Ulrich Höller steht auf der Dachterrasse und zeigt auf das Betongerippe gegenüber, an dem die Lastkräne Baumaterialien nach oben ziehen. Zwischen Flussufer und Schauspielhaus wächst der Rohbau des Winx-Turms unablässig nach oben, Anfang 2018 soll er fertig sein und sich mit 110 Meter Höhe nahtlos in die Reihe der Hochhäuser schmiegen, die von Weitem wie graue Spielzeugtürme aussehen. Das Hochhaus steht in der Mitte des Neuen Maintors, des derzeit größten Bauprojekts der Stadt, Luxusbüros und Wohnungen für zahlungskräftige Mieter finden hier Platz, 3000 Menschen sollen mal auf dem Areal leben und arbeiten. Und es sieht gut aus für Höller, über mangelnde Nachfrage kann er sich nicht beklagen. Zwei große Anwaltskanzleien haben sich eingemietet, fast 90 Prozent der Büros seien bereits weg, nur in der Mitte noch einige Etagen frei, erzählt der Chef der German Estate Group (GEG), die das Quartier entwickelt. Er bekomme erste Nachfragen aus London, sagt Höller. Banken und Banker, die sich nach dem Brexit womöglich eine neue Heimat suchen müssen. Dass es diese nach Frankfurt zieht, dass sie gerne an den Main kommen, steht für ihn außer Frage. „Hier gibt es sehr viel Kraft“, sagt Höller.
Und so könnte Höller mitschreiben an einer Geschichte, die man sich seit dem Entscheid der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union erzählt: Nach dem zu erwartenden Abstieg Londons dürfte Frankfurt der wichtigste Finanzplatz des Kontinents werden, Tausende gut verdienende Banker könnten an den Main ziehen, Einkommen- und Gewerbesteuer zahlen, viel ausgeben. Das Problem ist nur: Bisher ist das bloß eine Geschichte.
Noch sind keine Banker aus London geflohen, und wenn sie sich auf den Weg machen sollten, stehen andere Möchtegern-Finanzmetropolen bereit, die deutlich aggressiver für sich werben als die Stadt am Main. Und während Frankfurter Entscheider von der neuen Größe des Finanzplatzes träumen, übt sich der bereits vorhandene Teil der Branche im Rückwärtsgang: Commerzbank und Deutsche Bank, die beiden größten Spieler vor Ort, taumeln dahin und bauen Tausende Stellen ab. Die Deutsche Börse liebäugelt damit, den Sitz ihrer Zentrale vom benachbarten Eschborn nach einer Fusion mit dem Wettbewerber aus London ausgerechnet dorthin zu verlagern. Und auch etliche Niederlassungen ausländischer Institute haben ihr Personal am Main deutlich ausgedünnt.
Und eine Studie der Helaba konstatiert: Ab- und Aufbau von Arbeitsplätzen werden sich in der Frankfurter Finanzindustrie in den kommenden Jahren wohl eher ausgleichen. Geht es mit dem Finanzplatz am Ende also gar nicht aufwärts, sondern bergab?
Selbstbewusster Start
Als Londons Banker noch den Kater der Referendumsnacht ausschlafen, drücken die Frankfurter Stadtmarketingprofis den Startknopf. Eine neue Webseite heißt heimatlose Banker willkommen und preist die Vorzüge der Mainmetropole. Für Optimismus gibt es scheinbar allen Grund. Die Unternehmensberatung Boston Consulting veröffentlicht zeitgleich eine Umfrage unter Londoner Bankern, die Frankfurt zum attraktivsten Ausweichstandort küren.
Wenige Tage später lässt es sich ihr Chef Carsten Kratz nicht nehmen, die Ergebnisse im zehnten Stockwerk des Messeturms nochmals ausgiebig zu referieren. Da schwärmt der Manager von Frankfurts „enormem Potenzial“. Oberbürgermeister Peter Feldmann spricht bei der Gelegenheit gar von einer „Boomsituation“. Arbeitslos, so meint er, werde in Frankfurt künftig wohl kaum noch jemand sein.