Einmal im Jahr mutiert der Keller des klotzigen Ronald Reagan Building in Washington zum Zentrum der globalen Finanzelite.
Parallel zur herbstlichen Tagung des Internationalen Währungsfonds IWF findet dort das Treffen des globalen Bankenverbands IIF statt. Für Josef Ackermann war das der Höhepunkt des Jahres. Als Verbandspräsident inszenierte er Auftritte stets als Demonstrationen des Selbstbewusstseins. Als Lektionen des starken Chefs einer starken Deutschen Bank.
Fünf Jahre später taucht John Cryan auf der Rednerliste des IIF nicht auf. Ackermanns Nachnachfolger wird in Washington nur ein paar Kundengespräche führen und dann unauffällig verschwinden. Aufmerksamkeit kann er nicht gebrauchen. Schon dass er am vergangenen Wochenende beim Besuch der New Yorker Oper gesichtet wurde, ist unangenehm. Cryan sah sich mit Kunden Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an. Das dramatische Geschehen endet unerfreulich. Am Ende sind beide Protagonisten tot.
Cryan kämpft ums Überleben der Bank. Seit aus unbekannten Kanälen gestreut wurde, dass das US-Justizministerium wegen zweifelhafter Immobiliendeals umgerechnet 12,5 Milliarden Euro von der Deutschen Bank fordert, steht das Institut im Zentrum eines Sturms. Es geht darum, ob die Zahlung die Bank überfordert und ob im Zweifel der Staat einspringt, um sie zu retten.
Schlimme Erinnerungen
Ihre Schwäche hat die Deutsche Bank angreifbar gemacht. Ihre Kapitalbasis ist vergleichsweise dünn, komplexe Finanzinstrumente machen die Bilanz selbst für Eingeweihte undurchschaubar, Negativzinsen und ein unklares Geschäftsmodell lassen ihre Perspektive zweifelhaft erscheinen. Das ist nicht neu. Doch seit der Nachricht aus den USA ging es rasend schnell bergab.
Aktienkurs und die Prämien für Versicherungen, mit denen sich Gläubiger gegen einen Zahlungsausfall der Bank absichern, signalisieren nichts Gutes. Es droht eine Abwärtsspirale. Kunden könnten der Bank so sehr misstrauen, dass sie ihr Geld abziehen und die Krise damit verschärfen. All das erinnert an die große Finanzkrise, die vor gut neun Jahren mit zunehmenden Zahlungsausfällen amerikanischer Immobilienkäufer begann und im Herbst 2008 mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers ihren Höhepunkt fand. Ähnlich wie Cryan hatte Lehman-Chef Richard Fuld immer wieder die Solidität des Instituts betont, nur um wenig später von den Tatsachen überholt zu werden.
Mit den bekannt dramatischen Folgen. Das Vertrauen zwischen den Banken erodierte, mit Hunderten von Milliarden stabilisierten die Staaten die strauchelnden Institute. Die Welt taumelte in die Rezession, Aktienkurse brachen dramatisch ein, Anleger erlitten hohe Verluste. Heute fragen sie sich erneut, wo ihr Geld sicher ist.
Gezielte Indiskretion
Tatsächlich ist die Lage unübersichtlich. Viele Fragen wirft etwa das Leck in den USA auf.
Bei keiner anderen Bank war die Anfangsforderung des Finanzministeriums vorab bekannt geworden. Nicht nur deren Führungsriege geht von einer gezielten Indiskretion aus. Offen ist deren Motivation. Die Aufsicht könnte die Information gezielt weitergegeben haben, um auf die desolate Verfassung der Bank hinzuweisen und ein Gegensteuern zu erzwingen, heißt es.
Politiker nutzen die Chance, um in die empörte Rhetorik der Krisenjahre zu verfallen. Allen voran Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Am Wochenende teilte er auf einer Reise in den Iran kräftig gegen die Deutsche Bank aus. Schon am Freitag davor hatte er vor Stahlkochern im saarländischen Dillingen einen Probelauf absolviert: „Es gibt ein schönes Beispiel in diesen Tagen, das zeigt, wohin man kommt, wenn man die fixe Idee hat, aus Geld könne man Geld machen und müsse nicht mehr richtig arbeiten“, sagt der am Rednerpult stehende Minister. „Heute hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank erklärt, der katastrophale Weg der Deutschen Bank sei die Schuld der Spekulanten.“ Gabriel legt eine Kunstpause ein, im Publikum regen sich erste Lacher. „Ich vermute, er hat recht.“ Kunstpause. „Aber er ist natürlich der Anführer der obersten Spekulanten. Das sind Leute, die dieses Land und Europa und die halbe Welt fast in den Untergang geführt haben.“
Droht nun der Deutschen Bank selbst der Untergang? Das Institut ist dramatisch schwach, aber nicht so hinfällig, wie es Lehman Brothers war. Ein Kollaps ist äußerst unwahrscheinlich, im Zweifel würde wohl der Staat einspringen, und selbst wenn er die Bank fallen ließe, dürften die Folgen nicht so unabsehbar sein wie vor acht Jahren.
Zuletzt hat sich die Erkenntnis auch an den Märkten durchgesetzt. Zwar stellte sich die Meldung über einen günstigen Vergleich mit den US-Behörden als falsch heraus. Trotzdem erholte sich die Aktie relativ deutlich. Forderungen von Großaktionären nach einer Fusion der Bank halfen dabei. Der Untergang, so scheint es, ist erst mal abgesagt. Die Probleme aber bleiben.
Kapital: deutlich aufgepolstert
Wichtigster Gradmesser für die Stabilität von Banken ist ihre Ausstattung mit Kapital. Mit dem von Aktionären eingezahlten Geld und einbehaltenen Gewinnen können Institute ihre Geschäfte unterlegen und Verluste abfedern. Wenn die Verluste das Eigenkapital übersteigen, ist die Bank pleite. Bei Lehman standen Schulden von knapp 800 Milliarden Dollar nur noch Vermögenswerte von 640 Milliarden gegenüber.
Aufseher haben deshalb weltweit die Anforderungen an das Eigenkapital erhöht. Seit dem Herbst 2008 hat auch die Deutsche Bank das Polster deutlich gefüllt. Damals hatte sie 40 Milliarden Euro Kapital, heute sind es 63 Milliarden. 49 Milliarden davon sind sogenanntes „hartes Kernkapital“, das sich aus dem von den Aktionären eingezahlten Kapital und Gewinnrücklagen zusammensetzt. Banken müssen ihre Vermögenswerte nach deren Ausfallwahrscheinlichkeit bewerten. Ergebnis der Prozedur sind die risikogewichteten Aktiva (RWA) von 403 Milliarden Euro. Die für die Aufseher entscheidende „harte Kernkapitalquote“ errechnet sich, indem man das harte Kernkapital durch die RWA teilt. Die Deutsche Bank kommt so auf 12,2 Prozent.
Das ist deutlich mehr als die 10,75 Prozent, die Aufseher derzeit mindestens verlangen. Unter dem Strich hat die Bank sechs Milliarden Euro mehr Kapital als erforderlich.
Strafzahlung in den USA
Der Verkauf der Anteile an der chinesischen Hua Xia Bank soll die harte Kernkapitalquote nochmals um 0,4 Prozent verbessern. Insider gehen davon aus, dass es in den kommenden Tagen zum Abschluss kommt.
Eine hohe Strafzahlung in den USA könnte die Basis empfindlich schwächen. Zwar hat die Deutsche Bank für Verfahren vorgesorgt und insgesamt 5,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Etwa die Hälfte davon dürfte auf die Auseinandersetzung mit den US-Behörden entfallen. Hätte die Bank umgerechnet 2,7 Milliarden Euro für den Prozess reserviert, könnte sie eine Zahlung von knapp acht Milliarden verkraften, ohne dass ihre Kapitalquote unter die kritische Marke fällt, rechnen Analysten der UBS vor.
Das sagten Experten zur drohenden US-Strafe für die Deutsche Bank (vor der Entscheidung)
"Die Deutsche Bank wird diese Strafe nicht ohne Kapitalerhöhung bezahlen können. Das Eigenkapital von derzeit gut 60 Milliarden Euro sollte nicht weiter sinken. Das würde das Vertrauen in die Solidität weiter erschüttern. Die Gewinne der Bank sind derzeit so niedrig, dass sie kaum ausreichen werden, die Lücke zu füllen. Jetzt rächt sich, dass Bankenaufsicht und Bankenregulierer in den letzten Jahren nicht auf eine stärkere Erhöhung des Eigenkapitals der Deutschen Bank gedrängt haben."
"Jetzt kommt es mit Blick auf die Bank und die Beschäftigten darauf an, dass die Rechtsstreitigkeiten und damit verbundenen Unsicherheiten schnell gelöst werden. Wir erwarten, dass man einen angemessenen Kompromiss finden wird."
"Ich rechne damit, dass die Deutsche Bank am Ende vier bis 5,5 Milliarden Dollar bezahlen muss - das ist etwas mehr als bisher erwartet. Da wir im US-Wahlkampf sind, kann die Summe aber auch höher ausfallen - etwa sechs oder sieben Milliarden Dollar. Auch der Streit der EU mit Apple und Google kann durchaus dazu führen, dass die Summe höher ausfällt als vergleichbare Strafzahlungen von US-Banken.
Alles über sieben Milliarden Dollar wäre für die Deutsche Bank sehr gefährdend. Die Deutsche Bank müsste sich dann Gedanken machen, ob sie im normalen Geschäft noch mehr Risiken abbauen kann. Wenn alle Stricke reißen, müsste die Deutschen Bank ihre Kronjuwelen verkaufen - die Vermögensverwaltung - oder eine Kapitalerhöhung in Angriff nehmen. Die Deutsche Bank muss die Probleme in jedem Fall aus eigener Kraft bewältigen. Ich bin ziemlich sicher, dass es keine Staatshilfen geben wird.
Die deutsche Politik sollte sich nicht in die Verhandlungen über die Höhe der Strafe einmischen. Frankreich hat einst Öl ins Feuer gegossen, als es bei einer Milliarden-Strafe für BNP Paribas in den USA intervenierte. Das hat nichts gebracht, sondern die ganze Sache nur noch verschärft."
"Wenn die Strafe am Ende fünf Milliarden Euro oder mehr beträgt, wird die Deutsche Bank nicht um eine Kapitalerhöhung herumkommen. Investoren wollen nicht, dass die Kapitalquote der Bank zu nah an den Mindestanforderungen der Regulierer liegt."
"Wir erwarten, dass das mögliche Verhandlungsergebnis deutlich unterhalb des ersten Vergleichsvorschlags liegen wird. Eine Strafzahlung von rund 2,5 Milliarden Dollar würden wir als akzeptables Ergebnis einstufen. Eine Strafzahlung oberhalb der bestehenden Rückstellungen würde die Wahrscheinlichkeit einer Kapitalerhöhung unseres Erachtens erhöhen."
"Das Justizministerium hat die Deutsche Bank dazu auserkoren, ihren Teil beim Stopfen des enormen US-Haushaltsdefizits beizutragen."
"Angesichts der prekären Finanzlage einiger europäischer Banken, von denen die Deutsche eine des risikobehaftetsten und systemrelevantesten ist, ist dies verstörend und wirkt kurzsichtig und unnötig strafend." Selbst ein Drittel der angedrohten Strafe von 14 Milliarden Dollar wäre eine schwere Last für eine Firma mit einem Börsenwert von rund 18 Milliarden Euro. "Gigantische Forderungen unterminieren Banken, drohen einige der am meisten globalisierten, systemrelevanten Institute zu destabilisieren, just als ein Cocktail neuer Regulierungen und ultra-niedriger Zinsen die Ertragskraft zerstören. Es gibt Spekulationen um eine neue Ära der 'Auge-um-Auge'-Handelskriege. Die Deutsche Bank könnte der Prügelknabe für den Angriff der EU-Kommission auf Apple sein."
Nach Berechnungen der Ratingagentur Moody’s, die Marktanteile und Strafen von Banken miteinander verglichen hat, dürfte eine Einigung mit den USA die Deutsche Bank maximal fünf Milliarden Euro kosten.
Ob Cryan in den USA jetzt auch mit dem US-Justizministerium verhandeln wird, ist offen. Insider zeigen sich aber optimistisch, dass eine baldige Lösung in Sicht ist.
Selbst wenn diese für die Bank so dramatisch ausfällt, dass ihre Kapitalquote unter die Mindestanforderung fällt, wäre das nicht ihr Ende. Die Bank könnte sich immer noch bei Aktionären neues Kapital besorgen, allerdings nur mit hohem Rabatt.
Ein zusätzlicher Puffer sind Anleihen, die sich in Eigenkapital wandeln, wenn die Kapitalquote unter die Vorgabe der Aufseher sinkt. Die Deutsche Bank hat solche Anleihen im Wert von rund 4,5 Milliarden Euro emittiert. Eine Umwandlung würde Verluste weiter abfedern, aber gleichzeitig das Misstrauen gegenüber der Bank steigern.
Letztlich könnte die Bank ihre Kapitalquote auch dadurch verbessern, dass sie ihr Geschäft reduziert. Dafür könnte sie die Vermögensverwaltung um die Fondstochter DWS verkaufen – würde aber einen Geschäftszweig mit Wachstumspotenzial abgeben. Deutlich weniger einschneidend wäre es, wenn die Bank Portfolien von Krediten oder Wertpapieren verkauft.
Bei "systemischer Krise" beteiligt sich der Staat
Das sieht auch der von der Bank selbst verfasste Sanierungsplan vor, den Aufseher nach Lehman von allen Banken verlangen. Das Dokument der Deutschen Bank ist einige Hundert Seiten dick. Insider vermuten, dass im Krisenfall Versicherer wie Allianz und Munich Re bereitstünden, um der Deutschen Bank Vermögenswerte abzunehmen. Eine Verbalintervention des Chefs der Allianz-Fondstochter, Andreas Utermann, befeuerte dies: „Ich glaube kein bisschen, dass Deutschland letztlich nicht aushelfen wird, wenn die Deutsche Bank in Schwierigkeiten steckt. Sie ist zu bedeutend für die deutsche Wirtschaft“, so Utermann.
Einem direkten Einstieg des Bundes sind aber enge Grenzen gesetzt. Um den Einsatz von Steuergeld möglichst auszuschließen, sehen europaweit Gesetze vor, dass bei Schieflagen von Banken nach den Aktionären zuerst die Gläubiger und Einleger haften. Eine Hintertür bleibt aber offen. Wenn eine „systemische Krise“ droht, darf sich der Staat direkt beteiligen.
Liquidität: 215 Milliarden mobilisierbar
Noch Anfang März 2008 gab Alan Schwartz alles, um für Ruhe zu sorgen. „Es gibt keinen Druck auf unsere Liquidität“, verkündete der Chef der US-Investmentbank Bear Stearns. Binnen Tagen wurde er eines Besseren belehrt. Der Bank liefen die Kunden in Scharen davon. Christopher Cox, damals Chef der Börsenaufsicht SEC, erklärte später, dass sich Gerüchte selbst erfüllt hätten.
Wenn zu viele Kunden denken, dass eine Bank ein Problem hat, hat sie ein Problem. Denn dann ziehen sie Geschäfte und Guthaben ab, um sie in Sicherheit zu bringen. Die meisten Banken scheitern nicht an fehlendem Kapital, sondern am fehlenden Vertrauen. Dessen Entzug kann sich wie bei Bear Stearns rasend schnell vollziehen.
Für Unruhe sorgte deshalb eine Meldung, nach der einzelne Hedgefonds ihre Geschäfte mit der Deutschen Bank eingeschränkt haben. Sie könnten der Vorbote eines größeren Exodus sein. Tatsächlich handelt es sich lediglich um etwa 10 von rund 1000 Hedgefonds, die Verbindungen zu der Bank unterhalten. Und einige könnten durchaus eigene Interessen verfolgt haben. Unter den Fonds war etwa auch der amerikanische AQR Capital Management, der mit rund sieben Millionen Aktien auf einen weiteren Absturz des Deutsche-Bank-Kurses wettete.
Unternehmen abhängig von Einlagen von Privat- und Unternehmenskunden
In der Bank heißt es, dass der Abzug der Fonds keinen Einfluss auf die Liquidität habe. Tatsächlich hängt das Institut vor allem von den Einlagen von Privat- und Unternehmenskunden ab. Privatanleger haben der Bank 307 Milliarden Euro anvertraut, in der hauseigenen Transaktionsbank haben Unternehmen 195 Milliarden gebunkert. Das unterscheidet die Deutsche deutlich von der reinen Investmentbank Lehman.
Ein verlässliches Netz ist das noch nicht. Schließlich können auch Privatkunden ihre Konten leer räumen. Um das zu verhindern, traten an einem Sonntagabend im Herbst 2008 Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück vor die Kameras: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“
Kunden entziehen das Vertrauen
Einzelne Kunden haben der Deutschen Bank das Vertrauen entzogen. So berichten einige wohlhabende Anleger, dass sie Einlagen jenseits der gesetzlichen Sicherungsgrenze von 100.000 Euro von der Bank abgezogen haben. Schweizer Privatbanken melden verstärktes Interesse von Deutsche-Bank-Klienten. In der Bank heißt es, dass keine signifikanten Mittelabflüsse zu registrieren seien. Einen kompletten Entzug des Vertrauens könnte das Institut nicht schultern, einen teilweisen aber schon. Die Liquiditätsreserve der Deutschen Bank liegt aktuell bei 215 Milliarden Euro – vor allem Bargeld und Staatsanleihen, die sie schnell verkaufen kann. Gerade hier hat die Deutsche Bank nach der Finanzkrise zugelegt. Damals betrug die Reserve nur ein Viertel dessen.
Und selbst wenn das nicht reicht, hätte Cryan noch einen Trumpf – Mario Draghi, den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Solange eine Bank ausreichend Sicherheiten vorweist, kann sie sich unter anderem über langfristige Kreditlinien refinanzieren, die Draghi Europas Banken zum Nulltarif zur Verfügung stellt.
Derivate: furchterregende Zahlen
Die Bilanz der Deutschen Bank gilt bei Investoren als „Black Box“, die kein Vertrauen verdient. Sorgen macht vor allem der Derivatebestand des Instituts. Auf 42.000 Milliarden Euro summieren sich die abgeleiteten Wetten und Absicherungen auf Zinsen und Währungen, bei denen die Deutsche Bank Kontraktpartner ist. Das Derivatebuch ist damit gut 15-mal so groß wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Doch täuscht diese Megasumme. Beispiel: Wer am letzten Bundesligaspieltag 100 Euro auf einen Sieg des 1. FC Köln bei Bayern München wettete, hatte Aussicht auf eine 1700-Euro-Rückzahlung. Da es nur zu einem Unentschieden für die Domstädter reichte, kassierten Siegwetter nichts. Der Kontraktwert lag bei 1700 Euro, verloren gingen dem Wetter aber nur 100 Euro, also knapp sechs Prozent.
Der riesige Umfang des Derivatebuchs bei der Deutschen Bank erklärt sich zudem daraus, dass viele Kontrakte sich gegenseitig aufheben – damit ist das tatsächliche Risiko deutlich kleiner. Ende Dezember lagen die Marktwerte aller Derivate bei 1019 Milliarden Euro – also bei 2,5 Prozent des Derivatebestandes (von 42.000 Milliarden Euro). Diese 1019 Milliarden bezeichnen das maximale Risiko bei einem Kollateralschaden an Märkten. Selbst wenn es dazu nicht kommt, sorgt der große Umfang von Finanzwetten für Unruhe. Kunden könnten bestehende Verträge auflösen. In Einzelfällen soll das derzeit passieren, Verluste fielen dabei aber kaum an, heißt es in der Bank.
Die riskanteste Bank der Welt
Besonders heikel könnte das Derivatebuch werden, wenn die Deutsche Bank wider Erwarten pleitegeht. Die Deutsche Bank ist nicht nur dreimal so groß wie Lehman, sondern auch besonders eng mit anderen Instituten verwoben. Deshalb hat der IWF sie die riskanteste Bank der Welt genannt. Die Ansteckung könnte vor allem über Derivate laufen. Allerdings werden heute zahlreiche Kontrakte nicht mehr bilateral, sondern mit einer zwischengeschalteten Sicherung abgewickelt. Bei diesem sogenannten Clearing hinterlegen die Vertragspartner Sicherheiten bei einem Dritten, etwa bei einer Tochter der Deutschen Börse. Immerhin 37 Prozent aller Deutsche-Bank-Derivate gingen zuletzt über ein solches Clearing, das vor Lehman praktisch nicht existierte.
In der Krise entschieden Aufseher und Politiker meist in dramatischen Treffen am Wochenende über Untergang oder Fortbestand einer Bank. Heute sind sie vorbereitet, die Abläufe streng vorgezeichnet. Im Ernstfall müsste Elke König, die Chefin der europäischen Abwicklungsbehörde (SRB), den Abwicklungsplan bei der EU-Kommission einreichen. Die hat 24 Stunden, um über den Plan zu entscheiden. Ein Abwicklungsfonds des SRB soll mögliche Verluste abfedern.
Einlagen bis 100.000 Euro sind garantiert
Die Lehman-Pleite infizierte das Finanzsystem Ende 2008 vor allem durch den Zusammenbruch des Interbankenmarkts. Vor der Finanzkrise liehen sich die Institute dort untereinander viele Milliarden – mal für eine Nacht, mal für eine Woche, mal für drei Monate. Heute spielt dieses Geschäft bei der Finanzierung nur noch eine sehr kleine Rolle. Die Folgen wären weniger dramatisch.
Trotzdem würde eine Pleite zu üblen Verwerfungen führen. Als Erste würden Aktionäre ihr Geld verlieren. Auch Sparer kämen nicht ungeschoren davon. Nur Einlagen bis 100.000 Euro sind durch die europäische Einlagensicherung garantiert. Die Deutsche Bank verfügt noch über weitere Sicherheitsnetze, die aber eher theoretischer Natur sind: Schon die Pleite der deutschen Lehman-Niederlassung etwa hatte den Sicherungsfonds der privaten Banken gesprengt.
Ob ein Insolvenzverfahren in der Praxis wirklich geordnet abliefe, ist offen. Aufseher selbst äußerten schon mal Zweifel. Kürzlich erneuerte eine Analystenstudie den Befund. „Die Nagelprobe für die neuen Regeln steht noch aus“, schrieben die Autoren. Sie arbeiten für die Deutsche Bank.