Filialsterben Die Filiale hat eine Zukunft – doch Banken müssen umdenken

,Immer mehr Banken in Deutschland schließen Filialen, dabei ist Kunden der Service vor Ort wichtig. Quelle: dpa

Banken stehen vor großen Herausforderungen: Bis 2030 wird fast jede zweite Filiale schließen. Für mehr Kundenbesuche veranstalten manche Grillseminare oder eSport-Events. Verlieren Bankfilialen ihre Daseinsberechtigung?

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Die Bargeldliebe der Deutschen begünstigt weiße Flecken auf der Landkarte des digitalen Bezahlens. Wer das nötige Kleingeld nicht parat hat, gerät an so mancher Ladenkasse in unangenehme Situationen. Zum Glück gibt es in Deutschland dank einer hohen Filialdichte mitunter die meisten Anlaufstellen für Bankkunden in Europa. Doch damit könnte es bald vorbei sein, denn die Geldhäuser schließen seit Jahren kleine Geschäftsstellen.

2018 gab es in der Bundesrepublik rund 29.700 Bankfilialen – bis 2030 wird sich ihre Zahl laut einer Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman nahezu halbieren. Allerdings würden zugleich über 40 Prozent der darin Befragten ihre Bank wechseln, sollte ihre Stammfiliale schließen. Laut der Studie stehen für die Banken damit allein bis 2025 rund sechs Milliarden Euro an Kundenerträgen auf dem Spiel. Folglich dürften auch die Geldhäuser Interesse am Erhalt der einzelnen Standorte haben – was steckt also hinter dem Filialsterben?

Banken stehen unter hohem Druck

Die Ausdünnung der Filialnetze hat sich innerhalb der letzten Jahre deutlich beschleunigt. Während in den vergangenen zehn Jahren in der Bundesrepublik rund 12.000 Filialen geschlossen wurden, werden laut der Analyse bis 2025 weitere 10.000 verschwinden. „Die Zahlen klingen zunächst alarmierend, sie sind jedoch eine logische Konsequenz aus der zunehmenden Digitalisierung sowie des anhaltenden Kostendrucks“, erklärt René Fischer, Bankexperte und Partner bei Oliver Wyman. Auch wegen der langanhaltenden Niedrigzinsphase müssen Banken ihre Kostenstrukturen optimieren. Ein gängiges Mittel zur Einsparung sind Konsolidierungen, also die Zusammenlegung von Standorten, um deren Effizienz zu erhöhen. Typischerweise dünnen Banken dabei die Filialnetze aus. Denn besonders an kleinen Geschäftsstellen hängen hohe Kosten: Neben dem Betrieb der Geldautomaten fallen Personalkosten und Raummiete an. Zugleich kommen immer weniger Kunden für Serviceleistungen wie Überweisungen in die Filialen.

Die Wyman-Analyse führt das auf die Digitalisierung zurück: Zwar werde Onlinebanking nur von 59 Prozent der Kunden genutzt, doch immer mehr Kunden seien bereit, Finanzdienstleistungen digital abzuwickeln. Je mehr sich dieser Trend verstärkt, desto weniger Kunden sind im Alltag auf eine Filiale angewiesen. Laut Fischer müssen Banken deshalb ihre Filialstrategie grundlegend neu ausrichten und Serviceaktivitäten noch konsequenter digitalisieren. So könne auch die Abwanderung von Kunden bei einer Filialschließung vermieden werden: „Aus der Praxis zeigt sich, dass die Abwanderung bei digital inaktiven Kunden 15 Prozent beträgt, bei aktiven digitalen Kunden aber nur unter zwei Prozent“, sagt Fischer.

Trotz sinkender Besucherzahlen werden Bankfilialen von Kunden sehr geschätzt: Laut Oliver Wyman gehen rund 60 Prozent aller Kunden davon aus, ihre Bank in den nächsten Jahren genauso oft oder gar häufiger aufzusuchen als aktuell. Serviceleistungen wie das Abheben von Bargeld spielen dabei eine untergeordnete Rolle – es geht um die Beratung vor Ort. Möchten Banken weiterhin ein breites Filialnetzwerk bieten, müssen sie die Attraktivität ihrer Geschäftsstellen steigern. Die Hamburger Sparkasse (Haspa) hat daher vor rund zwei Jahren das größte Investitionsprogramm ihrer Geschichte gestartet: 30 Millionen Euro fließen in eine ungewöhnliche Umgestaltung der Filialen.

Kundenberatung, Grill-Seminare und eSport

Die erste dieser Nachbarschaftsfilialen wurde in Hamburg-Niendorf vor rund zwei Jahren eröffnet. Das braune Backsteinhaus der Bank wirkt von innen ein wenig wie das Coworking-Space eines Startups: Die Räume wurden von ansässigen Künstlern individuell gestaltet, eine Multimedia-Stadtteilwand zeigt Wissenswertes aus der Umgebung. „Wir setzen auf eine Wohlfühlatmosphäre, damit unsere Filiale zu einem Treffpunkt für die Menschen im Stadtteil wird“, sagt Filialleiter Darko Mavrak. Neben den klassischen Servicebereichen gibt es in der Bank eine Kaffeebar mit markantem Holztisch und freiem WLAN. „Hier können Kunden zusammenkommen, sich austauschen, Aktivitäten planen oder Online-Banking an den iPads erledigen“, erklärt Mavrak.

Doch die Haspa bietet in ihren neuen Filialen auch Angebote fernab klassischer Finanzdienstleistungen. Die Bank verfügt beispielsweise über eine Ausstellungsfläche, auf der sich Unternehmen, Vereine und Institutionen aus dem Stadtteil präsentieren können. Über die vom Startup Haspa Next betriebene App kiekmo können alle Hamburger lokale Nachrichten lesen, Kleinanzeigen durchstöbern – oder sich als Kunde ein Schließfach in der Bank mieten, das auf Wunsch von einem Online-Hofladen mit regionalen Lebensmitteln beliefert wird. Außerdem finden regelmäßig Veranstaltungen wie eSport-Events oder Grill-Seminare in der Nachbarschaftsfiliale statt. Zuletzt erzählte ein Gerichtsmediziner von außergewöhnlichen Fällen aus seinem Berufsalltag. Mavrak ist von der Strategie der Haspa überzeugt: „Das Nachbarschaftskonzept zeigt bereits messbare Erfolge. Die Kundenfrequenz in unserer Filiale hat sich spürbar erhöht und wir gewinnen auch mehr Neukunden“, betont der Filialleiter.

Verlieren Bankfilialen ihre Daseinsberechtigung?

Inzwischen hat die Haspa fast 60 Filialen umgebaut – doch die Neuerungen bieten hauptsächlich Dienstleistungen, die nichts mit dem Kerngeschäft einer Bank zu tun haben. In der Regel finden solche Konzepte laut der Strategieberatung Oliver Wyman allerdings wenig Anklang: Nur 30 Prozent der Befragten sehen in Dienstleistungen ohne direkten Bankbezug einen Mehrwehrt. Stattdessen werde von Kunden eine Fokussierung auf Banknahe Services wie wertstiftende Beratungen vor Ort bevorzugt. Fischer rät Banken daher zu einem „Mix aus Universalfilialen und Self-Service-Standorten mit zusätzlichen digitalen Interaktionsmöglichkeiten“.

Bankbetriebswirt Mavrak sieht in den Dienstleistungen ohne Finanzbezug dennoch einen zusätzlichen Nutzen. Ein großer Teil der Kunden suche die Filiale zwar in erster Linie für klassische Angebote wie den Kontoservice oder Beratungsgespräche auf, allerdings würden immer mehr Leute gezielt die Nachbarschaftsangebote der Bank nutzen. „Wir investieren viel Liebe und Energie und bekommen dafür positive Resonanz von unseren Kunden“, doziert der Filialleiter. Auch andere Banken arbeiten seit Jahren an neuen Konzepten für ihre Filialen. Bei der Deutschen Bank und der Commerzbank gibt es sogenannte Flagshipstores – repräsentative Vorzeigegeschäftsstellen in zentraler Lage, die wesentlich geräumiger und moderner als gewöhnliche Filialen der Geldhäuser sind. Wo Filialen geschlossen werden, bemühen sich Banken mit geradezu kuriosen Lösungsansätzen wie dem Sparkassenbus in Duisburg-Beeckerwerth, ihre Kunden nicht im Stich zu lassen.

Der Trend zur Filialschließung wird sich fortsetzen – auf die Präsenz vor Ort zu verzichten wäre laut Oliver Wyman jedoch fatal. Trotz zunehmender digitaler Konkurrenz und der damit verbundenen Kundenabwanderung zu Direktbanken und Finanz-Apps bleibe die Filiale für die meisten Verbraucher ein wichtiger Teil der Beziehung zu ihrem Kreditinstitut. In der richtigen Form wird die Bankfiliale also auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung nicht verlieren.

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