
Nichts verstört Investoren mehr als ein Nebel, in dem sie stets das Grauen vermuten. Als früherer Finanzvorstand der Schweizer UBS weiß das John Cryan genau. Deshalb hat der Chef der Deutschen Bank schon bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte versprochen, stets ehrlich und offen zu sein und nichts zu versprechen, was er nicht halten kann.
Für die Bank wäre das ein Bruch mit einer schlechten Tradition. Cryans Vorgänger hatten sehr viel angekündigt und wenig umgesetzt. Das Vertrauen der Aktionäre haben sie so schwer und dauerhaft beschädigt.





Bisher ist es Cryan nicht gelungen, das verlorene Ansehen wieder zu gewinnen. Nur so ist der beispiellose Absturz dieser Woche zu erklären. Der ohnehin lädierte Aktienkurs brach innerhalb von zwei Tagen um 20 Prozent ein, die Prämien für Versicherungen gegen Anleiheausfälle schnellten in die Höhe, das Institut verschickte eine Nachricht an Investoren, in der es seine Zahlungsfähigkeit versicherte und der Chef wandte sich mit Durchhalteparolen an die eigenen Mitarbeiter. All das erinnerte fatal an die finstersten Tage der globalen Finanzkrise im Jahr 2008.
Deutsche Bank stabiler als 2008
Dabei steht die Bank stabiler da als damals. Ihr Eigenkapital hat sie seitdem verdoppelt, die Bilanz reduziert. Tatsächlich ist es vor allem das ungute Gebräu aus niedrigen Zinsen, unsicheren Erträgen, billigem Öl, sich abschwächender Konjunktur und steigenden Kreditausfällen, das Anleger nervös macht und aus Bankaktien fliehen lässt. Die Konkurrenz ist davon ähnlich hart betroffen. Mit der Commerzbank zum Beispiel ging es kaum weniger steil bergab.
Wo die Deutsche Bank überall Ärger hat
Im Juni wurde bekannt, dass Ermittler rund um den Globus dem Verdacht nachgehen, russische Kunden könnten über die Deutsche Bank Rubel-Schwarzgeld im Wert von mindestens sechs Milliarden Dollar gewaschen haben. Die Bank hat versprochen, zur Aufarbeitung der Affäre mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Mehrere Mitarbeiter in der Moskauer Niederlassung wurden deshalb vor die Tür gesetzt, darunter auch der ehemalige Chef-Händler in Russland, Tim Wiswell.
Inzwischen hat die Affäre eine neue Dimension erreicht: Das US-Justizministerium und die Finanzbehörde von New York (DFS) prüfen laut einem Medienbericht, ob die Bank gegen Sanktionen verstoßen hat. Dabei gehe es auch um die Frage, ob Geschäfte mit Vertrauten von Russlands Präsident Wladimir Putin gemacht wurden und ob die Bank intern geeignete Vorkehrungen getroffen hat, um solche Verstöße zu verhindern.
Schon länger steht die Deutsche Bank im Verdacht, gegen Sanktionen verstoßen zu haben, die die USA gegen Länder wie den Iran verhängt haben. Die Gespräche über einen Vergleich laufen, wie Insider berichten. Intern gab es zuletzt die Hoffnung, dass dieses Thema zeitnah abgeschlossen werden kann. Die Bank hat betont, sie habe sich bereits 2007 aus Iran-Geschäften zurückgezogen. Einige andere Finanzinstitute mussten für Vergleiche in der Sache bereits tief in die Tasche greifen: Die französische BNP Paribas zahlte knapp neun Milliarden Dollar, die Commerzbank 1,45 Milliarden Dollar.
Ende 2013 zahlte die Deutsche Bank 1,4 Milliarden Euro für die Beilegung ihres größten Rechtsstreits im Zusammenhang mit fragwürdigen Hypothekengeschäften in den USA. Das Institut soll vor der Finanzkrise beim Verkauf von Wertpapieren, die mit Hypotheken unterlegt sind, falsche Angaben gemacht haben. Andere Verfahren, die die amerikanischen Federal Housing Finance Agency (FHFA) gegen die Deutsche Bank und weitere Häuser angestrengt hatte, sind aus dem Vergleich jedoch ausgeklammert. Auch andere Klagen liegen noch auf dem Tisch und könnten potenziell viel Geld kosten.
Die Bank ist nach Ansicht des Oberlandesgerichts München mitverantwortlich für die Pleite des Medienkonzerns im Jahr 2002. Grund ist ein Interview des damaligen Bankchefs Rolf Breuer, in dem dieser Zweifel an Kirchs Kreditwürdigkeit gesät hatte. Anfang 2014 einigten sich die Streitparteien in einem Vergleich zwar auf Schadenersatz von 925 Millionen Euro. Doch die strafrechtlichen Ermittlungen gegen einzelne Spitzenmanager der Bank wegen versuchten Prozessbetrugs liefen weiter. Die Staatsanwaltschaft München erhob schließlich Anklage gegen Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen sowie die früheren Spitzenmanager Josef Ackermann, Rolf Breuer und Clemens Börsig. Prozessauftakt war im April, das Verfahren zieht sich. Die Ermittlungen wurden zudem auf den heutigen Rechtsvorstand Stephan Leithner und die Anwälte der Bank ausgeweitet.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Bank wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Betrug mit CO2-Verschmutzungsrechten. Rund 500 bewaffnete Polizisten und Steuerfahnder hatten deshalb Ende 2012 den Hauptsitz der Bank in Frankfurt und andere Büros durchsucht. Co-Chef Fitschen und der langjährige Finanzvorstand Stefan Krause gehörten zu ursprünglich 25 Mitarbeitern der Bank, gegen die in der Affäre wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Denn Fitschen und Krause hatten die auf dem CO2-Betrug basierende Steuererklärung unterzeichnet. Im August diesen Jahres erhob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt schließlich gegen acht beteiligte Kundenbetreuer und Händler der Deutschen Bank Anklage wegen "bandenmäßiger Steuerhinterziehung".
Wegen der Manipulation wichtiger Referenzzinssätze wie Euribor und Libor musste die Deutsche Bank viel Geld abdrücken. Die EU-Kommission verhängte Ende 2013 eine Strafe von 1,7 Milliarden Euro gegen sechs Großbanken, davon entfiel mit 725 Millionen Euro der Löwenanteil auf das Frankfurter Geldhaus. Die Behörden in Großbritannien und den USA brummten der Bank eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar auf. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin hat in ihrem Bericht zur Zinsaffäre eine Reihe von Top-Managern scharf angegriffen und ihnen zu laxe interne Kontrollen beziehungsweise eine mangelnde Aufklärung der Tricksereien vorgeworfen. Darunter war auch Co-Vorstandschef Anshu Jain, der im Frühsommer sein Amt zur Verfügung stellte. Einen Zusammenhang zwischen dem Rücktritt und dem BaFin-Bericht wies die Bank allerdings zurück.
Mit vier mutmaßlich in den Zinsskandal verwickelten Händlern hat sich die Deutsche Bank in Frankfurt nach langem Hin und Her auf einen Vergleich geeinigt, der ebenfalls Geld kostete.
Ob das Zinskapitel wirklich abgeschlossen ist, ist offen. In den USA könnten auch Sammelklagen von Anlegern gegen die Bank zugelassen werden. Sie müssen aber eindeutig nachweisen, dass ihnen durch die Manipulationen Nachteile entstanden sind.
Aufseher, darunter auch die BaFin, gehen dem Verdacht nach, dass Banken am billionenschweren Devisenmarkt ebenfalls getrickst haben. Einige internationale Großbanken haben in der Sache bereits milliardenschwere Vergleiche geschlossen. Die Deutsche Bank als einer der größten Devisenhändler der Welt nicht. Sie hat Finanzkreisen zufolge aber mehrere Händler vom Dienst suspendiert. Sie stehen offenbar im Verdacht, an Referenzkursen gedreht zu haben. Die Deutsche Bank hat erklärt, dass sie zur Aufklärung des Skandals mit verschiedenen Aufsichtsbehörden zusammenarbeitet und zudem eine interne Untersuchung gestartet hat. Diese Untersuchung ergab nach Angaben aus Finanzkreisen, dass es bislang keinerlei Hinweise auf Tricksereien bei den großen Währungen Euro, Dollar, Pfund und Yen gibt, wohl aber vereinzelt beim russischen Rubel und dem argentinischen Peso.
Vom Haken sind die Frankfurter aber nicht: In der US-Niederlassung der Bank installierte die New Yorker Finanzaufsicht DFS einen Kontrolleur, der sich Finanzkreisen zufolge nun schon seit einigen Monaten das elektronische Devisenhandelssystem genauer anschaut. Demnach sind Algorithmen der Plattform "Autobahn" Teil der Ermittlungen.
Amerikanische und deutsche Aufseher gehen zudem dem Verdacht nach, dass Geldhäuser den viel beachteten Marktindex für Swap-Geschäfte (Isdafix) zu ihren Gunsten beeinflusst haben. Sie haben auch dazu Informationen von der Deutschen Bank angefordert.
Das US-Justizministerium ermittelt seit mehr als fünf Jahren gegen Finanzinstitute in der Schweiz wegen mutmaßlicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Am Haken haben die Behörden seit 2013 auch die Deutsche Bank. Deren Schweizer Tochter erstatte Selbstanzeige. Finanzkreisen zufolge hat sich die Deutsche Bank bei den US-Behörden gemeldet, weil sie den Verdacht hegte, einige US-Kunden könnten ihr Vermögen in der Schweiz vor dem heimischen Fiskus versteckt haben. Seither würden Daten an die USA geliefert und Anfragen beantwortet. Eine Strafzahlung könne die Bank damit aber wohl nicht abwenden, sondern nur auf einen Rabatt hoffen. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Bußgeld kann sich auf bis zu 50 Prozent der versteckten Gelder belaufen.
Trotzdem ist die Deutsche Bank ein Sonderfall, und Cryan ist an ihrer aktuellen Misere nicht unschuldig. Dass die Aktionäre auf eine Dividende verzichten müssen, um die Bank weiter zu stabilisieren, können sie verschmerzen.
Doch Cryan ist es bisher nicht gelungen, ihre grundsätzlichen Zweifel zu zerstreuen. Dass die Bank an diesem Freitag ankündigte, eigene Anleihen im Volumen von etwa fünf Milliarden Euro zurückzukaufen, ändert daran nichts. Es ist vor allem ein Akt mit Symbolkraft, der kurzfristig Zweifel an der Stabilität des Geldhauses vertreiben soll. Seine wirtschaftlichen Folgen bleiben überschaubar und ändern nichts an den grundlegenden Problemen der Bank.
Investoren fürchten vor allem, dass die unzähligen Prozesse und Verfahren für die Deutsche Bank so teuer werden, dass sie um eine weitere Kapitalerhöhung nicht herumkommt. Dass Cryan die Rückstellungen Ende des Jahres noch einmal um rund eine Milliarde erhöht hat, hat diese Sorgen verstärkt.
John Cryan hat Hoffnungen zerstört
Zudem hat er so die Hoffnung zerstört, dass nun alle Probleme wirklich auf dem Tisch liegen. Die hatte er geweckt, als er im dritten Quartal Milliarden auf Firmenwerte abschrieb.
Cryan hat angekündigt, dass er die Bank nicht in erster Linie im Hinblick auf den Aktienkurs, sondern langfristig managen werde. Damit hat er um Geduld gebeten, doch seit dieser Woche ist klar, dass die Märkte die nicht haben. Er muss nun endlich Details liefern. Noch immer sind wesentliche Punkte der künftigen Strategie unklar, die Verhandlungen zum angekündigten Stellenabbau kommen genauso wenig voran wie die Trennung von der Postbank.
Und es fehlt eine Vorstellung davon, wie die Bank künftig ausreichend Geld verdienen will. Sie „zu dem zu machen, was sie sein soll“, wie Cryan seine Vision in der Mitteilung an die Mitarbeiter umschreibt, reicht nicht.
Noch genießt der Vorstandschef das Privileg des Unbeteiligten, der aufräumt, was andere hinterlassen haben. Forderungen nach personellen Konsequenzen konzentrieren sich auf Aufsichtsratschef Paul Achleitner. Doch erste Kritiker in und um die Bank fragen bereits, ob Cryan als früheres Mitglied des Kontrollgremiums nicht ebenfalls energischer hätte gegensteuern müssen.
Wenn er mehr sein will als eine Übergangslösung, muss er handeln.