EZB-Stresstest „Vor allem für deutsche Banken ist das eine große Herausforderung“

Andreas Dombret, 61, war von 2010 bis 2018 im Vorstand der Bundesbank unter anderem für die Bankenaufsicht zuständig. Quelle: Deutsche Bundesbank

Die EZB veröffentlicht heute die Ergebnisse ihres großen Bankenstresstests. Er soll Aufschluss darüber geben, wie gut die europäischen Finanzinstitute auf eine weitere Eskalation der Covid-Pandemie vorbereitet sind. Dabei ist die Aussagekraft begrenzt, meint der frühere Bundesbankvorstand Andreas Dombret.

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Andreas Dombret, 61, arbeitete zunächst in führenden Positionen bei mehreren Investmentbanken und war dann von 2010 bis 2018 im Vorstand der Bundesbank unter anderem für die Bankenaufsicht zuständig. Heute besetzt er zahlreiche Mandate in der Finanzwirtschaft, unter anderem als Independent Chairman DACH der Investmentbank Houlihan Lokey.

WirtschaftsWoche: Herr Dombret, die Europäische Bankenaufsicht hat die wichtigsten Banken der Eurozone abermals einem Stresstest unterzogen. Was ist der Sinn der Übung?
Andreas Dombret: Die europäischen Stresstests basieren ursprünglich auf den positiven Erfahrungen in den USA, die die Finanzkrise 2008 sehr erfolgreich bewältigt hatten. Auf dem Höhepunkt der Unruhe hatte der Staat dort die Banken zwangskapitalisiert, und anschließend prüften die Aufseher ihre Widerstandsfähigkeit für den Fall einer starken wirtschaftlichen Eintrübung. Die Ergebnisse haben damals viel Transparenz geschaffen und wesentlich dazu beigetragen, die Lage an den Finanzmärkten zu beruhigen. Als sich die Sorgen um das europäische Bankensystem infolge der Staatsschuldenkrise zuspitzten, hat man sich daran in Europa ein Beispiel genommen.

Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse der Tests?
In der Diskussion wird häufig vergessen, dass die Tests auf fiktiven Szenarien basieren, die eine extrem negative wirtschaftliche Entwicklung unterstellen. Die ist bewusst übertrieben und nur in den seltensten Ausnahmefällen realistisch. Zudem variieren die Annahmen stark von Test zu Test. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der vergangenen Untersuchungen ist deshalb nur sehr eingeschränkt möglich, und man kann Banken aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschäftsmodelle auch nur sehr begrenzt miteinander vergleichen. Auch wenn der Test 75 Prozent der europäischen Bankaktiva erfasst, liefert er damit zwar wichtige Anhaltspunkte, aber nur eine tendenzielle und keinesfalls eine definitive Aussage über den Zustand des europäischen Bankensystems.

Im vergangenen Jahr wurde der Test wegen der Pandemie ausgesetzt. Nun findet er statt, obwohl deren Folgen immer noch schwer absehbar sind.
Dies sollte man auf jeden Fall bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen. Denn die Banken sind wegen der Unsicherheit über die weiteren Folgen der Covid-Pandemie bereits mit einer erhöhten Risikovorsorge in den Test gegangen, der Startpunkt des Stresstests, nämlich der 31.12.2020, lag also bereits in der Krise. Das Szenario sieht eine stark steigende Zahl von Insolvenzen, einen Einbruch der Immobilienpreise und eine stark sinkende Auslandsnachfrage vor. Außerdem simuliert der Test, dass die kurzfristigen Zinsen höher als die langfristigen sind. Die Annahmen wirken also noch negativer als in den vorangegangen Szenarien und sind vor allem für die zinssensitiven Banken im Exportland Deutschland eine große Herausforderung.

Das klingt, als könne der Test sehr schlecht ausfallen.
Davon gehe ich nicht aus. Immerhin hat es die EZB den Banken wieder erlaubt, unter gewissen Voraussetzungen Dividenden auszuschütten, bevor sie die Ergebnisse des diesjährigen Tests vorgestellt hat. In den vergangenen Jahren haben die Banken auf Druck der Aufseher viel Kapital und Liquidität aufgebaut und dadurch das System deutlich stabilisiert. Davon profitieren jetzt alle.



Welche Schlüsse können die Aufseher aus dem Test ziehen?
Begrenzte. Denn Stresstests sind für Aufseher und Banken ohnehin Alltag. Sie simulieren ständig negative Szenarien, um die Widerstandskraft einzelner Institute oder von Kreditportfolien zu prüfen. Viele Informationen sind deshalb bereits vorhanden. Der Unterschied ist, dass diese Untersuchungen nicht öffentlich werden.

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Der Stresstest ist für alle Beteiligten enorm aufwändig. Lohnt sich sie Mühe?
Natürlich stärken Transparenz und ein positives Ergebnis das Vertrauen in die Stabilität des Systems. Da die Banken alle Daten selbst liefern und erarbeiten müssen, bindet das Verfahren enorme Ressourcen. Das gleiche gilt für die Auswertung der Informationen durch die Aufsichtsbehörden. Im kommenden Jahr nimmt der Aufwand dann nochmal zu, wenn die EZB sich dann in einem Stresstest schwerpunktmäßig mit Klimarisiken beschäftigen wird. Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, wenn die Banken in Zukunft die Daten in der Cloud hinterlegen und die Aufseher dann mit diesen arbeiten könnten. Das ist zwar Zukunftsmusik, würde den Arbeitsaufwand der Banken aber deutlich senken. Zumindest bis dahin ist die kritische Frage zum Verhältnis von Aufwand und Ertrag aus meiner Sicht also durchaus berechtigt.

Mehr zum Thema: Bankenaufseher wollen Sparkassen und Landesbanken zu mehr Vorsorge für Krisenfälle zwingen. Das könnte sie sogar mehr als die erwarteten fünf Milliarden Euro kosten – während der Streit im Sektor eskaliert.

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