
Für neue Chefs gilt eine ungeschriebene Schonfrist von hundert Tagen. Während der sollen sie sich möglichst unbehelligt in ihren Job einarbeiten, die Lage analysieren, Pläne machen. Überraschend ist, dass der Brite John Cryan dies tatsächlich tun konnte.
Seit er das Amt von seinem umstrittenen Vorgänger Anshu Jain übernommen hat, ist es um die Deutsche Bank erstaunlich still geworden. Es gab keine Störfeuer aus den eigenen Reihen, fast keine neuen Skandale und Enthüllungen – Cryan konnte sich ohne große Ablenkungen auf sein Tagesgeschäft konzentrieren. Seine Stimme hat er selbst bisher einzig bei einem Call mit Analysten anlässlich der Vorlage der Halbjahreszahlen halböffentlich erklingen lassen und dabei seine Überzeugung formuliert, dass es besser ist, erst Tatsachen zu schaffen und dann zu reden. Und nicht umgekehrt.
Stimmen zum Chefwechsel bei der Deutschen Bank
„Ihre Entscheidung, ihr Amt früher als geplant niederzulegen, zeigt auf eine beeindruckende Weise ihre Einstellung, die Interessen der Bank vor ihre eigenen zu stellen.“
„Die neue Spitze der Deutschen Bank steht weiter vor einer existenziellen Frage. Ein neuer Chef wird möglicherweise nicht ausreichen, um das strategische Dilemma zu beenden. Jains Nachfolger John Cryan, ein ehemaliger Investmentbanker aus dem Aufsichtsrat, kann zwar frischen Wind in die bevorstehenden Aufgaben bringen, aber wenig mehr. In vielerlei Hinsicht sind seine Hände gebunden.“
„Als Außenstehender ist John Cryan unbefleckt von den rechtlichen Problemen, die den Ergebnissen der Deutschen Bank und ihrem Ruf schaden. Anshu Jain musste sich der Frage stellen, ob jemand, der dem Investmentbanking so nahe steht, der Richtige sein kann, um mit den Vorwürfen aufzuräumen. Die meisten Anschuldigungen richten sich gegen das Investmentbanking, das Jain führte, bevor er Vorstandschef wurde.“
„John Cryans erste Aufgabe wird es sein, eine neue Strategie zu finden. Die Deutsche Bank braucht eine radikale Operation – wahrscheinlich eine Aufspaltung. Cryan hat sicherlich den Hintergrund und die Erfahrung für diese Herausforderung. Aber die Aktionäre werden nicht viel Geduld haben. Um ihr Vertrauen wieder herzustellen, muss Cryan schnell und richtig handeln.
„Endlich, ist man geneigt zu sagen, denn die alte Garde der Bank wirkte von Anfang an wenig geeignet für einen echten Neuanfang nach den Wirren der Finanzkrise. Besonders Jain steht für genau jene Kultur, die der Bank wegen dubioser Machenschaften ihrer Mitarbeiter rund um den Globus Bussen in Milliardenhöhe seitens der Aufsichtsbehörden eingebrockt hat und die letztlich das Ansehen der einst so stolzen 'Deutschen' – wie das Finanzinstitut in der angelsächsischen Welt, wo die Konkurrenz sitzt, genannt wird – ramponiert hat.“
„Der Aufsichtsrat zieht die Konsequenzen aus dem Abstimmungsdesaster auf der Hauptversammlung. Die Entscheidung für John Cryan kommt nicht überraschend.“
„Die finanziellen Kennzahlen und der Aktienkurs haben sich weit von den Zielen der Bank entfernt. Die Deutsche Bank hat nach Angaben der Behörden die Ermittlungen im Libor-Skandal behindert und auch der jüngste Geldwäscheskandal in Russland zeigt, dass der Kulturwandel nicht vorankommt." Es ist daher nur konsequent, dass es jetzt einen Wechsel an der Spitze gibt.“
„Wir begrüßen die Reaktion des Aufsichtsrats zeitnah zur Hauptversammlung. Um die großen Herausforderungen der Bank in den Griff zu bekommen, war ein wirklicher Neuanfang unausweichlich.“
„Der designierte neue Vorstandschef des Geldinstituts, John Cryan, verfügt über eine gute Reputation. Der Markt reagiert positiv. Zumindest teilweise können die Ziele der neuen Strategie 2020 nun eingepreist werden, was bisher wegen des mangelnden Vertrauens in das bisherige Führungsduo nicht der Fall gewesen ist.“
„Insgesamt rechnen wir damit, dass der Markt die Ankündigung zunächst zwar positiv aufnimmt, allerdings nur kurzfristig. Denn die zentralen Herausforderungen bei Deutschlands größter Bank sind struktureller Natur. Das grundlegende Problem ist die fehlende Basis zur Generierung höherer Renditen. Wegen der mangelnden Möglichkeiten für strategische Veränderungen bevorzugen wir weiter die Aktie der britischen Bank Barclays sowie die der Schweizer Banken Credit Suisse und UBS.“
„Die bisherigen Chefs sind zu stark mit den alten Problemen verbunden. Der neue Vorstand muss jetzt aufräumen, vor allem im Investmentbanking, wo das teilweise kriminelle Verhalten strukturell bedingt war.“
Mit dem Stühlerücken an der Konzernspitze ist es nicht getan. Der Nachfolger wird kaum anders agieren als die alten Chefs. Große Finanzkonzerne können wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung die Politik erpressen, um am Ende auch mit Steuerzahlergeld gerettet zu werden. Wir brauchen eine Stärkung von Sparkassen und Volksbanken, und nicht von Großbanken.“
Das wird er auch künftig so halten. Cryan sucht nicht das Rampenlicht, vergleichsweise unspektakulär wird wohl auch sein erster halbwegs öffentlicher Auftritt in Deutschland verlaufen: Bei einem Empfang der American Chamber of Commerce Ende Oktober in Frankfurt soll er am Abend eine Ansprache halten.
Cryan hat im kleinen Kreis an der Strategie gearbeitet
Dabei hat Cryan schon ein großes Pensum absolviert, seine ersten Wochen vor allem damit verbracht, die Lage des Instituts genau zu analysieren, das er als ehemaliger Aufsichtsrat schon leidlich kennt. Der frühere UBS-Manager hat viele Gespräche geführt, sich den Fragen von Mitarbeitern gestellt, Antrittsbesuche bei großen Kunden, Politikern und Aufsichtsbehörden absolviert. Und mit einer bewusst sehr klein gehaltenen Gruppe von Vertrauten an der neuen Strategie gefeilt, die das Institut endlich aus seiner gefühlten Dauerkrise führen soll.
Die Veränderungen, die es in den gut drei Monaten seit Cryans Amtsantritt gegeben hat, sind mikroskopischer Natur und lassen kaum Rückschlüsse darauf zu, welche strategischen Weichen er stellen wird. Dass die Bank ihr russisches Investmentbanking aufgibt, ist die logische Folge eines dortigen Geldwäscheskandals.
Dass das deutsche Privatkundengeschäft zwei neue Chefs bekommt ergibt sich aus dem Abschied des langjährigen Vorstands Rainer Neske. Selbst die sind wenig überraschend. Dass sich die Bank aus einigen Ländern verabschiedet und vermutlich auch den Anteil an der chinesischen Hua Xia Bank verkauft, ist im Grunde seit Anfang des Jahres bekannt. Und der Abbau von bis zu 25.000 Stellen relativiert sich, wenn die gut 15.000 Beschäftigten der Postbank dazu zählen. Von dem 2008 übernommenen Institut will sich die Deutsche Bank im kommenden Jahr trennen.