„Lieber John, die Bank ist bei Dir in guten Händen“. Nahezu liebevoll übergab der scheidende Co-Vorsitzende Jürgen Fitschen den Staffelstab der Deutschen Bank an John Cryan. Nach der Hauptversammlung am Donnerstag wird der Brite die größte deutsche Bank alleine führen – es ist eine Herkulesaufgabe im wahrsten Sinne des Wortes, die Cryan bewältigen muss.
Eigentlich könnte der Banker der richtige Mann zur richtigen Zeit sein. Er gilt als knallharter, analytischer Sanierer, der mit seinen schillernden Vorgängern wie Anshu Jain oder Josef Ackermann wenig gemein hat. Wäre die Deutsche Bank ein solider Mittelständler, würde das Sanierer-Modell Cryan sicherlich aufgehen. Der deutsche Branchenprimus der Bankenwelt sieht sich aber gerne als internationales Aushängeschild der deutschen Finanzwelt.
Diese Position ist allerdings akut gefährdet, und auch John Cryan war auf der Hauptversammlung nicht in der Lage, die Aktionäre vom Gegenteil zu überzeugen. „Herr Cryan, sie mögen ein Sanierer sein, aber sind sie auch ein Visionär?“, fragte ein Aktionärsvertreter. Cryan muss die Bank nicht nur von ihren Altlasten befreien, sondern auch aufzeigen, wo das Institut in Zukunft Erträge erzielen will. Sonst riskiert der Brite, die Deutsche Bank endgültig ins Mittelmaß abrutschen zu lassen.
Früher war mehr Lametta. Das gilt nicht nur für die Vorstände der Deutschen Bank, auch das „Rahmenprogramm“ der Hauptversammlung fiel schon mal üppiger aus. Lediglich ein paar Protestplakate flatterten am Donnerstag vor der Frankfurter Festhalle im Wind, einzelne Trommler und Aktivisten hofften vergeblich auf Aufmerksamkeit der Aktionäre.
Die, so scherzte Anlegervertreter Klaus Nieding von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), würden für ihre Eintrittskarte im Wert von unter 15 Euro „richtig was geboten“ bekommen. Damit legt Nieding den Finger in die Wunde, denn der Aktienkurs ist Spiegelbild des Abstiegs der größten deutschen Bank. Die alte Führung habe Milliardenwerte vernichtet, klagt ein Aktionärsvertreter. Die Bank segele beim Thema Marktkapitalisierung weit unter dem Dax durch. Von einer Dividende kann nicht die Rede sein, das vergangene Geschäftsjahr hat einen Rekordverlust geliefert und im ersten Quartal 2016 lagen die Erträge um satte 22 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert.
Bis 2018, so Cryan, strebe die Bank eine Kosten-Ertragsquote von etwa 70 Prozent an. Das ist gerade mal Durchschnitt in der deutschen Bankenlandschaft. Aktuell muss die Bank sogar 80 Cent ausgeben, um einen Euro einzunehmen. Umso wichtiger wäre es, dass John Cryan aufzeigt, in welchem Geschäftsfeld die Deutsche Bank in Zukunft ihre Erträge einfahren will. Aber Zukunftsfantasien wollen auch in seiner Amtszeit bisher nicht aufkommen. Stattdessen ist der Aktienkurs um rund fünf weitere Euro gesunken, ein Turn-Around ist nicht in Sicht.
Cryan wird von Altlasten ausgebremst
Im ersten Quartal belastete vor allem der schwache Handel das Geschäft der Bank, bisher ist aber offen, welches Geschäftsfeld die Erträge aus dem schwankenden Geschäft ausgleichen sollen. Zumal die Altlasten weiterhin wie Blei in den Bilanzen liegen. Ohne Rechtskosten wäre auch das Segment Global Markets ein Ertragstreiber gewesen.
Cryan mag ein guter Sanierer sein, aber solange er von den Altlasten ausgebremst wird, dürfte er nicht zum erkennbaren Visionär werden. Dass die Aufklärung der Vergangenheit noch lange dauern wird, zeigt sich nun erneut. Wie am Donnerstag bekannt wurde, wird der Deutschen Bank in den USA zusammen mit anderen Banken vorgeworfen, an Preismanipulationen im Anleihenmarkt beteiligt zu sein. John Cryan glaubt zwar, die Bank sei auf einem guten Weg, erwartet aber weitere Kosten für Rechtsstreitigkeiten bis Ende dieses Jahres.
Zu Recht fordern Aktionäre unabhängige Sonderprüfungen gegen Vorstände und Aufsichtsräte, insbesondere gegen Chefkontrolleur Paul Achleitner, dem vorgeworfen wird, zu lange an ehemaligen Vorständen festgehalten zu haben. „Es gilt, den Dingen auf den Grund zu gehen“, erklärte der Anwalt von Aktionärin Lampertz, welche die Sonderprüfung gefordert hatte.
Noch kann sich Cryan hinter seinem Chefkontrolleur Achleitner verstecken. Dieser stand auf der diesjährigen Hauptversammlung klar im Zentrum der Kritik der Aktionäre, viele wollen Achleitner nicht entlasten. Nicht nur der Umgang mit den ehemaligen Vorständen, auch der Weggang des kritischen Wirtschaftsanwalts Georg Thoma aus dem Aufsichtsrat kratzt an Achleitner, der Thoma in den Kreis der Aufseher geholt hatte.
Wo die Deutsche Bank überall Ärger hat
Im Juni wurde bekannt, dass Ermittler rund um den Globus dem Verdacht nachgehen, russische Kunden könnten über die Deutsche Bank Rubel-Schwarzgeld im Wert von mindestens sechs Milliarden Dollar gewaschen haben. Die Bank hat versprochen, zur Aufarbeitung der Affäre mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Mehrere Mitarbeiter in der Moskauer Niederlassung wurden deshalb vor die Tür gesetzt, darunter auch der ehemalige Chef-Händler in Russland, Tim Wiswell.
Inzwischen hat die Affäre eine neue Dimension erreicht: Das US-Justizministerium und die Finanzbehörde von New York (DFS) prüfen laut einem Medienbericht, ob die Bank gegen Sanktionen verstoßen hat. Dabei gehe es auch um die Frage, ob Geschäfte mit Vertrauten von Russlands Präsident Wladimir Putin gemacht wurden und ob die Bank intern geeignete Vorkehrungen getroffen hat, um solche Verstöße zu verhindern.
Schon länger steht die Deutsche Bank im Verdacht, gegen Sanktionen verstoßen zu haben, die die USA gegen Länder wie den Iran verhängt haben. Die Gespräche über einen Vergleich laufen, wie Insider berichten. Intern gab es zuletzt die Hoffnung, dass dieses Thema zeitnah abgeschlossen werden kann. Die Bank hat betont, sie habe sich bereits 2007 aus Iran-Geschäften zurückgezogen. Einige andere Finanzinstitute mussten für Vergleiche in der Sache bereits tief in die Tasche greifen: Die französische BNP Paribas zahlte knapp neun Milliarden Dollar, die Commerzbank 1,45 Milliarden Dollar.
Ende 2013 zahlte die Deutsche Bank 1,4 Milliarden Euro für die Beilegung ihres größten Rechtsstreits im Zusammenhang mit fragwürdigen Hypothekengeschäften in den USA. Das Institut soll vor der Finanzkrise beim Verkauf von Wertpapieren, die mit Hypotheken unterlegt sind, falsche Angaben gemacht haben. Andere Verfahren, die die amerikanischen Federal Housing Finance Agency (FHFA) gegen die Deutsche Bank und weitere Häuser angestrengt hatte, sind aus dem Vergleich jedoch ausgeklammert. Auch andere Klagen liegen noch auf dem Tisch und könnten potenziell viel Geld kosten.
Die Bank ist nach Ansicht des Oberlandesgerichts München mitverantwortlich für die Pleite des Medienkonzerns im Jahr 2002. Grund ist ein Interview des damaligen Bankchefs Rolf Breuer, in dem dieser Zweifel an Kirchs Kreditwürdigkeit gesät hatte. Anfang 2014 einigten sich die Streitparteien in einem Vergleich zwar auf Schadenersatz von 925 Millionen Euro. Doch die strafrechtlichen Ermittlungen gegen einzelne Spitzenmanager der Bank wegen versuchten Prozessbetrugs liefen weiter. Die Staatsanwaltschaft München erhob schließlich Anklage gegen Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen sowie die früheren Spitzenmanager Josef Ackermann, Rolf Breuer und Clemens Börsig. Prozessauftakt war im April, das Verfahren zieht sich. Die Ermittlungen wurden zudem auf den heutigen Rechtsvorstand Stephan Leithner und die Anwälte der Bank ausgeweitet.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Bank wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Betrug mit CO2-Verschmutzungsrechten. Rund 500 bewaffnete Polizisten und Steuerfahnder hatten deshalb Ende 2012 den Hauptsitz der Bank in Frankfurt und andere Büros durchsucht. Co-Chef Fitschen und der langjährige Finanzvorstand Stefan Krause gehörten zu ursprünglich 25 Mitarbeitern der Bank, gegen die in der Affäre wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Denn Fitschen und Krause hatten die auf dem CO2-Betrug basierende Steuererklärung unterzeichnet. Im August diesen Jahres erhob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt schließlich gegen acht beteiligte Kundenbetreuer und Händler der Deutschen Bank Anklage wegen "bandenmäßiger Steuerhinterziehung".
Wegen der Manipulation wichtiger Referenzzinssätze wie Euribor und Libor musste die Deutsche Bank viel Geld abdrücken. Die EU-Kommission verhängte Ende 2013 eine Strafe von 1,7 Milliarden Euro gegen sechs Großbanken, davon entfiel mit 725 Millionen Euro der Löwenanteil auf das Frankfurter Geldhaus. Die Behörden in Großbritannien und den USA brummten der Bank eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar auf. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin hat in ihrem Bericht zur Zinsaffäre eine Reihe von Top-Managern scharf angegriffen und ihnen zu laxe interne Kontrollen beziehungsweise eine mangelnde Aufklärung der Tricksereien vorgeworfen. Darunter war auch Co-Vorstandschef Anshu Jain, der im Frühsommer sein Amt zur Verfügung stellte. Einen Zusammenhang zwischen dem Rücktritt und dem BaFin-Bericht wies die Bank allerdings zurück.
Mit vier mutmaßlich in den Zinsskandal verwickelten Händlern hat sich die Deutsche Bank in Frankfurt nach langem Hin und Her auf einen Vergleich geeinigt, der ebenfalls Geld kostete.
Ob das Zinskapitel wirklich abgeschlossen ist, ist offen. In den USA könnten auch Sammelklagen von Anlegern gegen die Bank zugelassen werden. Sie müssen aber eindeutig nachweisen, dass ihnen durch die Manipulationen Nachteile entstanden sind.
Aufseher, darunter auch die BaFin, gehen dem Verdacht nach, dass Banken am billionenschweren Devisenmarkt ebenfalls getrickst haben. Einige internationale Großbanken haben in der Sache bereits milliardenschwere Vergleiche geschlossen. Die Deutsche Bank als einer der größten Devisenhändler der Welt nicht. Sie hat Finanzkreisen zufolge aber mehrere Händler vom Dienst suspendiert. Sie stehen offenbar im Verdacht, an Referenzkursen gedreht zu haben. Die Deutsche Bank hat erklärt, dass sie zur Aufklärung des Skandals mit verschiedenen Aufsichtsbehörden zusammenarbeitet und zudem eine interne Untersuchung gestartet hat. Diese Untersuchung ergab nach Angaben aus Finanzkreisen, dass es bislang keinerlei Hinweise auf Tricksereien bei den großen Währungen Euro, Dollar, Pfund und Yen gibt, wohl aber vereinzelt beim russischen Rubel und dem argentinischen Peso.
Vom Haken sind die Frankfurter aber nicht: In der US-Niederlassung der Bank installierte die New Yorker Finanzaufsicht DFS einen Kontrolleur, der sich Finanzkreisen zufolge nun schon seit einigen Monaten das elektronische Devisenhandelssystem genauer anschaut. Demnach sind Algorithmen der Plattform "Autobahn" Teil der Ermittlungen.
Amerikanische und deutsche Aufseher gehen zudem dem Verdacht nach, dass Geldhäuser den viel beachteten Marktindex für Swap-Geschäfte (Isdafix) zu ihren Gunsten beeinflusst haben. Sie haben auch dazu Informationen von der Deutschen Bank angefordert.
Das US-Justizministerium ermittelt seit mehr als fünf Jahren gegen Finanzinstitute in der Schweiz wegen mutmaßlicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Am Haken haben die Behörden seit 2013 auch die Deutsche Bank. Deren Schweizer Tochter erstatte Selbstanzeige. Finanzkreisen zufolge hat sich die Deutsche Bank bei den US-Behörden gemeldet, weil sie den Verdacht hegte, einige US-Kunden könnten ihr Vermögen in der Schweiz vor dem heimischen Fiskus versteckt haben. Seither würden Daten an die USA geliefert und Anfragen beantwortet. Eine Strafzahlung könne die Bank damit aber wohl nicht abwenden, sondern nur auf einen Rabatt hoffen. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Bußgeld kann sich auf bis zu 50 Prozent der versteckten Gelder belaufen.
Das Problem für Cryan: derartige Querelen nehmen beim deutschen Branchenprimus einen viel zu großen Raum ein und belasten das Image, wie Aufsichtsratschef Achleitner am Anfang der Hauptversammlung zu Recht feststellte. Cryan kann also sanieren, das marode IT-System der Bank auf einen neueren Stand bringen und Baustellen beheben – das Image der Bank wird er damit aber nicht retten.
Und die Fantasie der Anleger entfacht er mit Erläuterungen zu Einsparungen und dem anstehenden Stellenabbau auch nicht gerade. Cryan muss nun nicht nur die Altlasten beseitigen, sondern auch noch mit einem deutlich angezählten Chefkontrolleur leben. Gleichzeitig darf er die Zukunftsperspektiven der Bank nicht vernachlässigen. Angesichts dieses Spagats gilt: Es gibt wahrlich leichtere Jobs als den des Deutsche Bank-Chefs.