
An seinem großen Tag fällt Guido Kotschy erst mal hin. Der Aufzug bringt den Vorsitzenden Richter in den vierten Stock des Münchner Gerichtsgebäudes. Der schwere Mann mit dem weißen Haarkranz hastet heraus, er will wichtige Wirtschaftsführer vernehmen, den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und den Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Börsig. Doch der Lift hat eine Handbreit unterhalb des Bodens gehalten, der Richter stolpert über die Stufe und stürzt auf den Boden. Sein Anzug reißt, ein Kollege eilt herbei, will helfen. Kotschy schweigt, rappelt sich auf und hastet weiter – grimmig und entschlossen.
So wie im Mai 2011 hat sich der heute 64-Jährige von Beginn an durch einen der größten Wirtschaftsprozesse gekämpft. Unbeeindruckt, stur und verbissen hat sich Kotschy in die seit 2002 währende Fehde zwischen den Vertretern des insolventen Medienunternehmers Leo Kirch sowie der Deutschen Bank und ihrem Ex-Chef Rolf Breuer gegraben, hat gefragt, gebohrt, gelesen, sich nicht von großen Namen beeindrucken lassen, diese zeitweise der Lächerlichkeit preisgegeben. Und so die Deutsche Bank und die sie hauptsächlich vertretende Anwaltskanzlei Hengeler Mueller immer mehr in Bedrängnis gebracht.
Die wichtigsten Stationen im Streit zwischen Deutscher Bank und Kirch
Am Rande des Weltwirtschaftsforums in New York zweifelt Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer am 3. Februar in einem TV-Interview die Kreditwürdigkeit Kirchs an. Acht Wochen später ist der Medienkonzern insolvent. Teile werden an den Axel-Springer-Verlag und den TV-Unternehmer Haim Saban verkauft. Leo Kirch reicht Klage gegen die Bank und Breuer ein.
In der Revision entscheidet der Bundesgerichtshof, dass Breuer Pflichten gegenüber Kirch verletzt hat und deshalb grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch besteht. Breuer tritt als Aufsichtsratschef der Deutschen Bank zurück.
Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen vier frühere Vorstände der Deutschen Bank auf. Kirch stirbt im Sommer mit 84 Jahren.
Ein von Josef Ackermann ausgehandelter Vergleich über 800 Millionen Euro scheitert an der Deutschen Bank.
Reales Milliardenrisiko
Das hatte kaum jemand erwartet. Zu Beginn des Prozesses vor dem Oberlandesgericht 2009 schien der da schon sieben Jahre dauernde Klagemarathon kaum mehr zu sein als die ebenso lästige wie aussichtslose Racheaktion eines alten Mannes, der die eigene Pleite nicht verkraften konnte. Doch seit Kotschy das Sagen hat, ist das Verfahren für Deutschlands größtes Kreditinstitut zum realen Milliardenrisiko geworden. So halten Insider es durchaus für möglich, dass sich die Deutsche Bank noch auf einen Vergleich einlässt, um Schlimmeres abzuwenden – selbst wenn ihre Anwälte davon abraten, weil sie die Argumentation der Kirch-Seite für abwegig halten.
An diesem Freitag steht die nächste und vielleicht entscheidende Etappe auf dem Programm. Erscheinen sollte zu dem Termin im Gerichtssaal 411 auch Jürgen Fitschen, einer von Ackermanns Nachfolgern. Kotschy hatte ihn vorgeladen. Allerdings wird sich der Co-Vorsitzende der Deutschen Bank von einem Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung des Instituts vertreten lassen. Das darf er, da er nicht als Zeuge geladen ist.
Alles deutet darauf hin, dass Kotschy auf einen Vergleich drängen wird. Schon 2011 hatte er der Deutschen Bank nachdrücklich vorgeschlagen, alle Verfahren gegen eine Zahlung von knapp 800 Millionen Euro zu beenden. Insgesamt fordern die Kläger 3,3 Milliarden Euro.
„Kotschy will den Prozess unbedingt zum Abschluss bringen“, heißt es in Justizkreisen. Die Deutsche Bank hat ihm den Gefallen erst mal nicht getan und den Vorschlag abgelehnt. Auch ein unter Mitwirkung Ackermanns ausgehandelter Kompromiss scheiterte, als mehrere Rechtsgutachten dem Institut nahelegten, sich nicht darauf einzulassen. Grund war die Angst vor Klagen der Aktionäre, denen die Bank über Jahre versichert hatte, nicht zahlen zu müssen. Ob die Kläger zu einer Einigung bereit sind? „Das Gericht weiß, was zu tun ist“, sagt ein Sprecher.