Können Sie ein Beispiel nennen?
Niemand bestreitet, dass eine gemeinsame Strategie, die Länder wie Frankreich zu mehr Reformen und Länder wie Deutschland zu mehr öffentlichen Investitionen anhalten würde, nachhaltiges Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand in Europa schaffen würde. Dennoch können wir uns nicht auf eine solche Strategie einigen. Jeder verfolgt seine nationale Strategie, ohne sich um das große Ganze zu kümmern. Der Finanzminister wäre eine Vertrauensinstanz, der eine solche Strategie mit den Finanzministern der Länder ausarbeiten und ihre Umsetzung überwachen würde. Stabilitätspakt inbegriffen.
Scheitert diese Idee nicht schon daran, dass man sich gar nicht erst auf einen Finanzminister einigen könnte? Zwischen den nationalen Positionen klaffen Welten.
Wir haben genügend Frauen und Männer, die in europäischen Positionen bewiesen haben, dass sie sehr gut im Sinne des Gemeinwohls handeln können. Entscheidend ist die Kompetenz, nicht die Nationalität.
Schauen Sie mal, was aus dem Stabilitätspakt geworden ist. Ist der in seiner heutigen Form noch zu halten?
Wir sollten der Versuchung widerstehen, ihn jedes Jahr ändern zu wollen. Aber Regeln allein reichen nicht. Regeln müssen im Rahmen einer gemeinsamen Strategie auch einen Sinn haben. Eine solche Übereinkunft könnten wir nach den Wahlen 2017 in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden schnüren. Eine andere Sache könnten wir noch dieses Jahr ohne Änderung der Verträge umsetzen: die Finanz- und Investitionsunion. Wir könnten den Juncker-Plan, die Kapitalmarktunion und einen Teil der Bankenunion nutzen, um Ersparnisse der Europäer in produktive Investitionen zu leiten. Anleger sollen ihre Ersparnisse nutzen, um Investitionen zu fördern, insbesondere Startups. Damit könnten wir einen wirklichen Kapitalmarkt in Europa schaffen.
Wie könnte Frankreich an Überzeugungsarbeit in Deutschland leisten? Im Augenblick taugt es ja nicht gerade als Musterbeispiel.
Bei objektiver Betrachtung muss man sagen, dass Frankreich größere Reformanstrengungen machen müsste, aber gleichzeitig mehr Reformen angeht, als man glaubt. Der Dialog der Tarifpartner ist schwierig, es gibt Demonstrationen und Blockaden. Aber schauen Sie sich die Rentenreformen der vergangenen Jahre an, den Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit oder jüngst die Arbeitsmarktreform. Klar, es gab dagegen Widerstand, aber das Gesetz wurde verabschiedet. Nun ebnet es den Weg für Verhandlungen in den Betrieben.
Welche Reformen müssten in Frankreich noch folgen?
Ich spreche oft von vier Aspekten: Unternehmen, Arbeit, Bildung und Staatsausgaben. Die Europäer können stolz auf ihre Sozialmodelle sein, aber Tatsache ist, dass das französische zu teuer ist. Wenn ich mir einen Aspekt herausgreifen müsste, würde mein Schwerpunkt auf der Berufsausbildung liegen. Es gibt in Frankreich zu wenige Auszubildende. Dank unserer Geburtenstärke haben wir in Frankreich jedes Jahr genauso viele Jugendliche wie Deutschland – aber nur ein Drittel so viele Auszubildende und entsprechend drei mal so viele jugendliche Arbeitslose.
2017 wählt Frankreich ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Auch in Deutschland stehen Wahlen an. Was wünschen Sie sich für Europa?
Die Geldpolitik hat schon viel erreicht. Für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Europa braucht es meiner Meinung nach noch dieses Jahr eine Finanz- und Investitionsunion. Nach 2017 sollte eine gemeinsame Strategie unter der Führung eines Euro-Finanzministers folgen.