François Villeroy de Galhau "Die Inflation wird bald steigen"

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"Wir müssen alle schützen, nicht nur eine Kategorie."

Wie erklären Sie, dass die Franzosen sich nicht ähnlich über die EZB aufregen wie viele Deutsche?
Möglicherweise ist das Geschichtsbewusstsein ein anderes. Im Bewusstsein der Deutschen sind die Zeiten der Hyperinflation noch sehr präsent. In anderen Ländern hingegen, den USA, aber auch in einigen Ländern der EU, ist die Deflationserfahrung mit ihren schweren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft durch die Massenarbeitslosigkeit noch nah. Es ist legitim, über die Geldpolitik zu diskutieren. Was nicht geht, ist die Unabhängigkeit der EZB in Frage zu stellen. Für Deutschland und Europa gilt, dass eine Deflation die Wirtschaft und die Bürger bedroht. Es wäre schlimm, wenn wir sie davor nicht schützen würden. Im Übrigen ist Deutschland nicht nur ein Land der Sparer, sondern auch der Unternehmer, Immobilienkäufer und Konsumenten. Wir müssen alle schützen, nicht nur eine Kategorie. 

Diese Anleihen rentieren unter Null
Top 15: Daimler AGDie EZB startete den Ankauf von Firmenbonds in der vergangenen Woche und sammelte an einem einzigen Tag Titel im Volumen von 348 Millionen Euro ein. Daneben kaufen die Währungshüter Staatsanleihen im Volumen von inzwischen 80 Milliarden Euro monatlich. Dies drückt unter anderem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals unter die Marke von null Prozent. Bei kürzeren Laufzeiten gehören Negativzinsen bereits zum Alltag. Daimler verzinst seine bis zum 27. Juni 2018 ausgegebene Anleihe mit 2,125 Prozent. Die Rendite beträgt bei einem Gesamtvolumen der Anleihe von 935.617.500 Dollar minus 0,1049266 Prozent. Quelle: dpa
Top 14: Cooperatieve Rabobank UADas Gesamtvolumen europäischer Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel Investment Grade, die grundsätzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft werden können, liegt aktuell bei 2,8 Billionen Euro. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs. Auf platz 14 kommt die Rabobank mit einer Anleihe von 4,75 Prozent Normalzins. Der Titel der Niederländer läuft bis zum 15. Juni 2018 und rentiert bei derzeit -0,0853134 Prozent. Das Volumen: 5.084.241.250 Dollar Quelle: REUTERS
Top 13: Commerzbank AGAuch die Anleihen des zweitgrößten Geldhauses der Bundesrepublik rentieren mit -0,1815399 Prozent negativ. Der Titel läuft bis zum 2. Juni 2019, hat einen Zinskupon von 4,375 Prozent und kommt damit auf ein Volumen von 2.101.800.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 12: Caixa SADie Ausweitung der EZB-Anleihekäufe auf Schuldscheine europäischer Großkonzerne drückt deren Renditen immer tiefer. Inzwischen müssten Anleger bei 16 Prozent der Papiere dafür zahlen, den Firmen Geld leihen zu dürfen, teilte Tradeweb mit. Anfang Mai habe die Quote noch bei fünf Prozent gelegen. Anleihen der spanischen Bank CatalunyaCaixa kommen trotz eines Zinskupons von 4,25 Prozent auf eine Effektivverzinsung von -0,036232066 Prozent. Der Schein wird am 26. Januar 2017 fällig und hat ein Volumen von 2.507.600.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 11: BNP Paribas SADer Französische Bankenriese verzinst seinen bis zum 27. Juni 2017 laufenden Bond mit 2,875 Prozent. Doch die Rendite ist auf -0,1012968 Prozent gefallen. Das Volumen: 1.559.362.500 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 10: BMW Finance NVDer Langläufer der Bayern ist mit einem Normalzins von 3,25 Prozent ausgestattet und verfällt am 14. Januar 2019. Aktuelle Rendite: -0,0732932 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.584.700.000 Dollar. Quelle: AP
Top 9: Berlin Hyp AGDie Deutsche Pfandbriefbank legte einen Bond auf mit einem Normalzins von 4,5 Prozent. Das Papier läuft bis zum 3. Mai 2019 und rentiert bei minus 0,1940956 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.359.410.000 Dollar. Quelle: PR

Nach Staatsanleihen kauft die EZB nun auch Unternehmensanleihen. Da sind überraschend viele bonitätsschwächere Schuldtitel dabei. Kann das nicht großes Risiko für den Steuerzahler werden?
Vorsicht, diese Rechnung bezieht sich auf die Zahl der zugelassenen Titel, nicht auf das Volumen. Über die Volumen mache ich keine Angaben. Wir haben uns die Regel auferlegt, nur Titel mit Investment Grade zu kaufen, also solche mit einer entsprechenden Sicherheit. Die Diversifizierung der Titel ist der beste Schutz.

Es sind auch Anleihen von Telecom Italia, K+S oder RWE dabei. Die haben nicht unbedingt das beste Rating.
Keine verstößt gegen die Regeln, die ich erwähnt habe. Auch hier behalten wir unser Ziel im Auge: Wir wollen die Realwirtschaft, die Unternehmen und ihre Investitionen vor der Volatilität der Finanzmärkte schützen. 

Anleihen sind charakteristisch für Großunternehmen. Der Mittelstand und Startups gehen leer aus. Letzteres ist gerade für Frankreich ein Problem, das viele Startups an die USA verliert.
Deshalb ist TLTRO II so wichtig. Kleine und mittlere Betriebe finanzieren sich über Banken. Das Problem der Startups liegt eher am Mangel an Eigenmitteln. Dafür ist die EZB nicht zuständig. Es gibt auf europäischer Ebene ein wichtiges Projekt zur Stimulierung von Investitionen in Risikokapital: das der Kapitalmarktunion. Ich habe zusammen mit Jens Weidmann vorgeschlagen, ein grenzüberschreitendes Equity Financing zu entwickeln. Dieser Vorschlag bleibt aktuell. Nach dem Brexit noch mehr. 

Sehen Sie kein Risiko, dass Unternehmen das billige Geld der EZB für Aktienrückkäufe oder hohe Boni verwenden?
Diese Debatte wird in den USA geführt. Ich halte das Risiko in Europa für geringer. Es kann nicht Aufgabe der EZB sein, die Strategie einzelner Unternehmen zu überprüfen. Das wäre eine zu interventionistische Politik. 

Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron fordert ein gemeinsames Budget für den Euro-Raum. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin nicht an politische Funktionsträger gebunden und stelle die Dinge etwas anders dar. Vor 25 Jahren haben wir von einer Wirtschafts- und Währungsunion gesprochen. Die Währungsunion haben erreicht, und sie ist ein Erfolg. Man kann über die Geldpolitik streiten, aber niemand stellt in Abrede, dass der Euro von zwei Dritteln der EU-Bürger gut geheißen wird, dass die EZB eine international anerkannte Institution ist. Ich komme gerade vom G20-Treffen in Chengdu, und ich kann Ihnen sagen: Wenn die EZB spricht, hören alle zu. Wir haben die Bankenunion beschlossen, was gut ist. Wenn wir die Probleme der EU lösen wollen, müssen wir den Weg zu einer Wirtschaftsunion zu Ende gehen. Die Geldpolitik ist richtig, aber sie kann nicht alles lösen. Deshalb habe ich einen eigenen Finanzminister für die Euro-Zone vorgeschlagen. 

Was soll der ausrichten?
Priorität hat meinem Vorschlag zu Folge nicht ein gemeinsames Budget der Euro-Länder. Das kann zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Der Finanzminister an der Spitze der Euro-Gruppe sollte mit den Ministern der Mitgliedsländer eine gemeinsame wirtschafts- und finanzpolitische Strategie ausarbeiten. Daran mangelt es uns heute, um mehr Wachstum und Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. 

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