Michael Kemmer, 62, zählte viele Jahre zu den wichtigsten deutschen Bankern, er war Vorstand der HypoVereinsbank und Chef der BayernLB. Von 2010 bis 2017 war er als Geschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken der oberste Interessenvertreter der privaten Institute.
WirtschaftsWoche: Herr Kemmer, mit den deutschen Banken geht es scheinbar unaufhaltsam abwärts, die Deutsche Bank wird vermutlich Tausende weitere Stellen abbauen. Wann ist der Boden erreicht?
Michael Kemmer: Ich fürchte, dass sich die Entwicklung eher noch beschleunigen wird. Die Rahmenbedingungen sind und bleiben ungünstig. Die deutschen Banken sind immer noch sehr stark von der Entwicklung der Zinsen abhängig und die werden wohl längere Zeit sehr niedrig bleiben. Der Effekt trifft die Banken erst jetzt mit voller Wucht, weil allmählich die letzten höher verzinsten Anlagen auslaufen. Wenn sich nun auch noch die Konjunktur abschwächt und damit die Risikovorsorge steigt, wird der Druck noch deutlich zunehmen.
Hinter uns liegen zehn Jahre Aufschwung. Warum haben die Banken davon nicht profitiert?
Die deutschen Unternehmen finanzieren sich weiterhin vor allem über Kredite, das schränkt die Möglichkeit ein, lukrative Provisionserträge zu generieren. Und trotz des Aufschwungs ist die Nachfrage nach Krediten nur überschaubar gewachsen, weil sich Unternehmen aus dem eigenen Cashflow finanzieren. Deshalb haben sich die Banken massiv bei den Konditionen unterboten, um überhaupt Geschäft zu machen. Das ist dann allerdings wenig profitabel. Viele Institute haben echtes Kreditwachstum nur noch bei der klassischen Immobilienfinanzierung, aber auch da sind die Margen wegen des hohen Wettbewerbs sehr stark unter Druck.
Droht im Abschwung eine neue Finanzkrise?
Mit Sicherheit nicht, die deutschen Banken sind stabil, sehr gut kapitalisiert und sehr liquide. Aber sie werden noch härter um ihre Profitabilität kämpfen müssen – und damit gerade im internationalen Vergleich weiter zurückfallen.
Ist das ein Problem?
Wenn wir im Inland nicht mehr in ausreichendem Umfang große und international bedeutende Banken haben, werden die größeren Unternehmen und auch der Mittelstand bei ihren internationalen Geschäften zunehmend auf ausländische Banken angewiesen sein. Das ist gerade in Zeiten wachsender politischer Unruhe nicht unproblematisch. So gesehen ist eigentlich auch das vermehrte Interesse der Politik an unseren Banken ein Alarmzeichen.
In der Vergangenheit sind viele deutsche Banken ins Ausland ausgewichen, um dort ein profitableres Geschäft zu machen. Rückblickend hat das ihre Probleme eher noch verschärft.
Ich finde nicht, dass die deutschen Banken die Expansion ins Ausland grundsätzlich weniger professionell angegangen sind als Wettbewerber aus anderen Ländern. Allerdings gibt es da einen fundamentalen Unterschied: Banken in anderen Ländern haben ein profitables Geschäft im Inland und expandieren dann aus einer Position der Stärke heraus über die Grenzen hinweg. Den deutschen Banken fehlt das. Das macht sie anfälliger und nimmt ihnen die Kraft, ihre Auslandstrategie auch in schwierigen Zeiten durchzuhalten.
An ihrer Schwäche auf dem Heimatmarkt sind sie aber auch selbst schuld, weil sie wichtige Trends verpasst haben. Das Onlinebanking etwa dominiert heute die niederländische ING.
Das stimmt. Viele deutsche Banken hängen immer noch sehr stark am Modell der Universalbank, die für alle Kunden alles anbietet. Das war lange auch sinnvoll so: Wenn eine Sparte schwächelt, kann die andere das ausgleichen. Allerdings sind große Banken insbesondere durch die Regulierung nach der Finanzkrise sehr komplex und schwerfällig. Sie können nur erfolgreich arbeiten, wenn sie in einem Markt über hohe Marktanteile verfügen. Da das in Deutschland aufgrund der speziellen Struktur des Marktes nicht gegeben ist, geht die Zeit der großen Universalbanken hierzulande langsam zu Ende. In Deutschland sind vor allem jene Banken erfolgreich, die sich klar fokussiert haben.
Die Banken wollen ihre Probleme anscheinend dadurch lösen, dass sie möglichst radikal die Kosten senken. Ist das der richtige Weg?
Das ist notwendig, denn viele sind nicht ausreichend effizient. Es reicht aber nicht aus, wenn das klare Geschäftsmodell fehlt. Ich glaube, Banken werden dann erfolgreich sein, wenn sie weniger machen. Aber das richtig.