Computersysteme der Banken veraltet Opa sitzt im Serverraum

Die Computersysteme vieler Banken sind komplex. Leider oftmals auch völlig veraltet und kaum einer versteht sie noch. Bei vielen Banken müssen daher jetzt die Rentner ran.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Aus Erfahrung gut: IT-Experten im Ruhestand wie Manfred Schwiebert sind für Banken unverzichtbar. Quelle: Alex Krauss für WirtschaftsWoche

Seine ersten Computer hat Manfred Schwiebert damals noch mit Lochkarten programmiert. Und als der Frankfurter IT-Berater 1980 anfing, professionelle Projekte für Unternehmen umzusetzen, war er eine Ausnahmeerscheinung. „Da wurden Computerspezialisten in den Fachabteilungen mit leuchtenden Augen empfangen“, sagt der heute 67-Jährige. Schließlich liefen fast alle Prozesse manuell, Rechner waren groß, langsam, leistungsschwach und nur von wenigen Experten bedienbar.

Das ist heute anders. Beschäftigte sind mit Computern aufgewachsen, die Informationstechnik dominiert das Tagesgeschäft der Banken. Trotzdem geht erfahrenen Experten wie Schwiebert die Arbeit nicht aus. Er beherrscht Cobol, eine schon vor mehr als einem halben Jahrhundert entwickelte Programmiersprache, die jüngere Experten kaum kennen.

Vor allem bei Banken verrichten auf ihr basierende und über Jahrzehnte immer wieder ergänzte Programme weiter ihren Dienst. „Irgendwer muss die alten Systeme ja pflegen“, sagt Schwiebert. Gerade erst hat er für ein großes Frankfurter Institut sichergestellt, dass sich Daten neuer Kundendepots in die vorhandene IT-Struktur der Bank einfügen.

Diese Unternehmen setzen auf IT-Rentner
Bill Hinshaw verbringt seinen Ruhestand etwas anders als der Durchschnittsrentner. Der 75-jährige Großvater von insgesamt 32 Enkeln und Urenkeln ist zwar auch bei seiner Familie. Das Arbeiten aber kann er nicht lassen. Er hilft amerikanischen Unternehmen dabei, ihre Computersysteme am Laufen zu halten. Sein Alter ist dabei kein Nachteil. Im Gegenteil: Hinshaw erlernte das Programmieren in den 60er Jahren, als ein Computer so groß wie ein Zimmer war und mit Lochkarten arbeitete. Der Unternehmer gehört zur immer kleiner werdenden Zahl von Experten für die Programmiersprache Cobol. Quelle: REUTERS
Obwohl es längst modernere Sprachen gibt, ist Cobol aus großen Banken, Konzernen und Teilen der US-Regierung nicht wegzudenken. Denn die leistungsfähigen Computersysteme der Firmen und Behörden wurden oft in den 70er oder 80er Jahren aufgebaut und nie ganz ersetzt. Quelle: dpa
Vor allem für die Finanzbranche hat die Uralt-Programmiersprache eine große Bedeutung. Täglich werden Transaktionen mit einem Volumen von schätzungsweise drei Billionen Dollar über Cobol-Systeme abgewickelt. Dabei geht es um Girokonten, Kartennetze, Geldautomaten und die Abwicklung von Immobilienkrediten. Weil die Banken aggressiv auf eine Digitalisierung ihres Geschäftes setzen, wird Cobol sogar noch wichtiger. Denn Apps für Smartphones etwa sind in modernen Sprachen geschrieben, müssen aber mit den alten Systemen harmonieren. Quelle: dpa
In solchen Fällen kommen Hinshaw und andere Experten ins Spiel. Vor ein paar Jahren wollte der 75-Jährige aus Nordtexas seine IT-Firma eigentlich schließen und in den Ruhestand gehen. Aber seine früheren Kunden riefen immer wieder an und wollten Hilfe. Im Jahr 2013 gründete Hinshaw schließlich eine neue Firma, die Kontakte zwischen Konzernen und Experten vermittelt. Erfahrene Cobol-Programmierer können mehr als 100 Dollar in der Stunde verdienen, wenn sie Fehler beseitigen, Handbücher neu schreiben oder dafür sorgen, dass die alten Systeme mit den neuen zusammenarbeiten. Quelle: REUTERS
Für Konzerne ist das allemal billiger, als die alten Systeme ganz aufzugeben - was ohnehin riskant wäre. Der frühere Barclays-Chef Antony Jenkins sagt, für Geldinstitute gehe es nicht nur darum, dass es immer weniger Spezialisten gebe. Die heutigen Großkonzerne sind oft das Ergebnis etlicher Firmenfusionen. "Es ist unheimlich komplex", sagt Jenkins, der heute neue IT-Systeme an Banken verkauft. "Die alten Systeme der verschiedenen Generationen haben mehrere Ebenen und sind oft stark miteinander verwoben." An eine Systemumstellung denken manche Bankmanager deswegen nur mit Grauen. Ihr Alptraum ist, dass dabei ein Fehler unterläuft und Millionen Kundendaten verschwinden. Zugleich wissen die Verantwortlichen, dass sie nicht ewig auf eine Expertengeneration setzen kann, die irgendwann ausgestorben ist. Quelle: Reuters
IBM - ein Pionier im Bereich der Mainframe-Computer - sieht die Zukunft weniger schwarz. Der US-Konzern bildet junge IT-Spezialisten in Cobol aus und hat nach eigenen Angaben innerhalb von zwölf Jahren mehr als 180.000 Entwickler geschult. "Nur weil eine Sprache 50 Jahre alt ist, heißt das nicht, dass sie schlecht ist", sagt Mitarbeiterin Donna Dillenberger. Cobol-Veteranen wie Hinshaw argumentieren jedoch, dass es nicht reiche, die Sprache zu beherrschen. Einzelne Systeme sind sehr unterschiedlich, und die Programmierer hinterließen in den Frühtagen nur selten Handbücher. Das erschwert heute die Fehlerbehebung. Quelle: REUTERS
In den USA beginnen Banken nur langsam damit, Systeme komplett auf modernere Sprachen umzustellen. Dabei können sie von Erfahrungen im Ausland lernen. So löste die Commonwealth Bank of Australia ihr zentrales System 2012 mit Hilfe der Unternehmensberatung Accenture und dem Softwarekonzern SAP ab. Letztlich dauerte die Umstellung fünf Jahre und kostete mehr als eine Milliarde australische Dollar (700 Millionen Euro). Einen ähnlichen Schritt hat die schwedische Bank Nordea bis 2020 vor sich. Bis es für andere Institute soweit ist, müssen sie frühere Angestellte reaktivieren - obwohl deren Wissen einst als überflüssig eingeschätzt wurde. So berichtet ein Cobol-Programmierer, er sei 2012 entlassen worden. Stattdessen sollten jüngere und billigere Angestellte mit einer Ausbildung in neueren Sprachen seinen Job übernehmen. Zwei Jahre später kam er als Freiberufler in dieselbe Firma zurück, weil die Manager auf unerwartete Probleme gestoßen waren. "Die Rückbeorderung in die Bank war für mich wie eine Ehrenrettung", sagt der Experte. Quelle: REUTERS

Was Schwiebert und andere IT-Leihopas auch im Rentenalter gut ernährt, wird für Banken zunehmend zum Problem. Die veraltete EDV macht sie anfällig für Pannen, erschwert den Aufbruch in die viel beschworene digitale Zukunft und frustriert Kunden. Vor allem aber macht sie die Banken verletzbar gegenüber Angriffen professioneller Hacker und Cyberkrimineller. Bankenaufseher widmen sich dem Thema verstärkt: Schließlich drohen gewaltige Schäden bis hin zum zeitweiligen Zusammenbruch eines Instituts oder des Zahlungsverkehrs.

Verglichen damit, was passieren könnte, sind die jüngsten Pannenmeldungen aus der Branche Randnotizen, wenn auch peinliche: Die KfW überwies versehentlich Milliarden an andere Institute, bei der Commerzbank-Tochter Comdirect landeten Kunden nach dem Einloggen auf fremden Konten, und bei der Deutschen Bank buchte ein System Ende März wegen eines technischen Fehlers Überweisungen von rund 175 000 Kunden doppelt. Bleibende Schäden sind in keinem Fall entstanden.

Über Jahre wild gewuchert

John Cryan, Chef der Deutschen Bank, hatte sich schon kurz nach seinem Amtsantritt 2015 über die „lousy IT“ des Instituts ausgelassen. Damit meinte er aber vor allem die interne Struktur. Die ist über Jahre wild gewuchert, in der Spitze liefen rund 45 Systeme parallel. Standardsoftware sei in vier unterschiedlichen Versionen im Einsatz, mit den Programmen zum Einkauf und der Abrechnung von Reisekosten verplemperten Beschäftigte oft viele Stunden, berichten Insider. Nun soll die Komplexität deutlich sinken, einige Programme sind bereits abgeschaltet, und im Jahr 2020 soll es nur noch vier statt 45 Systeme geben.

Das Ziel halten Insider für ausgesprochen ehrgeizig. Denn auch bei der Deutschen Bank basieren große Teile der EDV noch auf Programmen in antiquierten Sprachen wie Cobol und Assembler. Junge Fachkräfte müssen sich erst mal in die Archäologie der Systeme einarbeiten, erfahrene Experten und Ruheständler immer wieder aushelfen. Insider berichten von einem freundlichen Herren, der auch im gesegneten Alter von fast 80 Jahren noch regelmäßig in einem IT-Zentrum vorbeikam, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Keine großen Lösungen in Sicht

Bei vielen Instituten ist es ähnlich: Abläufe basieren auf Software, die hauseigene Programmierer vor Jahrzehnten geschrieben haben. An die haben die Banken neue Anwendungen angebaut, zusätzlich Systeme übernommener Konkurrenten integriert und so einen Flickenteppich geschaffen, in dem immer wieder Risse entstehen. Meist wurde die sparsamste Lösung gewählt. Denn die IT hatte keine Fürsprecher, Vorstände konnten sich kaum über die Modernisierung des Zahlungsverkehrs profilieren.

Das schafft heute Probleme – vor allem dann, wenn das komplexe Gemisch aus alten und neuen Programmen nicht kontrolliert werden kann, sagt Markus Alberth, IT-Experte der Managementberatung Capco. Besonders kompliziert wird die Sache dort, wo Banken gemeinsam mit ihren Kunden dem digitalen Zeitgeist folgen wollen. So würden viele Institute gern Zahlungen in Echtzeit anbieten, sind dazu aber technisch kaum in der Lage. „Die alten Systeme waren ursprünglich nie für Onlineanwendungen vorgesehen“, sagt Christian Tölkes vom Beratungsunternehmen Accenture.

Diesen Geldinstituten drohen die Kunden wegzulaufen
Bank Quelle: dpa
Platz 1: ING Diba Quelle: dpa
Platz 2: Sparkasse Quelle: dpa
Platz 3: Volks- und Raiffeisenbanken Quelle: imago images
Platz 4: Targobank Quelle: dpa
Platz 5: Comdirect Quelle: PR
Platz 6: Commerzbank Quelle: dpa

Große Lösungen sind trotzdem nicht in Sicht – und vermutlich auch nicht empfehlenswert. Diverse ehrgeizige Projekte sind gescheitert. So floppte etwa die Plattform Magellan, auf der die Deutsche Bank das Geschäft mit der Postbank bündeln wollte. Die HypoVereinsbank musste vor einigen Jahren den Start ihrer Plattform Eurosig immer wieder verschieben. Ein kompletter Umbau sei so, „als würde man alle Knochen im Körper austauschen“, sagt der IT-Vorstand einer Bank. Wirkungsvoller wäre es, die IT-Landschaft wie eine Zwiebel zu häuten und schrittweise einzelne Teile auszutauschen.

Darauf drängen auch Bankenaufseher. In der Finanzkrise ab 2008 erkannten sie, dass viele Institute Daten nicht liefern konnten, mit denen sie ihre Stabilität bewerten wollten. Seitdem haben sie den Druck erhöht und detaillierte Regeln erlassen. Dabei klingt vieles selbstverständlich: Das Topmanagement soll sich mit der Technik beschäftigen, Verantwortungen klar sein, Notfallpläne existieren. Und Daten sollen möglichst automatisch übermittelt werden und vollständig ankommen. Die Praxis sieht mitunter anders aus.

So digitalisieren Banken ihr Geschäftsmodell

Trotz der Defizite klagen Branchenvertreter darüber, dass sie in den kommenden Jahren mehr als zehn Milliarden Euro ausgeben müssen, um die Anforderungen zu erfüllen. Doch immerhin haben die Banken die Budgets erhöht. Wenn gespart werden muss, setzen sie den Rotstift anderswo an. Aufseher registrieren allmähliche Fortschritte. Wenn sie Mängel entdecken, schauen sie intensiver hin, drängen auf Änderungen und verlangen im Zweifel mehr Vorsorge.

So wie bei der KfW. Die Förderbank hat sich wegen ihrer wackligen Computersysteme eine Rüge der BaFin eingefangen. Im vergangenen Sommer hatten Aufseher die IT überprüft; die Mängel waren so gravierend, dass die Bank nun zusätzlich Kapital vorhalten muss. Dabei war die KfW in der Finanzkrise mit einer Überweisung an das insolvente US-Institut Lehman Brothers zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Offenbar hat sie seitdem nicht alle Schwachstellen behoben. So überwies das Institut kürzlich versehentlich 7,6 Milliarden Euro an vier andere Banken. Ein Programmierer hatte an einer Schnittstelle zum Zahlungssystem gewerkelt und dabei Befehle in Wiederholungsschleife ausgelöst. Die unverhofft bedachten Banken überwiesen das Geld zurück.

Mehr als 20.000 Hackerangriffe pro Jahr

So glimpflich dürften IT-Fehler nicht immer ausgehen. Das interne Rumpeln im Serverraum mögen die Banken noch weitgehend im Griff haben. Doch von außen droht ihnen weit größere Gefahr. Hacker und Netzkriminelle haben technisch enorm zugelegt. Dass die Schutzwälle der Banken bisher weitgehend gehalten haben, ist für die Bankenaufseher nur ein schwacher Trost.

Denn die Einschläge kommen näher. Größere Banken registrieren weit mehr als 20.000 Hackerangriffe pro Jahr, schätzt Olaf Baunack vom IT-Dienstleister Atos. Ende vergangenen Jahres etwa erbeuteten Hacker Daten vermögender Kunden der Liechtensteiner Valartis-Bank. Anschließend forderten die Angreifer die Bankkunden per E-Mail auf, zehn Prozent ihres Guthaben in der virtuellen Währung Bitcoin an sie zu überweisen.

Experten erwarten, dass die Attacke nur ein erster Test war. „Kriminelle Hackerbanden schalten schnell um, wenn sich mit dem Erpressen von Kunden mehr Geld machen lässt“, sagt ein Sicherheitsspezialist.

Wie kreativ die Hacker sind, zeigt sich an einem Fall, den das Sicherheitsunternehmen Kaspersky kürzlich veröffentlichte. Über ein gut getarntes Schadprogramm konnten Cyberkriminelle den Befehl zur Ausgabe eines beliebigen Betrags an Geldautomaten eingeben. Anschließend mussten sie die Scheine nur noch einsammeln und verschwinden.

Neben Kriminellen könnten auch Staaten die Sicherheitslücken ausnutzen. Vor gut einem Jahr attackierten Hacker die Zentralbank in Bangladesh und das Zahlungssystem Swift, über das Banken internationale Transaktionen abwickeln. Nur Tippfehler verhinderten den Transfer von einer Milliarde US-Dollar auf ein Konto auf den Philippinen. Nach eingehender Analyse sind sich Experten inzwischen sicher, dass Nordkorea hinter dem Angriff steckt.

Im Auftrag der kommunistischen Diktatur sind Kriminelle vermutlich auch schon in Europa aktiv geworden. Vor einigen Wochen, so berichten Sicherheitsexperten, infizierten sie die von den Banken häufig besuchte Webseite der polnischen Bankenaufsicht. Auf diesem Weg wollten sie in die IT-Systeme der Institute eindringen.

Offenbar konnte der Angriff rechtzeitig gestoppt werden. Doch schon beim nächsten Mal kann es anders laufen – auch in Deutschland. Selbst wenn alle Institute die Bedrohung ernst nehmen, so kann doch „kein Unternehmen alle Lücken schließen. Banken können sich vorbereiten und die Schwelle möglichst hoch legen“, sagt ein Aufseher. Das sei ihnen bisher gelungen. Die Daten der Kunden seien „relativ sicher“.

Relativ kann bisweilen ganz schön bedrohlich klingen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%