das demokratische Legitimationsniveaus ab. Das sei „nicht unbegrenzt zulässig“.

Insgesamt setzt das Verfassungsgericht mit seinem Urteil zur Bankenunion seine Linie in der Rechtsprechung zur Eurozone und zur EZB fort. Die Richter drücken ihr Unbehagen an der wachsenden Zentralisierungstendenz und an dem selbstermächtigenden Gebaren von EU-Institutionen aus, mahnen daher die Beachtung von Subsidiarität und demokratischer Kontrolle an, scheuen aber den großen Konflikt mit den Richtern des EUGH.

Das zeigt: Juristisch lässt sich der von Brüssel vorangetriebene europäische Schattenstaat, dessen Institutionen fernab demokratischer Kontrolle wichtige Entscheidungen treffen, kaum aufhalten. Mehr als inkrementelle Korrekturen eines sich beschleunigenden Zentralisierungsprozesses, der die EU immer mehr von den Bürgern entfremdet, sind von den Richtern in Karlsruhe nicht zu erwarten. Wer auf mehr Subsidiarität, mehr Selbstbestimmung und weniger Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung setzt, sollte nicht auf die Richter, sondern auf das Votum der Bürger an den Wahlurnen bauen.

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