
WirtschaftsWoche Online: Herr Gouverneur, Europa fürchtet eine weitere Bankenkrise, diesmal ausgehend von Italien. Französische Banken haben bei italienischen Geldinstituten mit weitem Abstand vor Deutschland 280 Milliarden Euro im Feuer. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr?
Herr François Villeroy de Galhau: Das französische Bankensystem ist extrem solide. Deshalb bin ich nicht beunruhigt.
Den französischen Banken droht keinerlei Gefahr?
Wir sollten lieber die heutige Situation der europäischen Banken betrachten: Seit der Finanzkrise 2008 und der Gründung der Bankenunion 2013 haben wir große Fortschritte gemacht, das Bankensystem auf solide Pfeiler zu stellen. Die französischen Banken haben ihre Solvabilitätskoeffizient 2015 mehr als verdoppelt, von etwas weniger als sechs Prozent 2007 auf mehr als zwölf Prozent 2015. Diese Entwicklung finden wir in nahezu allen EU-Ländern. Die Banken haben viel Arbeit geleistet. Auch in Italien leiden nicht alle Geldinstitute unter faulen Krediten, sondern lediglich ein paar. Ich wünsche mir, das dieses Problem schnell und in Kooperation mit der Europäischen Zentralbank gelöst wird.
Zur Person
François Villeroy de Galhau, 57, ist seit November 2015 Gouverneur der Banque de France und Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank. Zuvor war er Generaldirektor für inländische Märkte bei der Bank BNP Paribas.
Italiens Premierminister fordert Staatshilfen für die betroffenen Banken – im Widerspruch zur so genannten Bail-in-Regel der Bankenunion, wonach zunächst die Gläubiger haften sollen. EZB-Chef Draghi scheint geneigt, seinen Landsleuten entgegenzukommen...
Mit solchen Gerüchten sollte man vorsichtig umgehen.
Nach der jüngsten Ratssitzung der EZB hat Draghi eine öffentliche Absicherung als „sehr hilfreich“ bezeichnet. War das nicht deutlich?
Möglicherweise gibt es öffentliche Hilfen – dies aber im Einklang mit den europäischen Regeln und den Marktmechanismen. Die italienischen Behörden arbeiten in diese Richtung.
Gleichzeitig klagen Banken überall in Europa über die Niedrigzinspolitik der EZB. Bringt Ihre expansive Politik nicht das Geschäftsmodell der Geldinstitute generell in Gefahr?
Wenn Geschäftsbanken dieser Tage über die Politik der EZB sprechen, greifen sie gerne den Aspekt der Negativzinsen heraus. Aber die Geldpolitik, die wir aus guten Gründen verfolgen, hat ja weitere Elemente– und die kommen den Banken zu Gute. Zum Beispiel erhalten sie über das TLTRO II-Programm Kreditlinien zu extrem günstigen Konditionen. Binnen vier Jahren stellen wir ihnen zinslose Kredite zur Verfügung. Wenn die Banken ihre Darlehen für die Wirtschaft entsprechend ausweiten, erhalten sie sogar Prämien. Die Kreditvolumina sind dank der EZB-Geldpolitik wieder gestiegen. Das Risiko, das die europäischen Banken tragen müssen, ist hingegen stark gesunken. Das tut ihrer Rentabilität gut.
Sie wollen sagen: Die Banken haben keinen Grund zur Klage?
Wenn man das Gesamtbild betrachtet, fällt die Bilanz für die europäischen Banken 2015 positiv aus. Natürlich leidet die Rentabilität, wenn die Negativzinsen anhalten. Das haben wir im Blick. Wir sollten aber das gesamte Bild betrachten und nicht nur eine kleine Ecke.
Wieso untersucht der neue Banken-Stresstest, der an diesem Freitag veröffentlicht wird, dann nur die Folgen einer Anhebung der Zinsen– und nicht die Konsequenzen der Nullzinspolitik?
Natürlich betrachtet das Basisszenario anhaltend niedrige Zinsen. Das „Stress-Szenario“ untersucht eine brutale Steigerung. Generell werden Stresstests peinlich genau durchgeführt, genauso wie in den USA und in Großbritannien. Ihre Ergebnisse sind absolut glaubwürdig.