Nein, es wird ganz sicher kein angenehmer Termin für Paul Achleitner. Wenn sich die Aktionäre der Deutschen Bank am Donnerstag zu Tausenden in der Frankfurter Festhalle versammeln, wird in erster Linie der Aufsichtsratschef das Ziel teils wütender Kritik sein. Dass er mit Christian Sewing Anfang April einen neuen Vorstandschef installiert hat, wird den Sturm der Entrüstung kaum abmildern. Im Gegenteil, er dürfte sich noch stärker auf ihn konzentrieren. Sewing ist als Chef so frisch, dass er kaum für die Lage der Bank verantwortlich gemacht werden kann.
Die ist seit langem in hohem Maße bedenklich. Der Aktienkurs bewegt sich unverändert nahe historischer Tiefststände, die Erträge schrumpfen schneller als die Kosten, in vielen wichtigen Geschäften verliert das Institut Marktanteile. Der Zorn der Aktionäre ist deshalb verständlich. Sie suchen einen Schuldigen dafür, dass die einst so stolze Bank seit Jahren im tiefen Tal dahin dümpelt.
Die Wahl fällt schon deshalb fast zwangsläufig auf Achleitner, weil er mittlerweile als einziger Verantwortlicher seit vielen Jahren dabei ist. Dass die Bank in einem fast schon grotesken Ablenkungsmanöver gerade ihren Chefvolkswirt David Folkerts-Landau vorgeschickt hat, um allein dem früheren Chef Josef Ackermann die Verantwortlichkeit anzulasten, wird daran nichts ändern.
Achleitner, so die weit verbreitete Meinung, hat als oberster Kontrolleur komplett versagt. Um das ganze Ausmaß seines Scheiterns zu belegen, greifen seine Gegner nicht nur zu Fakten, sondern auch zu einer Art psychoanalytischer Ferndiagnose. Der Österreicher soll zu nett, zu entscheidungsschwach, zu opportunistisch sein.
Achleitner hat nicht alles richtig gemacht
Mit dem Rückgriff auf das von ihm als damaligem Finanzchef mit zu verantwortende Desaster der Allianz mit der Dresdner Bank entsteht sogar eine Erzählung von seiner Karriere als einer einzigen Chronik des Versagens. Achleitner, so lautet dann die Diagnose, war schon immer unfähig. Es hat halt nur keiner gemerkt.
Das ist in dieser Zuspitzung dann doch etwas sehr einfach. Achleitner hat ganz sicher nicht alles richtig, aber eben auch nicht alles falsch gemacht. Das Kontrollgremium der Bank etwa ist heute personell nicht schlechter besetzt als bei seinem Amtsantritt. Und es nimmt seinen Auftrag ernster als damals, der Arbeitsaufwand für die einzelnen Kontrolleure ist enorm gestiegen. Die existenzbedrohenden Rechtsstreitigkeiten hat die Bank zudem mittlerweile abgearbeitet. Für deren Entstehen kann Achleitner nichts.
Die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank
Der gelernte Banker handelt in den 1950er Jahren das Londoner Abkommen über deutsche Auslandsschulden aus. Ministerangebote von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) schlägt er aus. Als Aufsichtsratsvorsitzender von zeitweise bis zu 30 Aktiengesellschaften erlangt Abs später enormen wirtschaftlichen Einfluss in der Bundesrepublik.
Die erste Doppelsitze besteht, bis Klasen 1970 Präsident der Bundesbank wird. Ulrich setzt sich gegen den „Ausverkauf“ der deutschen Wirtschaft ins Ausland ein. Die Deutsche Bank übernimmt etwa 29 Prozent des Grundkapitals der Daimler-Benz AG von der Familie Flick.
Christians gilt als „Außenpolitiker“ und Vorreiter der Annäherung an die Sowjetunion. Die Deutsche Bank finanziert 1970 das bis dahin größte Ost-West-Handelsgeschäft: Mannesmann-Röhren für Gasleitungen gegen sowjetisches Erdgas. 1985 erzielt die Bank eine Milliarde Mark Gewinn durch Zerlegung und Verkauf der Flick-Gruppe.
Der Politikwissenschaftler will die Deutsche Bank zu einem Institut mit Weltstatus umbauen. Er fädelt große Übernahmen anderer Geldhäuser ein. Das „Allfinanz“-Konzept (Finanzprodukte aus einer Hand) wird zum Vorbild für andere deutsche Banken. Herrhausen kommt 1989 durch ein Attentat der RAF ums Leben.
Kopper baut das Investmentbanking aus und richtet die Bank zunehmend international aus. Eine der größten Pannen ist der Crash des Immobilien-Imperiums von Jürgen Schneider. Aus Koppers Bemerkung, offene Rechnungen in Höhe von 50 Millionen Mark seien „Peanuts“, wird das Unwort des Jahres 1994.
Als „Mister Finanzplatz“ baut er Frankfurt zu einem internationalen Finanzstandort aus. Ein Rückschlag ist 2000 die gescheiterte Fusion mit der Dresdner Bank. Später äußert sich Breuer kritisch zur Kreditwürdigkeit Leo Kirchs. Der Medienkonzern bricht zusammen, der Unternehmer verklagt Breuer und die Deutsche Bank. Eine juristische Dauerfehde beginnt.
Der Schweizer polarisiert wie kaum ein anderer Bankmanager. Im Mannesmann-Prozess zeigt er 2004 im Gerichtssaal das Victory-Zeichen, 2005 streicht er Tausende Stellen und verkündet zugleich ein Renditeziel von 25 Prozent. Die Deutsche Bank wird unter Ackermann eine weltweit führende Investmentbank, er steuert sie ohne Staatshilfen durch die Finanzkrise.
Jain verdiente jahrelang als oberster Investmentbanker Milliarden für die Deutsche Bank. Viele Probleme des Hauses haben ihre Wurzeln in der von ihm geführten Sparte. Fitschen blieb noch bis zum Ablauf der Hauptversammlung Mitte Mai 2016 im Amt.
Der als Sanierer geschätzte ehemalige UBS-Finanzchef beendete teure juristische Altfälle, stärkte das Institut mit einer milliardenschweren Kapitalerhöhung und brachte die Fondstochter DWS an die Börse. Allerdings gelang es ihm nicht, die Erosion der Erträge aufzuhalten. Drei Jahre hintereinander schrieb die Deutsche Bank rote Zahlen - auch wegen der Beilegung teurer Rechtsstreitigkeiten.
Der neue starke Mann: Sewing, der fast sein ganzes Berufsleben in der Deutschen Bank verbracht hat, hat Anfang April 2018 das Ruder von John Cryan übernommen.
Bei näherer Betrachtung sind zudem viele Vorwürfe weniger substanziell als es auf den ersten Blick scheint. Anshu Jain etwa soll Achleitner zu spät, John Cryan dagegen zu früh abserviert haben. Dass beide von Anfang an absurde Fehlbesetzungen waren, behauptet niemand. Und der Abgang des von Achleitner selbst installierten Cryan mag überhastet erscheinen. Tatsächlich aber hatte sich in den Monaten zuvor eine bleierne Schwere, eine dumpfe Glocke der Hoffnungslosigkeit über die Bank gelegt. Ob ein Chefwechsel das beste Gegenmittel darstellt, ist sicher diskussionswürdig. Vertretbar aber ist er.
Außerdem soll Achleitner dafür verantwortlich sein, dass der Bank eine erfolgreiche Strategie fehlt. Die zu finden und umzusetzen ist eigentlich die Aufgabe des Vorstandschefs. Bei Achleitner ist der Vorwurf aber deshalb naheliegend, weil er selbst die Grenzen verschoben und immer wieder den Eindruck erweckt hat, letztlich über den Weg der Bank zu entscheiden. Dass die aktuelle Strategie der Bank allenfalls eingeschränkt funktioniert ist offensichtlich. Einen überzeugenden Gegenentwurf hat jedoch bisher kaum jemand präsentiert. Abgesehen von der Idee einer kompletten Zerschlagung des Instituts erschöpft sich die Diskussion im Wesentlichen in der Frage, ob die Bank nun etwas mehr oder weniger Investmentbanking betreiben soll.