Vor dem gläsernen Eingang der Bonner Postbank-Zentrale trifft sich an diesem Morgen die Angst. „Wir werden zusammengelegt, es wird Massenentlassungen geben“, sagt ein Beschäftigter. „Sie können uns nicht einfach vor die Tür setzen“, sagt ein Kollege. Die Angestellten sorgen sich – um ihre Bank, ihren Arbeitsplatz, ihre Zukunft. Und das vermutlich zu Recht. Denn zwei Tage zuvor ist eingetreten, was viele seit Monaten befürchtet hatten. Die Deutsche Bank wird die Postbank nicht wie angekündigt verkaufen oder an die Börse bringen, sondern integrieren. Damit ist eine lange Hängepartie zu Ende. Die Zitterpartie für die Beschäftigten fängt erst an.
Unsicher sind auch die Perspektiven der Deutschen Bank. Die Kehrtwende wird teuer und stiftet interne Unruhe. Analysten bezweifeln, dass die Bank ihre Einsparziele erreichen kann. Vor allem aber muss das Institut endlich eine überzeugende Strategie für das deutsche Privatkundengeschäft liefern, mit dem es sich seit Jahrzehnten schwertut.
Das zu stärken war das Ziel, als Josef Ackermann im Herbst 2008 bei der Postbank einstieg. Die Bank übernahm die Mehrheit der Aktien des ehemaligen Dax-Konzerns, legte Abteilungen zusammen, trieb die Kooperation voran. Im April 2015 kündigte sie dann die Trennung an. Nun, keine zwei Jahre später, ist wieder alles anders.
Die teuersten Rechtsstreitigkeiten der Deutschen Bank
In der Affäre um Geldwäsche von Kunden bei Wertpapiergeschäften in Moskau, London und New York muss die Deutsche Bank umgerechnet knapp 600 Millionen Euro an Aufsichtsbehörden in den USA und Großbritannien zahlen. Deutsche-Bank-Kunden kauften zwischen 2011 und 2015 bei der Moskauer Filiale Aktien großer Konzerne in Rubel - um diese dann an westlichen Handelsplätzen in dortiger Währung wieder zu verkaufen. So sollen rund 10 Milliarden Dollar Rubel-Schwarzgeld gewaschen worden sein. Die Deutsche Bank habe wegen Aufsichtsversagens zahlreiche Gelegenheiten ungenutzt gelassen, das Komplott zu unterbinden, urteilte die New Yorker Finanzaufsicht DFS und verhängte ein Bußgeld von 425 Millionen Dollar. An die britische Finanzaufsicht FCA muss die Deutsche Bank 163 Millionen Pfund zahlen.
Kurz vor Weihnachten einigt sich die Deutsche Bank mit den US-Behörden auf einen Vergleich über 7,2 Milliarden Dollar (6,7 Mrd Euro) für dubiose Hypothekengeschäfte aus Zeiten vor der Finanzkrise 2007/2008. 3,1 Milliarden Dollar werden als Zivilbuße fällig, 4,1 Milliarden Dollar muss die Bank über fünf Jahre verteilt an „Erleichterungen für Verbraucher“ zur Verfügung stellen. Wie sich das auf die Bilanz auswirkt, ist noch offen. US-Justizministerin Loretta Lynch kritisiert das Institut harsch: „Die Deutsche Bank hat nicht nur Investoren getäuscht, sie hat direkt zu einer internationalen Finanzkrise beigetragen.“ Ursprünglich hatte US-Justizministerium mit 14 Milliarden Dollar Strafe gedroht.
Die Deutsche Bank muss wegen ihrer Verstrickung in den Libor-Skandal um manipulierte Zinssätze eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar zahlen. Das Institut verständigt sich mit Behörden in den USA und Großbritannien auf einen Vergleich. Es ist die höchste bislang verhängte Buße gegen eine Bank in diesem Fall.
Die Bank zieht einen teuren Schlussstrich unter den Dauerstreit um die Pleite des Kirch-Medienkonzerns. Insgesamt 925 Millionen Euro kostet der am Oberlandesgericht München besiegelte Vergleich. Damit beendete die Bank die juristische Auseinandersetzung um eine Mitverantwortung für die Pleite des Kirch-Konzerns 2002.
Das Institut zahlt 1,9 Milliarden Dollar in einem Streit um Hypothekenpapiere in den USA. Die beiden staatlichen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac fühlten sich bei Hypothekengeschäften aus den Jahren 2005 bis 2007 übers Ohr gehauen.
Der Konzern steht für zwielichtige Hypotheken-Geschäfte der US-Tochter MortgageIT gerade. Um eine Klage aus der Welt zu schaffen, fließen 202 Millionen Dollar.
Das Geldhaus legt einen Streit mit der Stadt Mailand über umstrittene Zinswetten gegen eine Millionen-Zahlung bei. Insgesamt erhält die italienische Wirtschaftsmetropole 455 Millionen Euro. Die Entschädigungszahlung teilen sich vier Banken.
Für den stets etwas zerquält wirkenden Vorstandschef John Cryan ist das unerfreulich. Zwar hat der Brite erkennen lassen, dass er den Abschied im Grunde für wenig sinnvoll hält. Trotzdem hatte er eine strategische Wende ausgeschlossen. Die Postbank solle endlich zeigen, dass sie Konzepte umsetzen kann. „It’s all about Execution“ betitelte Cryan eine seiner ersten Präsentationen.
Intern trifft der Missmut vor allem Aufsichtsratschef Paul Achleitner. Der hatte Ende 2014 eine neue Strategie entwerfen lassen. Was die Bank dann Anfang 2015 präsentierte, überzeugte die Investoren wenig. Dass die Trennung ohne Weiteres gelingen würde, schien schon da fraglich. „Sie ist die eindeutig bessere Option – auch für die Postbank“, verteidigte Achleitner das Konzept.
Schließlich hatte er einen Plan verworfen, den der damalige Privatkundenchef Rainer Neske favorisierte und der dem nun beschlossenen verdächtig gleicht. Hätte die Bank ihn damals umgesetzt, hätte sie einen hohen dreistelligen Millionenbetrag gespart. So viel hat die Trennung seitdem gekostet. Die Umkehr dürfte nun ähnlich teuer werden. „Achleitner ist für das Hickhack verantwortlich“, sagt ein Manager. „Es ist erstaunlich, dass Investoren das mitmachen.“
Letztlich blieb der Bank nichts anderes übrig, als die Richtung abermals zu ändern. Kaufinteressenten für die Postbank fragten nur locker an, ein Börsengang hätte nicht den angestrebten Ertrag gebracht. Ihre schwache Kapitalbasis will die Deutsche Bank nun durch eine Kapitalerhöhung von acht Milliarden Euro und den Teilbörsengang der Vermögensverwaltung stärken.
Blau-gelbe Jonglierübungen
Wirklich überraschend kommt der Beschluss nicht. Schon im April 2016 hatte die WirtschaftsWoche berichtet, dass aus dem angestrebten Abschied nichts werden dürfte. Obwohl Vorstand und Pressestelle offiziell weiter an den Plänen festhielten, rechnete intern seit Sommer kaum jemand mit deren Verwirklichung. Dass sich Führungskräfte der Postbank immer noch Anstecker mit der Aufschrift „Fit für die Börse 2.0“ ans Jackett hefteten, wirkte zunehmend bizarr.
Dabei hatte die Aussicht auf die erneute Selbstständigkeit bei ihnen zunächst Euphorie ausgelöst. So richtig wohlgefühlt hatten sich die meisten in der Deutschen Bank nie, zu sehr unterschied sich ihre hemdsärmelige Kultur vom distinguierten Auftreten der Abgesandten aus Frankfurt. Teamspiele wie gemeinsame Jonglierübungen mit blauen und gelben Bällen halfen da wenig. Geradezu prophetisch wirkt heute das damals intern verbreitete Schaubild eines Reißverschlusses mit gelben und blauen Zähnen. Erst ging der zu, dann ging er auf.
Nun geht er wieder zu. „Die Enttäuschung ist groß, die Gräben sind tief“, sagt ein Postbank-Aufsichtsrat. „Die Vorbehalte gegen die Deutsche Bank sind noch größer als bei der ersten Integration.“ Helfen könnte allein Sicherheit darüber, wie es weitergeht.
Kleines Hoffnungssignal
Die jedoch wird es erst mal nicht geben. Die Banken stehen am Beginn eines Prozesses, der sich über vier Jahre ziehen wird. Am Montag informierte Frank Strauß telefonisch seine Führungskräfte, am Dienstag stellte er sich den Mitarbeitern. Dabei zeigte sich der Postbank-Chef vor allem emotional enttäuscht, inhaltlich hatte er wenig mitzuteilen. Dass er selbst in den Vorstand der Deutschen Bank einziehen dürfte, soll ein Hoffnungssignal sein. „Immerhin sitzt die Postbank bei allen Entscheidungen mit am Tisch“, heißt es in seinem Umfeld.
Doch intern glaubt kaum jemand, dass das viel bringen wird. „Es gibt ein Blutbad“, sagt ein Postbank-Manager. „Es wird nur darum gehen, die Kosten radikal zu drücken“, so ein Privatkundenmanager der Deutschen Bank. Was das bedeutet, haben die Banker gerade erst erfahren. Angeleitet von der Beratung Bain & Company, hat Privatkunden-Vorstand Christian Sewing den Abbau von 3000 Arbeitsplätzen durchgedrückt.
Und nun droht die nächste Welle. Zahlen gibt es nicht, aber klare Anhaltspunkte. So soll die Integration 900 Millionen Euro bringen. Zudem rechnet die Bank mit Abfindungen von einer Milliarde Euro. Auch soll das Verhältnis von Kosten zu Erträgen im zusammengelegten Privatkundengeschäft von über 80 auf 65 Prozent sinken. Das deutet auf den Wegfall Tausender Jobs.
Die Betriebsräte sind schon alarmiert. Am Mittwochabend wollten sich mehr als 200 Arbeitnehmervertreter der Postbank in Bonn treffen. Die Lage ist schon deshalb ernst, weil der Kündigungsschutz für die Beschäftigten Ende Juni ausläuft. Die Betriebsräte wollen ihn bis 2022 verlängern. Leicht wird das nicht. Immerhin: In der Postbank sind ungewöhnlich viele Beschäftigte in der Gewerkschaft, schon 2011 und 2015 zogen sie streikend auf die Straße.
Seit 2009 hat die Postbank die Zahl ihrer Beschäftigten weitgehend geräuschlos von gut 21.000 auf nun 18.000 reduziert. Nun wird das Sparziel noch ehrgeiziger. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Postbank nicht verschwinden wird. Laut Gesetz muss die Deutsche Bank die Weiterbeschäftigung in ehemaligen Staatsbetrieben garantieren. Ende 2015 arbeiteten bei der Postbank noch 4800 Beamte. Ihre Jobs sind sicher.
Die der Angestellten nicht. Hart wird es tatsächlich die Postbank-Zentrale treffen. „Nach einer Integration sind dort die meisten Funktionen überflüssig“, sagt ein Manager. Auch weitere Dopplungen dürften sich dann erledigt haben. So gilt es als sicher, dass die Bausparkassen BHW und Deutsche Bauspar fusionieren werden. Erste Schritte dazu hatte es bereits vor 2015 gegeben.
Schiffbruch mit Magellan
Neu ausrichten werden sich auch IT und Abwicklung. Hier wirkt das Hin und Her besonders grotesk. Die Einheiten hatte die Deutsche Bank vor 2015 aufwendig zusammengelegt und dann ebenso aufwendig wieder getrennt. Wie sie erneut zusammenfinden, ist offen. Angekündigt hat Cryan bisher nur das Ende der zwei bisher unabhängigen IT-Plattformen. Insider vermuten, dass das Geschäft wohl auf das System der Postbank wandern wird. „Die Infrastruktur ist gut und wickelt schon Leistungen für andere Banken ab“, sagt ein Postbank-Insider.
Sicher nicht wiederbelebt wird das einst mit großen Versprechungen gestartete System Magellan. Hunderte Experten hatten über Jahre an dem Projekt gewerkelt, die angestrebten Ziele jedoch nicht ansatzweise erreicht. Gleiches galt für den gemeinsamen Verkauf von Produkten. „Die Integration ist zu unentschlossen erfolgt, die Abteilungen in beiden Banken haben ihre eigene Agenda verfolgt“, sagt ein früherer hochrangiger Manager. „Das jetzt nachzuholen ist an sich richtig.“ Dass es im Privatkundengeschäft vor allem auch auf Größe ankommt, ist schließlich keine neue Erkenntnis. Mit zusammen 20 Millionen Kunden sind beide Institute ein echtes Schwergewicht.
Hinter Frontmann Strauß wird es im Postbank-Team dünn
Aber wer garantiert, dass es jetzt besser läuft? Insider vermuten, dass vor allem Strauß den Zusammenschluss vorantreiben soll. Die Postbanker respektieren ihn, bis 2011 war er bei der Deutschen Bank für die Kooperation mit der Postbank zuständig. Doch hinter dem Frontmann wird es dünn. Manager, die an der ersten Annäherung in leitender Funktion beteiligt waren, haben die Bank verlassen oder sind in andere Funktionen gewechselt. „Strauß muss sich jetzt hektisch ein Team suchen“, sagt ein Insider. Dabei sein wollen viele, schon, um sich möglichst unverzichtbar zu machen. „Es wird ein Hauen und Stechen geben, bei dem der Fokus aufs Geschäft verloren geht“, sagt ein Insider. Schon 2016 bewarben sich auffällig viele Postbank-Manager in Frankfurt.
Trotz des engeren Zusammengehens sollen beide Marken erhalten bleiben. Offen ist, wofür diese dann stehen. Die Bedürfnisse der Postbank-Kunden sind einfacher, sie haben vor allem Spareinlagen und Kredite. „Letztlich reicht künftig eine Marke für die Filialkunden und eine für die wohlhabende Klientel“, sagt ein Deutsche-Bank-Insider.
Eine derartige Teilung aber würde einen abermals radikalen Schnitt ins Filialnetz nach sich ziehen. Die Deutsche Bank reduziert die Zahl ihrer Zweigstellen gerade erst um 188 auf dann 535. Die rund 1000 Postbank-Standorte sind eigentlich bis 2020 sicher, so lange hat sich die Bank gegenüber der Post zur Annahme von Briefen und Päckchen verpflichtet. Im Zweifel ließe sich aber auch dieser Vertrag nachverhandeln.
Vorbild Norisbank
Der Druck, die Kosten noch stärker zu senken, dürfte zunehmen. Die niedrigen Zinsen belasten die Postbank ähnlich stark wie die Sparkassen. Zwar versucht Cryan, den ungünstigen Umständen das Beste abzugewinnen. Immerhin ließen sich so höhere Gebühren für Bankdienstleistungen durchsetzen. Tatsächlich hat die Bank ein neues Preismodell eingeführt und das bislang kostenlose Girokonto abgeschafft. Die Einbußen dürfte das kaum auffangen. 2016 gingen die Erträge mit Konten, Einlagen und Krediten bis zu 15 Prozent zurück.
Um die Effizienz weiter zu verbessern, soll die Postbank ihre Digitalisierung forcieren. Als konzerninternes Modell gilt dabei die fast vergessene Norisbank. Die hatte die Deutsche Bank vor dem Postbank-Kauf zu einer Discountmarke aufgebaut, nach der Übernahme machte sie alle Filialen dicht. Doch mit einem extrem reduzierten Internetangebot einfachster Basisprodukte hat sich die Norisbank positiv entwickelt. „Das Beispiel zeigt, dass wir digital erfolgreich sein können“, sagt ein Deutschbanker. Vor allem braucht das Geschäft wenig Personal: Die Bank hat nicht mal 50 Beschäftigte.
Vergleiche zur ungleich größeren Postbank sind da unangebracht. Trotzdem lässt diese Zahl die Sorgen der Postbank-Beschäftigten größer werden. Noch eine Sorge mehr.