Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Dieses Zitat von Friedrich Schiller gilt für Anleger in der Niedrigzinsphase mehr denn je. Tagesgeld ist daher in Deutschland so beliebt wie lange nicht mehr – trotz der Minizinsen, die Banken ihren Kunden bieten. Umso leichter haben es Institute, die mit Tagesgeldzinsen weit über dem Marktschnitt Kunden locken. Oft sind es ausländische Direktbanken, die in Deutschland auf die Jagd nach Einlagen gehen. Sie führen die Tagesgeldcharts an – vor deutschen Direktbanken und weit vor Filialbanken wie der Deutschen Bank oder den Sparkassen.
Die Unterschiede sind gewaltig. Einerseits zahlen die meisten Sparkassen, Volksbanken oder große Privatbanken wie die Commerzbank oft maximal 0,25 Prozent Zinsen und liegen damit deutlich unter der aktuellen Teuerungsrate in Deutschland von 1,3 Prozent. Gleichzeitig gibt es aber Banken, bei denen Sparer den Inflationsausgleich sogar mit Tagesgeld schaffen. Aktuell liegen die höchstbietenden Institute bei 1,5 Prozent.
Dass die Kostenstruktur einer Direktbank eine andere ist als die einer Sparkasse oder Volksbank ist offensichtlich. Aber auch zwischen den einzelnen Internet-Banken gibt es Unterschiede. Während etwa die comdirect, die Online-Tochter der Commerzbank, für ihr Tagesgeld-Konto gerade einmal 0,6 Prozent Zinsen locker macht, können Neukunden der österreichischen VTB zur Zeit 1,5 Prozent kassieren. Allerdings nur im Rahmen einer Aktion bis Anfang März.
Aber warum können sich einige Online-Banken solche Lockangebote leisten? Wie nachhaltig sind diese Angebote? Und welche Risiken gehe ich als Kunde ein, wenn ich mich darauf einlasse?
Während die comdirect ihre vergleichsweise niedrigen Zinsen damit erklärt, dass sie Wert lege auf ein ausgewogenes Zusammenspiel aus angemessenen Konditionen und der aktuellen Marktlage, propagiert die VTB werbewirksam ihren Zinsknaller und geht so auf die Jagd nach Einlagen. Für Banken ist so ein Halali einerseits lukrativ, sie können schnell Geld eintreiben. Branchenkenner erklären, dass bei guten Angeboten in nur ein bis zwei Wochen dreistellige Millionenbeträge in die Kasse fließen können. Ganz ungefährlich ist das für Banken allerdings nicht. „Tagesgeldeinlagen sind eine riskante Form der Banken-Refinanzierung, vor allem wegen der täglichen Kündigungsmöglichkeit seitens der Kunden und Compliance-Fragen“, sagt Klaus Fleischer, Professor für Banklehre an der Hochschule München.
Denn um mit dem Geld der Kunden auch etwas zu verdienen, muss es angelegt werden. Je längerfristiger, desto besser. Nutzen Banken das Kapital beispielsweise, um damit Kredite zu vergeben, für die sie wiederum höhere Zinsen kassieren können, ist das ein lukratives Geschäft. Banker sprechen von positiver Fristentransformation, wenn langfristige Investitionen mit kurzfristigen Geldern finanziert werden. Diese Fristentransformation ist allerdings zuletzt immer schwieriger geworden. Die comdirect etwa erklärte gegenüber WirtschaftsWoche Online, es sei im Niedrigzinsumfeld schwieriger geworden, die Balance zwischen Kundenzins und Profitabilität zu managen.
Gleichzeitig gehen die Banken ins Risiko: Sparer mit Tagesgeldkonten können ihr Geld jederzeit wieder abziehen. „Sie brauchen nur eine schlechte Nachricht über die Bank, dann ziehen Anleger in großem Umfang Gelder ab und wechseln zu einem Wettbewerber“, sagt Fleischer. Auch das sogenannte Zins-Hopping, also der Wechsel von einem Angebotszins zum nächsten, wird immer beliebter. Zwar wissen Beobachter, dass Tagesgeldanleger relativ träge sind und nicht so oft den Anbieter wechseln. Langfristig planen können Banken mit den Kundeneinlagen dennoch nicht.
ING Diba gilt als Paradebeispiel
Dennoch schaffen es einige Institute, sich seit langem in den Tagesgeld-Spitzenpositionen zu halten. Ein klassisches Beispiel ist die ING Diba, die bei vielen Auslandsbanken als Vorbild gilt. Die Tochter der niederländischen ING Gruppe hat sich dank ihrer Tagesgeldangebote dauerhaft am deutschen Markt etabliert. Über die Tochter Interhyp wiederum vermittelt die ING Diba Immobilienkredite an Verbraucher. So gehen beide Bereiche eine lukrative Symbiose ein. Am Freitag verkündete die Bank ein neues Rekordergebnis. Mit ihren 8,1 Millionen Kunden steigerte die Bank ihren Nettogewinn um satte 46 Prozent auf 474 Millionen Euro. Mehr als eine halbe Million neue Kunden seien hinzugekommen, so ING-Diba-Chef Roland Boekhout. Der Großteil der 104 Milliarden Euro Kundeneinlagen hätten die Sparer in Tagesgeld angelegt.
Gleichzeitig legen allein die Zinsdifferenzen zwischen den einzelnen Banken nahe, dass das Geschäft mit den Lockangeboten nicht immer gewinnbringend ist. „Anleger müssen zwischen normalen Konditionen und Marketingkonditionen unterscheiden“, sagt Olaf Stotz, Professor an der Frankfurt School of Finance. Letztere würden mehr oder weniger aus dem Marketingbudget der jeweiligen Banken finanziert. „Mit den hohen Zinsen werden Sparer als Neukunden gewonnen und auf andere Produkte aufmerksam gemacht, um damit dann Gewinne zu erzielen", sagt Fleischer. Gerade Auslandsbanken wie Moneyou, Rabodirect oder der Onlineableger der spanischen Santander nutzen Tagesgeldangebote als Ausgangspunkt in den deutschen Markt. Häufig würden die vergleichsweise hohen Zinsen dann durch andere Geschäftsbereiche der Institute quersubventioniert, so Fleischer. Der Bankexperte schätzt, dass das Geschäft bei einem Zins von etwa 0,7 Prozent ein für die Banken ein Nullsummenspiel ist.
Einige Banken geben daher zumindest hinter vorgehaltener Hand zu, sich eine Position unter den besten Tagesgeldzins-Zahlern nicht auf Dauer leisten zu können. Dafür ist die Nachfrage zu groß. Auch die Rabodirect, der Online-Ableger der niederländischen Rabobank, musste sich zwischendurch aus den Tagesgeld-Vergleichscharts zurückziehen, da die Mitarbeiter der Online-Bank den Kundenansturm nicht mehr bewältigen konnten.
Ähnliches passierte auch der Mercedes Bank, zeitweise war die Autobank so beliebt, dass die Webseite zusammenzubrechen drohte. Seit dem haben die Stuttgarter ihr Angebot deutlich reduziert und bieten jetzt nur noch 0,7 Prozent für ein Online-Tagesgeldkonto.
Grundsätzlich benutzen gerade Autobanken den Tagesgeldkanal gerne zur Refinanzierung. Beobachter schätzen, dass sie etwa ein Viertel ihres gesamten Refinanzierungsvolumens aus Tagesgeldeinlagen generieren. Für die Autofinanzierer ist das einfach und günstig, denn sie verfügen oft über deutlich schlechtere Ratings als große Privatbanken. Für sie ist es daher teurer, sich über die traditionellen Kanäle wie den Interbankenmarkt oder über die Europäische Zentralbank (EZB) zu refinanzieren. Große Privatbanken dagegen haben ein so gutes Rating, dass sie sich leicht über andere Kanäle refinanzieren können und auf Lockangebote beim Tagesgeld nicht angewiesen sind.
Worauf Kunden achten müssen
Dennoch ist das Modell der Autofinanzierer einfach. Sie sammeln Kundeneinlagen vergleichsweise günstig ein und geben es dann in Form von Autokrediten an Kunden weiter. Das ist lukrativ, da für die Finanzierung des Neuwagentraums in der Regel Raten deutlich über den Tagesgeldzinsen fällig werden. Zudem sind die Kredite über den Wert des Fahrzeugs besichert.
Trotz besicherter Kredite fragen sich Kunden immer wieder, wie sicher ihr Erspartes bei den Tagesgeld-Lockangeboten ist. Denn es gibt auch negative Beispiele. Das jüngste ist die Kaupthing Bank. Die größte isländische Bank machte nicht nur auf dem Heimatmarkt ein gutes Geschäft, sondern expandierte auch ins europäische Ausland, um dort Einlagengeld der Sparer einzusammeln. Auch in der Bundesrepublik. Zehntausende deutsche Anleger legten ihr Erspartes bei den Isländern an – weil die Bank mit Kampfzinsen auf Kundenfang ging. Zu Beginn der Finanzkrise im Oktober 2008 brach die Bank zusammen und die Sparer mussten zittern. Das größte Problem war damals, dass durch die magere Einlagensicherung bei Kaupthing pro Sparer gerade einmal 20.887 Euro abgesichert waren.
Können Sparer den Kampfangeboten also vertrauen? Grundsätzlich ja, denn mittlerweile gibt es eine EU-weite Einlagensicherung, die Ersparnisse bis 100.000 Euro abdeckt. "Für den Kunden kann da relativ wenig schief gehen", sagt Stotz. Allerdings: Ist eine ausländische Tochter am deutschen Tagesgeldmarkt aktiv, gilt für sie normalerweise die Einlagensicherung des Heimatlandes. Die ist zwar auf dem Papier in Ordnung, Kritiker befürchten allerdings, dass im Fall einer Pleite die Belange der ausländischen Sparer zuletzt bearbeitet würden.
Sparer müssen deshalb vor den guten Angeboten nicht zurückschrecken, sollten sich aber vorher mit dem Kleingedruckten beschäftigen. Denn teilweise sind gerade die Lockangebote an konkrete Bedingungen geknüpft, wie beispielsweise das gleichzeitige Eröffnen eines Depots. „Je verklausulierter die Vertragsbedingungen sind, desto eher sollten Sparer die Finger davon lassen“, sagt Fleischer. Wer unsicher ist, wie seriös die jeweilige Bank ist, kann auch einen Blick auf das Rating sowie den Eigenkapitalbestand werfen. Die wichtigste Regel ist allerdings, das Geld auf dem jeweiligen Tagesgeldkonto nicht einfach zu vergessen, sondern regelmäßig Angebote zu vergleichen. Oft gelten die besten Zinssätze nämlich nur für Neukunden, Bestandskunden gehen mit weit weniger nach Hause.
Nichtsdestotrotz wird der Kampf um die Einlagen des Sparers in jedem Fall weitergehen. Denn durch die verschärften Liquiditätsvorschriften im Zuge von Basel III müssen die Banken höhere Kapitalquoten erreichen. Auch die EZB könnte den Markt weiter anfachen, sollten Banken ihr Kapital nicht mehr kostenlos bei der Notenbank parken können. „Sollte die EZB tatsächlich einen Strafzins auf Einlagen der Banken einführen, dürfte der Markt für Tagesgeld noch umkämpfter werden“, sagt Fleischer. Auf den Sparer dürften damit weitere Lockangebote zukommen.