Die Deutsche Bank steckt in der Krise – wieder einmal. Und sie sucht einen neuen Chef – nach nicht einmal drei Jahren. Die Frage nach der Strategie des einstigen Vorzeigeinstituts geht daneben im Getöse beinahe unter. Die Diagnose ist recht eindeutig: Bröckelnde Marktanteile, wegbrechende Erträge in der ehemaligen Paradedisziplin – dem Handel mit Anleihen, Aktien, Devisen und Rohstoffen –, drei Verlustjahre in Folge und der Absturz des Aktienkurses um 30 Prozent seit Jahresbeginn sprechen eine klare Sprache. Doch was ist die richtige Antwort?
John Cryan, seit dieser Woche wohl Boss auf Abruf, kann zwar bei Umbau und Sanierung des größten deutschen Geldhauses durchaus Fortschritte vorweisen. Dennoch hat Aufsichtsratschef Paul Achleitner nun Insidern zufolge begonnen, einen Nachfolger für den 57 Jahre alten Briten zu suchen. Wer immer Cryan auf dem Schleudersitz in den Frankfurter Doppeltürmen folgt – die Frage, mit welcher Strategie die Bank schnell wieder Anschluss an die Großen der Branche findet oder ob sie das überhaupt noch will, muss er oder sie beantworten. Und danach durchhalten.
„Der lange Atem fehlte zuletzt erkennbar“, bemängelt ein auf die Finanzindustrie spezialisierter Unternehmensberater, der nicht namentlich genannt werden will. Und ein großer Investor, der ebenfalls lieber anonym bleiben will, geht noch weiter: „Die Bank hat ein fundamentales Problem. Und das ist eine Strategie, die noch nicht bewiesen hat, dass sie auch funktioniert. Wir sind uns nicht sicher, ob das etwas ist, was ein neuer Vorstandschef so einfach lösen kann.“
Szenario 1: Rolle vorwärts
Anstatt alles auf einmal zu machen, könnte Cryans Nachfolger gemeinsam mit Achleitner und unterstützt vom Großaktionär Katar beginnen, die Deutsche Bank in eine Investmentbank à la Goldman Sachs oder Morgan Stanley umzubauen. Ein solches Institut würde im Beratungsgeschäft bei internationalen Fusionen und Übernahmen, Börsengängen und der Aufspaltung von komplexen Firmenkonglomeraten die Wall-Street-Größen angreifen und sich schrittweise vom Privatkundengeschäft verabschieden oder es als Paket an eine andere Bank verkaufen.
„Das hätte alleine schon deshalb Charme, weil der Aufbau einer großen europäischen Investmentbank keine defensive Strategie wäre, nachdem sich andere Adressen, etwa aus der Schweiz, zuletzt zurückgezogen haben“, heißt es von einem Anteilseigner der Deutschen Bank, der sich im Hintergrund halten will. „Wenn das der Weg ist, dann muss man ihn aber auch konsequent gehen, ohne Wenn und Aber.“ Allerdings bedeutet das auch, dass die Einlagen der Privatkunden dann nicht mehr für die Aktivitäten der Investmentbanker zur Verfügung stünden.
Sollte sich die Deutsche Bank für diese radikale Strategie entscheiden, bräuchte es einen Investmentbanker an der Spitze, der den Ehrgeiz der rund 17.000 Spezialisten anstachelt, die bis dato in diesem Bereich der Bank arbeiten und Talente anzieht, die bereitwillig die Nächte durcharbeiten – allerdings nur für eine der Top-Adressen und nur, wenn auch der Bonus top ist.
Achleitners bisherige potenzielle Kandidaten, mit denen er laut „Times“ auch schon Kontakt aufgenommen hat und die aber offenbar alle abgewunken haben, könnten diesem Typus eines Managers entsprechen: der Europa-Statthalter von Goldman Sachs, Richard Gnodde, der Chef der italienischen Großbank Unicredit, Jean Pierre Mustier, und der Boss des britischen Finanzhauses Standard Chartered, Bill Winters. Der bestens vernetzte Ex-Goldman-Partner Achleitner dürfte noch weitere Banker ihres Schlages auf seiner Liste haben.
John Cryans Stationen bei der Deutschen Bank
Der frühere UBS-Finanzvorstand John Cryan wird Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank.
Es wird erstmal spekuliert, dass Cryan den umstrittenen Anshu Jain ablösen könnte.
Jain ist nicht mehr haltbar. Cryan wird neben Jürgen Fitschen Co-Chef der Bank. Ende Juli kritisiert er in einer internen E-Mail das Kostenniveau als „einfach inakzeptabel“. Wegen der Ankündigung des Wechsels steigt der Börsenwert der Deutschen Bank auf 39 Milliarden Euro.
Cryan gibt Details zur künftigen Strategie bekannt. Die Bank soll einfacher und effizienter werden, die Kosten sollen bis 2018 unter 22 Milliarden Euro sinken. Die Postbank soll wie bereits zuvor angekündigt verkauft, das Investmentbanking in zwei Sparten aufgespalten werden. Eine Dividende soll es erst 2017 wieder geben.
Wegen hoher Kosten für Rechtsstreitigkeiten und Abfindungen sowie Abschreibungen verkündet die Deutsche Bank einen Verlust nach Steuern von 6,8 Milliarden Euro für das Jahr 2015. Das ist das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Instituts.
Mit dem Ausscheiden von Fitschen wird Cryan alleiniger Chef der Bank. Cryan kündigt an die Bank „wieder auf die Wachstumsstraße“ zu bringen und sieht „viel Aufbruchstimmung“.
Wegen hoher Schadenersatzforderungen aus den USA wird über eine Pleite der Bank spekuliert. Der Aktienkurs fällt erstmals unter zehn Euro.
Die Deutsche Bank einigt sich mit dem US-Justizministerium über die Strafzahlung. Die Existenzkrise ist damit überstanden.
Die Deutsche Bank schließt das Jahr mit einem Verlust von 1,4 Milliarden Euro ab, das ist mehr als erwartet. Die Erträge sinken deutlich. Cryan kündigt ein besseres Ergebnis für 2017 an.
Die Deutsche Bank erhöht ihr Kapital um acht Milliarden Euro. Sie will die Postbank nun doch behalten und stattdessen einen Teil der Vermögensverwaltung an die Börse bringen. Die beiden gerade erst getrennten Sparten der Investmentbank werden wieder zusammengelegt. Die Vorstände Christian Sewing und Marcus Schenck werden zu Vize-Chefs ernannt.
Cryan erklärt in einem Interview, dass viele Banken mit der Hälfte der Mitarbeiter der Deutschen Bank auskämen. Die Äußerung halten viele für die Ankündigung eines weiteren Stellenabbaus.
Die Deutsche Bank kündigt an, dass sie 2017 anders als ursprünglich erwartet mit einem „geringen Verlust“ abschließen wird. Grund ist vor allem die US-Steuerreform.
Die Deutsche Bank hat das Jahr 2017 mit einem Verlust von 500 Millionen Euro abgeschlossen. Die Erträge im Investmentbanking sind abermals gesunken. Die Bank kündigt an, bei der Bezahlung zur Normalität zurückzukehren. Cryan kündigt an, 2018 mit einem Nettogewinn abschließen zu wollen.
Der Verlust erhöht sich auf 735 Millionen Euro. Die Bank zahlt gleichzeitig 2,2 Milliarden Euro Boni. An der Börse ist die Deutsche Bank nur noch gut 23 Milliarden Euro wert.
Szenario 2: Rolle rückwärts
Einen gänzlich anderen Typ Manager bräuchte eine Deutsche Bank, die – wie von manchen Investoren gefordert – das Kapitel „Investmentbanking in großem Stil“ radikal beendet und sich auf ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert zurückbesinnt: Firmenkunden in allen Finanzierungsfragen und vor allem bei Auslandsgeschäften zu unterstützen. Als Investmentbank sind die Frankfurter nämlich erst seit knapp drei Jahrzehnten aktiv: seit dem Kauf der britischen Morgan Grenfell 1989 und später durch die Übernahme von Bankers Trust in New York wollten die Deutschbanker hier in der ersten Liga mitspielen, was zeitweise auch gelang.
Ob ein Verkauf der Investmentbank an einen ausländischen Konkurrenten vom amtierenden Aufsichtsratschef Paul Achleitner durchgewunken werden würde, darf bezweifelt werden. Doch als Möglichkeit, um sich gesund zu schrumpfen, könnte dieses Szenario allemal taugen. „Dann entstünde eine Art Commerzbank II – für eine solche Bank gibt es aber keine Notwendigkeit und auch keinen Markt“, lautet das Urteil des Bankexperten. Entsprechend müssten Nummer Eins und Nummer Zwei ihre Millionen Privat- und Firmenkunden zusammenwerfen. Unklar ist, was der Bund, der bei beiden Häusern mitredet und 15 Prozent an der Commerzbank hält, dazu sagen würde.
Szenario 3: Salto mortale
Für diese Übung braucht es einigen Mut, sie ist nicht gerade ungefährlich, doch wenn sie gelingt, kann sich der Künstler des Applauses sicher sein. Was für Artisten gilt, könnte auch für einen neuen Chef der Deutschen Bank gelten, der es wagt, alles auf den Prüfstand zu stellen. In einem solchen Szenario wäre nichts mehr heilig, kein Stein bliebe auf dem anderen.
Szenario 3A
Denkbar ist die Aufspaltung des riesigen Instituts in zwei rechtlich selbständige Säulen – eine Investmentbank und eine Privat- und Firmenkundenbank. Unter einer Holding, aber eben nicht mehr unter einem Dach. „Raus aus der Komplexitäts-Falle, wäre dann die Devise“, heißt es im Umfeld eines kleineren Anteilseigners. Doch eine Scheidung ist in aller Regel teuer. Die Trennung hätte allerdings auch handfeste Vorteile, glaubt der Bank-Experte: „Der Abschlag, den der Kapitalmarkt bei einer zu komplexen Bank nimmt, liegt aktuell bei 20 Prozent und auch die Regulierer wollen kleine Banken mit simplem Geschäftsmodell. Die Universalbank ist eigentlich tot.“
Szenario 3B
Diese Option ist etwas für die ganz Mutigen: eine rein digitale Bank. Dafür müsste allerdings die Computersysteme über jeden Zweifel erhaben sein und nicht so „lausig“ wie Noch-Chef Cryan sie findet. Zudem würde ein solches Modell wohl massenhaft Arbeitsplätze kosten – dass die Politik dem Projekt ihren Segen erteilt, ist damit unwahrscheinlich.
Dass ein solches Modell erfolgreich sein kann, zeigt die Konkurrenz in den Niederlanden: Der Finanzkonzern ING - der in Deutschland unter dem Namen ING Diba die anderen Banken das Fürchten lehrt und ihnen Kunden in großem Stil abjagd – hat erst massiv abgespeckt und sich dann zum Vorreiter in punkto Digitalisierung gemausert. ING-Chef Ralph Hamers ist in der Finanzbranche ein Star und gilt als der Prototyp des modernen, von Technologie begeisterten und zu einem radikalen Umbau des Geschäftsmodells bereiten Bank-Managers.