Cum-Ex-Steuertricks "Ministerien und Finanzämter wissen nicht, was am Markt läuft"

Deutsche Steuerbehörden ermitteln gegen hunderte Banken, die umstrittene Aktiendeals zum Nachteil der Finanzämter eingefädelt haben sollen. Die WirtschaftsWoche spürte einen Insider auf, der sich aus Angst vor Strafverfolgung im Ausland versteckt. Im Interview macht er dem Staat schwere Vorwürfe.

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Aktienhändler an der Börse in Frankfurt Quelle: dpa

 

Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Hessen laufen umfangreiche Ermittlungen gegen hunderte Banken und Finanzunternehmen, die den Staat mit Aktienverkäufen rund um den Dividendenstichtag übervorteilt haben sollen.

Was bei dem sogenannten Dividendenstripping oder den Cum-Ex- und Cum-Cum- genannten Geschäften wirklich passiert ist und wie sie funktionieren, verstehen im Detail nur wenige Experten.

Die fiesesten Steuertricks des Staates
Wie der Staat Steuerzahler abzockt Steuererklärung Wenn Steuerzahler beim Ausfüllen der Steuererklärung am Computer ein Feld vergessen und auf diese Weise Steuervorteile verschenken, stellt sich das Finanzamt immer wieder quer. Wer den Fehler erst bemerkt, wenn die einmonatige Einspruchsfrist gegen den Steuerbescheid abgelaufen ist, hat deshalb meist keine Chance auf eine nachträgliche Korrektur. Beim Bundesfinanzhof laufen derzeit mehrere Verfahren zu dieser Frage. Quelle: APN
Studienkosten Positive Gerichtsurteile hebelt die Bundesregierung immer wieder durch neue Gesetze aus. Nachdem der Bundesfinanzhof 2003 entschieden hatte, dass Studienkosten - also etwa Uni-Gebühren oder Ausgaben für Fachliteratur - voll absetzbar sind, erließ die damalige rot-grüne Koalition kurzerhand ein neues Gesetz. Doch 2011 entschied der BFH erneut, dass Studienkosten voll absetzbar sein müssen. Noch ist unklar, wie es nun weitergeht. Quelle: dpa
Die fiesesten Steuertricks des StaatesNicht-AnwendungserlasseEine Option des Bundesfinanzministeriums ist, dass Studienkosten-Urteil des Bundesfinanzhofs "über den entschiedenen Einzelfall hinaus" für nicht anwendbar zu erklären. Die schwarz-gelbe Koalition hatte zwar versprochen, die rechtsstaatlich fragwürdige Praxis der "Nicht-Anwendungserlasse" einzudämmen. Im Fall der Studienkosten hat das Bundesfinanzministerium einen solchen Erlass aber bisher nicht ausgeschlossen. Quelle: dpa
VerfassungswidrigkeitManche neue Steuervorschrift erweist sich wenig später als verfassungswidrig. In den vergangenen Jahren kassierte das Karlsruher Bundesverfassungsgericht zum Beispiel die Senkung der Pendlerpauschale sowie die beschränkte Absetzbarkeit eines häusliches Arbeitszimmers wieder ein. Quelle: Fotolia
Prostituiertensteuer Besonders einfallsreich zeigt sich der Fiskus, wenn es ums Erfinden neuer Abgaben geht. Die Behörden in Bonn zum Beispiel haben 2011 eine Abgabe von sechs Euro pro Tag für Prostituierte eingeführt. Zahlbar direkt ist die Flat-Tax an einem umgerüsteten Park-Automaten (Foto) in der Nähe des Straßenstrichs ("Steuerticket-Automat"). Die neue Abgabe soll der Stadt 300 000 Euro pro Jahr bringen. Quelle: dpa
PferdesteuerUngemach droht auch Pferdebesitzern. So fordern Finanzpolitiker in mehreren Kommunen, analog zur Hundesteuer eine Pferdesteuer einzuführen. Im Schleswig-holsteinischen Norderstedt zum Beispiel, wo es 3000 Pferde gibt, laufen die Diskussionen auf Hochtouren. Auch im hessischen Taunusstein und in Dortmund gibt es entsprechende Initiativen. Quelle: dapd
Branntweinsteuer Wenn solche Steuern nur vorübergehend erhoben würden, um schwache Phasen zu überbrücken, wäre das ja erträglich. Aber die Erfahrung zeigt: Hat der Staat eine Abgabe erstmal eingeführt, bleibt sie uns auch erhalten. Die Branntweinsteuer etwa wurde vor über hundert Jahren eingeführt, um den Aufbau der kaiserlichen Flotte zu finanzieren - und existiert noch heute. Quelle: dpa

Diese Experten lassen sich ihr Wissen teuer bezahlen, wenn sie komplizierte Gutachten für Banken und vermögende Mandanten schreiben, um Argumente für die rechtliche Durchführbarkeit solcher Steuergestaltungen zu liefern.

Die WirtschaftsWoche hat eine der Schlüsselfiguren in diesem Katz und Maus-Spiel mit dem Fiskus im Ausland aufgespürt, wo er sich aus Angst vor Strafverfolgung versteckt und deshalb seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will.

Katz und Maus-Spiel mit dem Finanzamt

Der Insider hat mit seinen in der Branche viel beachteten Gutachten die juristische Basis für das Dividendenstripping gelegt. Deshalb sind die Finanzbehörden wegen angeblicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung hinter ihm her. Bevor er als Berater tätig wurde, hat er als Finanzbeamter Betriebsprüfungen bei großen Banken durchgeführt und kennt daher die Finanzverwaltung auch von innen.

Im anonymisierten Interview mit der WirtschaftsWoche macht er den Ministerien und Behörden schwere Vorwürfe. Ihr Vorgehen in Sachen Dividendenstripping widerspreche dem Prinzip des Rechtsstaats, wonach es keine Strafe ohne Gesetz geben darf. Seine Argumente lassen die Staatsorgane an manchen Stellen schlecht aussehen.

 

Banken und vermögende Anleger sollen den Fiskus mit komplizierten Aktiendeals um Milliarden geprellt haben. Schlägt der Staat jetzt zurück?

Jemanden prellen heißt, etwas Illegales zu tun, zum Beispiel seine Rechnung im Restaurant nicht zu zahlen. Das ist hier aber nicht passiert, deshalb ist Ihre Frage falsch gestellt.

Soll es etwa legal sein, sich mehr Steuer erstatten zu lassen, als man zahlen musste, worin letztlich der Gewinn beim Dividendenstripping bestand?

Das steht nicht im Widerspruch zu den damals geltenden Gesetzen. Ich versuche, es möglichst einfach und plakativ zu erklären. So heißt es im Jahressteuergesetz für 2007 in einer Bundestagsdrucksache, dass auch der Erwerber einer Aktie das Guthaben für die von der Dividende abgezogene Kapitalertragsteuer erhält. Deshalb frage ich mich, wie die Finanzbehörden auf die Idee kommen, diese Anrechnung zu versagen und nachträglich Steuererstattungen einzufordern. Es widerspricht dem Prinzip des Rechtsstaats, wenn Staatsorgane sich nicht an geltendes Recht und an das halten, was der oberste Souverän des deutschen Staates, also der Bundestag, gesagt hat.

"Der Fiskus ist ein Staat im Staate"

Aber diese Vorschrift ist doch ganz offensichtlich nachteilig für den Fiskus. Wie konnte denn eine solche Regelung überhaupt ins Gesetz kommen?

Diese Frage kann man sich tatsächlich stellen. Für die Steuerpflichtigen ist aber entscheidend, dass sie sich an das geltende Recht gehalten haben und daher nicht steuer- oder strafrechtlich verfolgt werden dürften, selbst wenn sie moralisch fragwürdig gehandelt haben sollten. Der Staat kann nicht technisch unsaubere Gesetze machen und dann erwarten, dass sich seine Bürger an moralische Normen halten.

Der Gesetzgeber hat die Lücken zwischenzeitlich geschlossen. Ab 2012 muss die Depotbank des Aktienbesitzers die Kapitalertragsteuer auf die erhaltene Dividende abführen. Ist das Dividendenstripping jetzt am Ende?

Die Reparatur 2012 war jedenfalls wirksamer als alle Reparaturversuche, die es davor gegeben hat. Ein paar Lücken sind aus meiner Sicht allerdings noch geblieben, doch die behalte ich lieber für mich.

Trotzdem drängt sich die Frage auf, warum der Staat nicht früher gehandelt hat?

Die Ministerien und Finanzämter wissen nicht wirklich, was am Markt läuft. Zum Teil haben sie einfach unterschätzt, welche Volumina da bewegt wurden. Zum Teil hat man versucht, Gesetzeslücken nachträglich zu schließen. Diese Rückwirkung ist rechtsstaatswidrig und widerspricht der Verfassung, ist aber leider gängige Behördenpraxis in Deutschland.

Die besten Finanzämter Deutschlands
Der Briefkasten des Finanzamtes in Euskirchen (NRW) Quelle: APN
Berlin-Zehlendorf Quelle: dpa
Das als Edelstein- und Garnisonsstadt bekannte Idar-Oberstein bietet seinen 28.300 Einwohnern ein kundenfreundliches Finanzamt an. Quelle: dpa
Rang 9: Oldenburg Niedersachsen (2,85 Punkte im Schnitt) schafft es in der Länderwertung gerade mal auf Platz 14 von 16. Das Amt Oldenburg allerdings sticht mit 4,65 Punkten deutlich positiv hervor. Quelle: dpa
Rang 7: Koblenz Koblenz ist mehr als 2000 Jahre alt, Teile der Stadt zählen zum UNESCO-Welterbe. Außerdem verfügt Koblenz über eine Universität. Ein weiterer Grund für die 111.000 Einwohner stolz auf ihre Stadt zu sein: Wie im Vorjahr landet das Finanzamt unter den Top 10. Quelle: dpa
Rang 2: Worms-Kirchheimbolanden Nur knapp den ersten Platz verpasst hat das Finanzamt in Worms-Kirchheimbolanden. Die Behörde aus Rheinland-Pfalz bekommt 4,90 Punkte. Rheinland-Pfalz hat mit einem Durchschnittswert von 3,65 Punkten im Schnitt die beliebtesten Finanzämter Deutschlands. Quelle: dpa
Bitburg hat nicht nur eines der am meisten verkauften Biere Deutschlands. Auch das Finanzamt genießt Ansehen. Quelle: obs

Was sagen denn die Finanzgerichte dazu?

90 Prozent der Finanzrichter sind ehemalige Finanzbeamte, daher ergeht ein großer Teil der Urteile zu Gunsten der Finanzämter. Trotzdem haben insbesondere das Finanzgericht Hamburg und der Bundesfinanzhof in wesentlichen Grundaussagen das Dividendenstripping – auch im Fall von ungedeckten Leerverkäufen – als im Einklang mit damals geltendem Recht beurteilt. Das scheint die Behörden aber nicht zu kümmern. Der Fiskus ist inzwischen ein Staat im Staate, der sich seine Regeln selbst setzt.

Auch wenn Dividendenstripping wegen lückenhafter Gesetze nicht angreifbar ist, dürfte doch jedem klar sein, dass es unmoralisch ist, systematisch Erstattungen für Steuern zu kassieren, die nicht gezahlt wurden.

Fehlendes Recht kann man nicht durch Moral ersetzen. Auch Diktaturen und Gottesstaaten berufen sich regelmäßig auf moralische Grundsätze. Ein Rechtsstaat dagegen kann von seinem Bürger nur verlangen, dass er sich an geltende Gesetze hält. Der Rechtsstaat kann von den Bürgern keine Tugend und Moral verlangen.

Vielen Politikern fehlt das Fachwissen

Was sagt denn die Mittelschicht dazu, wenn gut informierte Eliten lückenhafte Gesetze zum eigenen Vorteil nutzen?

Aus Sicht der Mittelschicht und des Mittelstands kann das nur eine Konsequenz haben: Die Politik muss ihren Job machen und die Gesetze unmissverständlich formulieren. Stattdessen behaupten Politiker einfach, es habe bandenmäßiger Steuerbetrug stattgefunden. Diesen Straftatbestand gibt es allerdings nur im Umsatzsteuerrecht. Vielen Politikern fehlt das Fachwissen, daher verstricken sie sich in Widersprüche.

Zum Beispiel?

Ein Widerspruch besteht zum Beispiel darin, dass Politiker beim Dividendenstripping einerseits von einer Lücke im Gesetz reden und den Steuerpflichtigen andererseits gesetzeswidrigen Betrug vorwerfen. Das passt nicht zusammen. Die Ausnutzung einer Lücke im Gesetz kann der Staat weder steuerrechtlich noch strafrechtlich zu Lasten der Steuerpflichtigen sanktionieren. Hier liegt aber auch keine Lücke vor, weil der Gesetzgeber das Problem der doppelten Anrechnung gesehen und bewusst in Kauf genommen hat.

Gegen eine Lücke im Gesetz kann man nicht verstoßen, ist es das, was Sie sagen wollen?

Was ich sagen will ist, dass es in einem Rechtsstaat keine Strafe ohne Gesetz geben darf.

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