Sebastian Diemer schickt quer durch die Welt Geld an Menschen, die er noch nie zu Gesicht bekommen hat. Vor Verlusten schützen soll den 27-jährigen Gründer ein von Kreditech entwickeltes Rechenprogramm, das die Bonität potenzieller Schuldner per Web prüft, und dies schneller und billiger als klassische Auskunfteien.
Diemers Hamburger Unternehmen will Geld mit Mikro- und Ratenkrediten an Privatleute verdienen, die von einer Bank kein Geld bekommen würden. Ihnen fehlt der Zugang zu Finanzdiensten, weil sie kein Bonitätsrating haben oder in entlegenen und strukturschwachen Gegenden leben.
Kreditech konzentriert sich zunächst auf sieben Länder, auf die dieses Profil in vielen Regionen passt – Spanien, Polen, Russland, Tschechien, Mexiko, Australien und neuerdings Peru. Im Andenstaat läuft die Auszahlung über Kreditkarten oder Kioske, 1500 Darlehen sind schon vergeben.
Um Deutschland macht Diemer aus zwei Gründen einen Bogen. Hierzulande braucht er eine Genehmigung der Finanzaufsicht BaFin, um Kredite zu vergeben, und die hat er noch nicht. Zudem gibt es in Deutschland schon viele Anbieter, die Informationen über Kreditsuchende liefern.
Damit er sein Geld wiedersieht, muss Diemer seine Schuldner gründlich durchleuchten. Begeistert erklärt der Jungunternehmer das Konzept: „Aus den Spuren der Nutzer im Netz erkennt unser Algorithmus Muster, mit denen sich schlechte von guten Schuldnern unterscheiden lassen. Bis zu 15 000 Daten je Person werden dabei ausgewertet.“ Die Software merkt zum Beispiel, ob beim Kreditantrag geschummelt wird – nämlich wenn Name und Adresse flott eingetippt werden, aber bei der Eingabe des Arbeitgebers viel Zeit verstreicht, weil der Antragsteller sich hier erst eine Lüge einfallen lassen muss.
Stellt die Software fest, dass der Antragsteller vorher auf Web-Seiten surfte, die über Privatinsolvenz oder Pfandleihe für Überschuldete informieren, zieht sie Punkte vom Rating ab. Zudem wird blitzschnell über Behördendatenbanken abgeglichen, ob die Adresse von gestohlenen Pässen oder Ausweisen stammt. Wer will, kann Kreditech auch Einblick in sein Facebook-Profil oder sein Amazon-Konto erlauben, um einen soliden Lebensstil zu demonstrieren. Das tun bisher aber nur wenige.
Entscheidend ist, dass die Software nicht aufgrund festgelegter Kriterien über die Kreditvergabe entscheidet, sondern diese an die Erfahrungen mit bisherigen Schuldnern anpasst. Je mehr Kredite vergeben werden, desto mehr lernt Big Brother dazu.
85 Prozent der Kreditanfragen lehnt Kreditech nach eigenen Angaben ab. Trotzdem haben die Hamburger allein im August sieben Millionen Euro verliehen. Wegen der kurzen Laufzeiten der Mikrokredite von einer Woche bis zu einem Monat komme das Geld aber schnell wieder rein.
In etablierten Kreditech-Märkten wie Polen, Tschechien oder Spanien fallen bisher im Schnitt etwas weniger als zehn Prozent des Kreditvolumens aus, beim Einstieg in neue Märkte sind die Ausfallraten wesentlich höher. Das hohe Risiko lässt Diemer sich dort durch Zinsen von bis zu zwölf Prozent je Monat vergüten.
Investoren hat er mit diesem Geschäftsmodell überzeugt und im Juni 40 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt. Ein Wagnis ist es tatsächlich, denn die mächtige Berliner Gründerfabrik Rocket Internet bringt in Spanien ein ähnliches Konzept auf den Markt. Zudem bauen für Kreditech attraktive Schwellenländer ihren Finanzsektor aus. Die neue indische Regierung etwa verpflichtet demnächst alle Banken, auch den Ärmsten ein Konto anzubieten.
- Kundennutzen: Hoch, da schneller Kredit für Zielgruppen, die keine Bank als Kunde will
- Marktchancen: Mittel, wegen hohem Kreditrisiko und Konkurrenz auf dem Markt
Der Aufstieg der Finanzinnovatoren mag riskant sein für die ambitionierten Gründer vom Schlage Diemers, Hankirs oder Georgadze sowie deren Investoren. Für die Volkswirtschaft ist das Risiko allerdings gleich null, ganz anders als beim überdimensionierten Bankensektor. Schlagen die neuen Geschäftsmodelle fehl, wird kein Steuerzahler in Mitleidenschaft gezogen: Die Finanz-Start-ups sind fast nur mit Eigenkapital finanziert.