Erstmals nach dem Brexit-Referendum musste Mario Draghi am Donnerstag Position beziehen. Im Vorfeld des Zinsentscheids war spekuliert worden, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte den Knall aus Großbritannien zum Anlass nehmen, erneut an der Zinsschraube zu drehen. Der Blick auf den Dax zeigt, dass das wohl eine Fehlspekulation war.
Der Leitindex pendelte um die Marke von 10.150 Punkten und auch Mario Draghi, der die Sprache der Märkte nahezu perfekt spricht, konnte dem Index kaum Phantasie einhauchen. Das ist, nach einem derart einschneidenden Ereignis wie dem Referendum, zumindest eine kleine Überraschung.
Die EZB beließ den Leitzins auf seinem Rekordtief von null Prozent. Der Einlagezins, den Banken zahlen, wenn sie kurzfristig Geld bei der EZB parken, bleibt bei minus 0,4 Prozent. Auch an den Details ihres monatlich 80 Milliarden Euro schweren Anleihekaufprogramms schraubten die Währungshüter nicht. „Wir waren etwas über die relativ positive Einschätzung der gegenwärtigen Ereignisse und deren Auswirkung auf die Inflation und Inflationserwartungen überrascht“, sagt Tim Graf, Europa-Chefstratege bei State Street Global Markets im Hinblick auf Draghis zurückhaltende Äußerungen in punkto Brexit.
„Die Finanzmärkte der Euro-Zone haben diese Spitze der Unsicherheit und Volatilität abgewettert“, lobte Draghi die Widerstandsfähigkeit der Märkte. Der Italiener räumte zwar ein, dass die Phase der Unsicherheit bleiben werde und der Brexit auch das Wachstum der Euro-Zone beeinflusse – der EZB-Chef hatte diesen Einfluss in einer früheren Rede mit 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte innerhalb der nächsten drei Jahre beziffert.
Einen großen Einfluss auf die Inflationsraten der Euro-Zone wollte Draghi dem Brexit aber nicht zuschreiben. Die EZB versucht weiterhin, ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent zu erreichen.
Deutlich problematischer bewertet die EZB die Situation der europäischen Banken. Auch das lässt sich leicht an Börsenkursen erkennen. Auf die Situation der Banken und deren notleidenden Krediten angesprochen, erklärte Draghi, eine staatliche Kreditlinie zur Absicherung notleidender Kredite von Banken sei unter Umständen „möglich“ und könnte helfen, wenn andere Lösungen scheitern. Bankaktien in Europa gehörten seit dem zu den großen Gewinnern.
Banken als Problemfall
Bankaktien in Europa gehörten seit dem zu den großen Gewinnern. Klar, dass die notleidenden Kredite, die sich vor allem in den Bilanzen der italienischen Banken tummeln, den Zentralbankern nicht in den Kram passen. „Das macht Banken angreifbar“, sagte Draghi.
Zudem sorgen die faulen Kredite dafür, dass die Geldpolitik nicht so gut wirkt, wie sie möglicherweise wirken könnte. „Banken sind für die Euro-Zone sehr wichtig“, räumt Draghi ein und betont, wie wichtig der Kreditkanal für die Wirkung seiner Geldpolitik sei.
Denn: Je mehr faule Kredite Banken in ihren Büchern haben, desto weniger Darlehen vergeben die Institute in der Regel. Mehr vergebene Kredite ist allerdings genau das, was die EZB mit ihrer ultra-expansiven Geldpolitik erreichen will. Deswegen, so Draghi, seien der Notenbank auch die fallenden Preise der Bankaktien bei weitem nicht egal, vor allem die schwache Profitabilität bereite Sorge.
Auf noch härtere Kritik an den Instituten wollte sich Draghi aber nicht festlegen und verwies statt dessen auf den nächsten Stresstest von EZB und Europas Bankenaufsicht EBA, dessen Ergebnisse am kommenden Freitagabend veröffentlicht werden.
Keine Änderungen bei Anleihekäufen
Viele Beobachter hatten erwartet, die EZB könnte an den Details des Anleihekaufprogramms schrauben, um den Horizont der kaufbaren Anleihen zu erweitern. Immer mehr Anleihen rentieren im negativen Bereich unter dem Einlagezins und sind deshalb für die EZB nicht mehr kaufbar.
Spekuliert worden war unter anderem, ob die Notenbanker Anleihen nicht mehr wie bisher nach dem Kapitalschlüssel kaufen könnten oder ob das Anleihekaufprogramm, welches bisher bis März 2017 läuft, bereits verlängert wird. Laut Draghi seien derartige Ideen aber nicht im EZB-Rat diskutiert worden. Statt dessen verwies der Italiener auf den nächsten Zinsentscheid im September. „Wir sind bereit, gewillt und fähig, zu handeln“, betonte der EZB-Chef. In den nächsten Monaten habe die EZB mehr Informationen und Daten zur Verfügung, um über die weitere Geldpolitik zu entscheiden. Im September stehen der EZB auch neue Inflations- und Wachstumsprognosen zur Verfügung – sollten diese schwächer ausfallen, dürfte die Notenbank nicht vor weiteren Geldspritzen zurückschrecken.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die EZB sich mit einem Paukenschlag aus der Sommerpause zurückmeldet.