Dick und analog Warum sich die Commerzbank mit der Digitalisierung schwertut

Commerzbank: digitaler Aufbruch geht schleppend voran Quelle: Getty Images/Dario Egidi, Montage: Uwe Schmidt

Überholte IT-Systeme und konservative Kunden erschweren den digitalen Aufbruch des Instituts. Intern wachsen deshalb die Zweifel an der Strategie.

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Manchmal versagt auch bei Michael Spitz die Technik. Der Manager der Commerzbank will die PowerPoint-Präsentation eigentlich mit seinem iPhone steuern, aber außer dem Startbild ist nichts zu sehen. Nach einigen vergeblichen Versuchen holt eine Kollegin einen Stapel Papiere aus ihrer Tasche. Spitz führt erst mal analog durch die Folien, die zeigen sollen, wie toll sein Arbeitgeber digital unterwegs ist.

Mit dem „Mainincubator“ leitet der Mann mit den raspelkurzen rotblonden Haaren ein zukunftsweisendes Projekt der Frankfurter Bank. In einer Seitenstraße am düsteren Ende des Frankfurter Bahnhofsviertels sichten er und seine 40 Mitarbeiter Geschäftsmodelle von Start-ups. 760 Konzepte haben sie in ihrem stilecht mit Carrerabahn, Billardtisch und Gin-Bar eingerichteten Büro bereits geprüft. Wenn eine Idee überzeugt, investiert die Commerzbank Geld.

Von den digitalen Innovationen will sie dann eigentlich auch selbst profitieren. Das klappt jedoch nicht immer. So hat die Bank etwa in das Start-up Gini investiert, dessen App Überweisungen deutlich einfacher macht. Kunden müssen mit ihr kein digitales Formular mehr ausfüllen, es reicht ein Foto der Rechnung. Etliche Banken haben das Angebot in ihre Apps integriert. Ausgerechnet die Commerzbank nutzt eine andere, ältere Lösung.

von Saskia Littmann, Jürgen Berke, Cornelius Welp

Tatsächlich klaffen Wunsch und Wirklichkeit bei dem Institut noch weit auseinander. Vorstandschef Martin Zielke sieht die Bank schon auf dem besten Weg zum Technologiekonzern. 80 Prozent der Prozesse will er in den kommenden Jahren digitalisieren, 700 Millionen Euro steckt er deshalb jährlich in innovative Projekte und Informationstechnik. Das Ergebnis ist bisher durchwachsen. In Teilen ist das Angebot der Bank inzwischen schon so modern, dass es die Kunden überfordert. In weit größeren Teilen hinkt es dem eigenen Anspruch aber hinterher. Die völlig veralteten IT-Systeme der Bank hemmen ihren digitalen Aufbruch.

Wie bei vielen anderen Instituten gleicht die EDV-Landschaft auch der Commerzbank einem grob zusammengesetzten Puzzle, dessen Teile nur durch große Flicken zusammengehalten werden. Digitale Neuerungen pfropft die Bank mühsam auf die wacklige Grundlage, für eine grundsätzliche Renovierung reicht das Geld nicht. „Die digitalen Angebote für die Kunden sind nur eine moderne Fassade“, sagt ein Insider. Hinter der müsse die Bank selbst veränderte Konditionen aufwendig programmieren.

So digitalisieren Banken ihr Geschäftsmodell

Arbeitnehmervertreter zweifeln deshalb verstärkt am Erfolg von Zielkes „Commerzbank 4.0“ betitelter Strategie. „Geschwindigkeit und Richtung des digitalen Wandels stimmen nicht“, sagt ein Aufsichtsrat. Mit seinen Kollegen will er deshalb in den nächsten Monaten mögliche Gegenvorschläge erarbeiten und die dann bei einer Strategietagung im September präsentieren. Zielke und seine Vorstandskollegen sollen die Bedenken ernst nehmen und das Gespräch mit den Zweiflern suchen.

Für die Arbeitnehmer ist das Thema umso wichtiger, weil es um Tausende Jobs geht. 2016 hat die Bank angekündigt, bis zum Jahr 2020 insgesamt 7300 Stellen abzubauen. Der Personalabbau soll jedoch erst dann erfolgen, „wenn die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen vorliegen“, heißt es in der Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Schreitet die Digitalisierung nicht wie geplant voran, fallen weniger Stellen weg.

„Nur für die Unterschrift brauchen wir am Ende Papier“

Die Bank sieht sich auf einem guten Weg. 48 Prozent ihres Geschäfts hat sie nach eigenen Angaben digitalisiert, bis Ende des Jahres sollen es 65 Prozent sein. „Das ist ein Prozess, den wir mit agilen Methoden gestalten“, sagt Ulrich Coenen, Leiter des Bereichs Unternehmerkunden. In diesem ging es bisher vor allem ums Privatkundengeschäft. So können Kunden ihre gesamte Baufinanzierung inklusive Wohnungssuche und Bewertung der Immobilie per App steuern. „Nur für die Unterschrift brauchen wir am Ende Papier“, sagt Coenen. In der Praxis sollen jedoch viele Kunden spätestens beim Einscannen von Dokumenten überfordert sein, sagt ein Banker.

Bei anderen Trendthemen stolpert die Bank der Konkurrenz hinterher. Überweisungen von Handy zu Handy etwa sind selbst bei den Sparkassen fortschrittlicher. Und während Kunden bei anderen Banken über Apps längst Einblick in ihre Konten bei anderen Instituten nehmen können, arbeitet die Commerzbank immer noch an dieser Funktion.

Die Schwierigkeiten halten sie nicht davon ab, immer neue Projekte anzuschieben. So arbeitet die Commerzbank laut Aufsichtsrats- und Finanzkreisen im polnischen Lodz derzeit an einer Plattform für eine internationale Onlinebank. Mit einer einheitlichen Oberfläche soll sich das neue Angebot in der jeweiligen Landessprache an Kunden innerhalb der EU richten. An solch grenzüberschreitenden Ideen haben schon mehrere Banken gearbeitet, realisiert haben sie bisher keine. Auch bei der Commerzbank soll noch nicht klar sein, ob das Angebot wirklich an den Start geht. Dafür müsse vor allem die Finanzierbarkeit geprüft werden.

Diese Unternehmen setzen auf IT-Rentner
Bill Hinshaw verbringt seinen Ruhestand etwas anders als der Durchschnittsrentner. Der 75-jährige Großvater von insgesamt 32 Enkeln und Urenkeln ist zwar auch bei seiner Familie. Das Arbeiten aber kann er nicht lassen. Er hilft amerikanischen Unternehmen dabei, ihre Computersysteme am Laufen zu halten. Sein Alter ist dabei kein Nachteil. Im Gegenteil: Hinshaw erlernte das Programmieren in den 60er Jahren, als ein Computer so groß wie ein Zimmer war und mit Lochkarten arbeitete. Der Unternehmer gehört zur immer kleiner werdenden Zahl von Experten für die Programmiersprache Cobol. Quelle: REUTERS
Obwohl es längst modernere Sprachen gibt, ist Cobol aus großen Banken, Konzernen und Teilen der US-Regierung nicht wegzudenken. Denn die leistungsfähigen Computersysteme der Firmen und Behörden wurden oft in den 70er oder 80er Jahren aufgebaut und nie ganz ersetzt. Quelle: dpa
Vor allem für die Finanzbranche hat die Uralt-Programmiersprache eine große Bedeutung. Täglich werden Transaktionen mit einem Volumen von schätzungsweise drei Billionen Dollar über Cobol-Systeme abgewickelt. Dabei geht es um Girokonten, Kartennetze, Geldautomaten und die Abwicklung von Immobilienkrediten. Weil die Banken aggressiv auf eine Digitalisierung ihres Geschäftes setzen, wird Cobol sogar noch wichtiger. Denn Apps für Smartphones etwa sind in modernen Sprachen geschrieben, müssen aber mit den alten Systemen harmonieren. Quelle: dpa
In solchen Fällen kommen Hinshaw und andere Experten ins Spiel. Vor ein paar Jahren wollte der 75-Jährige aus Nordtexas seine IT-Firma eigentlich schließen und in den Ruhestand gehen. Aber seine früheren Kunden riefen immer wieder an und wollten Hilfe. Im Jahr 2013 gründete Hinshaw schließlich eine neue Firma, die Kontakte zwischen Konzernen und Experten vermittelt. Erfahrene Cobol-Programmierer können mehr als 100 Dollar in der Stunde verdienen, wenn sie Fehler beseitigen, Handbücher neu schreiben oder dafür sorgen, dass die alten Systeme mit den neuen zusammenarbeiten. Quelle: REUTERS
Für Konzerne ist das allemal billiger, als die alten Systeme ganz aufzugeben - was ohnehin riskant wäre. Der frühere Barclays-Chef Antony Jenkins sagt, für Geldinstitute gehe es nicht nur darum, dass es immer weniger Spezialisten gebe. Die heutigen Großkonzerne sind oft das Ergebnis etlicher Firmenfusionen. "Es ist unheimlich komplex", sagt Jenkins, der heute neue IT-Systeme an Banken verkauft. "Die alten Systeme der verschiedenen Generationen haben mehrere Ebenen und sind oft stark miteinander verwoben." An eine Systemumstellung denken manche Bankmanager deswegen nur mit Grauen. Ihr Alptraum ist, dass dabei ein Fehler unterläuft und Millionen Kundendaten verschwinden. Zugleich wissen die Verantwortlichen, dass sie nicht ewig auf eine Expertengeneration setzen kann, die irgendwann ausgestorben ist. Quelle: Reuters
IBM - ein Pionier im Bereich der Mainframe-Computer - sieht die Zukunft weniger schwarz. Der US-Konzern bildet junge IT-Spezialisten in Cobol aus und hat nach eigenen Angaben innerhalb von zwölf Jahren mehr als 180.000 Entwickler geschult. "Nur weil eine Sprache 50 Jahre alt ist, heißt das nicht, dass sie schlecht ist", sagt Mitarbeiterin Donna Dillenberger. Cobol-Veteranen wie Hinshaw argumentieren jedoch, dass es nicht reiche, die Sprache zu beherrschen. Einzelne Systeme sind sehr unterschiedlich, und die Programmierer hinterließen in den Frühtagen nur selten Handbücher. Das erschwert heute die Fehlerbehebung. Quelle: REUTERS
In den USA beginnen Banken nur langsam damit, Systeme komplett auf modernere Sprachen umzustellen. Dabei können sie von Erfahrungen im Ausland lernen. So löste die Commonwealth Bank of Australia ihr zentrales System 2012 mit Hilfe der Unternehmensberatung Accenture und dem Softwarekonzern SAP ab. Letztlich dauerte die Umstellung fünf Jahre und kostete mehr als eine Milliarde australische Dollar (700 Millionen Euro). Einen ähnlichen Schritt hat die schwedische Bank Nordea bis 2020 vor sich. Bis es für andere Institute soweit ist, müssen sie frühere Angestellte reaktivieren - obwohl deren Wissen einst als überflüssig eingeschätzt wurde. So berichtet ein Cobol-Programmierer, er sei 2012 entlassen worden. Stattdessen sollten jüngere und billigere Angestellte mit einer Ausbildung in neueren Sprachen seinen Job übernehmen. Zwei Jahre später kam er als Freiberufler in dieselbe Firma zurück, weil die Manager auf unerwartete Probleme gestoßen waren. "Die Rückbeorderung in die Bank war für mich wie eine Ehrenrettung", sagt der Experte. Quelle: REUTERS

Auch im Firmenkundengeschäft soll es jetzt digital vorangehen. Dabei seien die Terminals im Zahlungsverkehr teilweise so alt, dass das Einarbeiten neuer Mitarbeiter schon mal Wochen dauern könne, sagt ein Banker. Künftig sollen mehr Kunden über digitale Plattformen betreut werden und ihre Geschäfte selbst erledigen. Viele Banker zweifeln daran, dass den Unternehmern das wirklich lieber ist als das persönliche Gespräch mit dem Berater. „Wir werden so digital, wie die Kunden es wollen“, sagt dazu Jan-Philipp Gillmann, der die Digitalisierung des Geschäfts verantwortet. Mehr als 30.000 mittelständische Kunden wären bereits für das Firmenkundenportal freigeschaltet. Ziel müsse es sein, dass jeder Kunde dort zumindest angemeldet ist. „Deshalb haben wir den Vertrieb darauf ausgerichtet, unsere Kunden verstärkt mit unseren digitalen Angeboten vertraut zu machen“, sagt Gillmann.

Die Berater selbst will die Bank in ihrem „Digital Campus“ im Frankfurter Westen von den neuen Technologien begeistern. An den Wänden kleben farbige Post-its, auf kleinen Hockern sitzen einzelne Grüppchen. Mitarbeiter aus allen Breichen der Bank tauschen hier eine Zeit lang Anzug gegen Kapuzenpulli und nehmen die digitalen Erkenntnisse dann mit in ihre Standorte. Insgesamt müsse die Lernbereitschaft noch steigen, meint Banker Coenen: „Wir brauchen die unbedingte Liebe zur Technologie als Werkzeugkasten.“ Workshops machen auch die Vorstände zu Digitalexperten, regelmäßig finden deren Sitzungen im Campus statt.

Technisch allen voraus ist bisher Arno Walter, Chef der Commerzbank-Tochter comdirect, der gerne davon berichtet, wie er schon morgens im Badezimmer bei Amazons Alexa das Wetter erfragt.

Auch Michael Spitz sieht sich als Vorreiter. Irgendwann kann er seine Präsentation doch noch mit seinem iPhone steuern. Er spricht schnell, belegt seine Expertise mit Begriffen wie AI, R3 Corda und Hyperledger. Damit er dabei nicht durcheinanderkommt, hat er ein eigenes Digitallexikon bei sich, in dem jedes Fachwort erklärt wird und das er „seine Bibel“ nennt. Die Bibel ist ein Notizbuch – dick und analog.

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