Wo wollen Sie ansetzen?
Eine unserer zentralen Forderungen anlässlich von zehn Jahren Lehman-Pleite ist Transparenz. Es braucht ein Lobby-Register, und auch Transparenz darüber, welcher Teil eines Gesetzes auf wessen Vorschläge zurückgeht. Nur so können wir feststellen, ob ein Gesetz Pferdefüße hat.
Ist der Regierungsapparat personell und fachlich überfordert? Sind die persönlichen Verbindungen zwischen Politikern und Managern zu eng?
Das ist je nach Thema unterschiedlich. Die Mövenpick-Steuer (ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen zur allgemeinen Konjunkturbelebung nach Ausbruch der Finanzkrise, Anm. d. R.) wollte damals kein einziges Mitglied im Finanzausschuss. Aber den Lobbyisten ist es gelungen, das Thema über die Schatzmeister der Parteien einzutüten. Das war kein Kompetenzproblem. Bei den Cum-Ex-Geschäften aber fehlte die nötige Kompetenz in den Ministerien. Das räumte auch der zuständige Referatsleiter ein, dass er das Schreiben des Bankenverbandes zunächst nicht verstanden hat. Das zeigt: Der Staat ist an manchen Stellen mit der Finanzbranche nicht auf Augenhöhe. Das müssen wir unbedingt ändern.
Dazu braucht es eine Bürgerbewegung?
Es gibt in Deutschland keine Organisation – auch keines der großen Wirtschaftsinstitute -, die sich zum Beispiel mit den Cum-Ex-Geschäften ernsthaft beschäftigt hat. Niemand. Es gibt keine gesellschaftspolitische Organisation, die sich mit Finanzmarktregulierung im Kern beschäftigt. Damit fehlen unabhängige Expertise und politisches Gegengewicht zu den Branchenverbänden. Diese Lücke muss gefüllt werden.
Zehn Jahre Finanzkrise
Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers gilt als Höhepunkt der Finanzkrise und jährt sich am 15. September zum zehnten Mal. Er hatte 2008 ein Beben in der Finanzwirtschaft ausgelöst, dessen Wellen sich mit rasender Geschwindigkeit rund um den Globus innerhalb der Branche ausbreiteten und zu einem weltweiten Konjunktureinbruch fast beispiellosen Ausmaßes führten. Staatsfinanzen zahlreicher Länder gerieten in Turbulenzen, der Euro und die europäische Währungsunion erlebten in der Folge in eine tiefgreifende Vertrauenskrise. Eine Chronik über die wichtigsten Ereignisse in den vergangenen zehn Jahren.
Quelle: Reuters
Die US-Investmentbank Lehman Brothers muss Insolvenzantrag stellen. Es kommt zu heftigen Turbulenzen an den Börsen, das Misstrauen steigt und breitet sich rasant über den Globus aus. Der Welthandel bricht ein, und in vielen Ländern stürzt die Wirtschaft in eine tiefe Rezession.
Die US-Regierung muss den weltgrößten Versicherer AIG mit Staatshilfen über 85 Milliarden Dollar vor der Pleite bewahren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück garantieren vor laufenden Kameras die Sicherheit der Einlagen der deutschen Sparer bei den heimischen Kreditinstituten. Vorausgegangen war ein starker Anstieg der Abhebungen von 500-Euro-Scheinen in Deutschland - ein deutliches Zeichen des Vertrauensverlustes in das Finanzsystem.
Die wichtigsten Notenbanken der Welt, darunter die Europäische Zentralbank (EZB) und die Federal Reserve, senken in einer konzertierten Aktion ihre Leitzinsen - ein historischer und noch nie dagewesener Schritt.
Als Reaktion auf die rasch um sich greifende Finanzkrise trifft sich erstmals die G20-Gruppe aus Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Washington. Verabschiedet wird ein umfangreiches Aufgabenpaket, mit dem man einen Absturz der Weltwirtschaft verhindern und das globale Finanzsystem stabilisieren will. Die G20 gilt fortan als das zentrale Koordinationsforum der weltweiten Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Die Commerzbank rettet sich schwer angeschlagen in die Hände des Staates, der 25 Prozent plus eine Aktie an der damals zweitgrößten deutschen Bank übernimmt. Der Bund ist bis heute an der Commerzbank beteiligt.
Als wegen der Schuldenkrise in Griechenland und anderen Euro-Ländern die Refinanzierungskosten für Frankreich kräftig steigen, ist die Krise endgültig im Zentrum der Währungsunion angekommen. Um die Lage zu stabilisieren, beginnt die EZB erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen einzelner Länder - ein vor allem in Deutschland als verbotene Staatsfinanzierung durch die Notenbank heftig kritisierter Schritt.
Die EZB startet den Aufkauf von Staatsanleihen Italiens und Spaniens. Beide Länder waren an den Finanzmärkten ins Visier von Spekulanten geraten.
Der deutsche EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark tritt aus Protest gegen die Geldpolitik der Notenbank zurück - der Euro stürzt darauf am Devisenmarkt ab.
Nach einer kurzen Beruhigungsphase nehmen die Turbulenzen an den Märkten im Frühsommer 2012 wieder zu. Der neue EZB-Präsident Mario Draghi erklärt in London in einer mittlerweile berühmt gewordenen Rede, die Zentralbank werde "alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten". Dieses Versprechen gilt bis heute vielen Experten als Wendepunkt der Krise. Seitdem haben die Schwankungen an den Finanzmärkten deutlich abgenommen und viele Länder können sich wieder günstiger verschulden.
Der EZB-Rat beschließt gegen den Widerstand der Bundesbank neue umfangreiche Staatsanleihekäufe, mit denen die Zukunft des Euro in der Schuldenkrise abgesichert werden sollen. Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof gehen das sogenannte OMT-Programm bleiben erfolglos. Tatsächlich bleibt der Praxistest aus: OMT wurde von der EZB bis heute nicht eingesetzt, und sie hat keine Staatsanleihe über dieses Programm erworben.
Die EZB beschließt Strafzinsen für Banken, die bei ihr Geld parken, statt es als Kredit an Unternehmen und Haushalte weiterzugeben. Der Strafzins gilt bis heute - die Kreditvergabe der Institute hat zugenommen.
Die EZB übernimmt die direkte Aufsicht über die damals 125 größten Banken in der Euro-Zone von den nationalen Behörden. Diese bleiben für die Kontrolle der kleineren Banken in ihren Ländern verantwortlich. Vorher hatte die EZB die großen Banken in einem beispiellosen Test erstmals auf Herz und Nieren geprüft, um Altlasten in den Bilanzen aufzuspüren und Probleme aufzudecken.
Mit dem neuen Jahr nimmt eine neue EU-Behörde für die Sanierung und geordnete Abwicklung von maroden Banken ihre Arbeit auf: der Single Resolution Mechanism (einheitlicher Abwicklungsmechanismus).
Um die schwache Teuerung und damit indirekt die maue Konjunktur in der Währungsunion anzuheizen, beschließt die EZB den Aufkauf von Staatsanleihen für monatlich 60 Milliarden Euro. Das Programm wurde danach noch mehrmals verändert.
Nach drei Wochen Schließung öffnen die griechischen Banken wieder. Zuvor war es wegen der drohenden Pleite des überschuldeten Landes zu massenhaften Abhebungen an den Geldautomaten und Kapitalverkehrskontrollen gekommen.
Die US-Notenbank Fed wagt nach Jahren der Minizinsen die Wende und erhöht erstmals wieder ihre Leitzinsen. Sie hebt ihren Schlüsselsatz um 0,25 Prozentpunkte auf die Spanne von 0,25 bis 0,5 Prozent an. Seitdem fährt sie einen Kurs der behutsamen Zinserhöhungen. Aktuell liegt der Schlüsselsatz in der Spanne von 1,75 bis 2,00 Prozent.
Die größten Banken der USA bestehen erstmals seit der Krise alle einen Stresstest der Zentralbank - damit scheint die Krise nach zehn Jahren wenigstens in den USA überstanden zu sein.
Die EZB stellt das Ende ihrer jahrelangen Krisenpolitik in Aussicht. Sie kündigt an, ihre Anleihenkäufe bis Ende 2018 einzustellen, sollte die Wirtschaft weiter mitspielen. Dann werden sie ein Gesamtvolumen von 2,6 Billionen Euro erreicht haben. Zudem erklärt sie, dass ihre Zinsen noch bis mindestens "über den Sommer" 2019 nicht angetastet werden. Der Leitsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.
Die Deutsche Bank ist noch nicht über den Berg. Beim zweiten Teil des US-Stresstests der großen Geldhäuser fällt sie als einziges Institut durch. Die erste Runde der Belastungsprobe hatte die Bank noch bestanden.
Das dritte Rettungspaket für Griechenland läuft aus. Künftig will sich die Regierung in Athen wieder auf eigenen Beinen stehen und sich selbstständig Geld am Finanzmarkt leihen. Insgesamt hat der schuldengeplagte Ägäis-Staat laut dem Euro-Rettungsschirm ESM 288,7 Milliarden Euro an Krediten erhalten.
Aber Sie stehen damit noch am Anfang. Auf welche Probleme wollen Sie sich konzentrieren?
Jetzt wird es stark auf die aktive Beteiligung der Bürger ankommen - sowohl für die finanzielle Basis, als auch für die inhaltlichen und politischen Beiträge. Im Gründungsprozess haben mir viele gesagt: Endlich gibt es so eine Initiative, ich mache da gerne mit. Ich glaube, dass wir tausende Menschen mobilisieren können.
Rechnen Sie mit ausreichenden finanziellen Mitteln? Sie nehmen es mit Heerscharen hochbezahlter Anwälte und gewaltigen Budgets für Kampagnen auf.
Ich habe nicht behauptet, dass es leicht wird. Aber es ist wichtig. Wir versuchen das jetzt – und das ist auch für mich mit einem gewissen Risiko verbunden. Ich glaube, dass es gelingen kann – so wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Foodwatch etwa hat über 400.000 Leute, die mitmachen und über den Newsletter ansprechbar sind. Warum soll das im Finanzbereich nicht gelingen, wo es so viele Menschen gibt, die immer wieder bei Finanzskandalen merken, dass die Regeln nicht stimmen? Nahezu jährlich verlieren Zehntausende durch einen Betrugsskandal am grauen Kapitalmarkt viel Geld. Wir könnten viel ändern, wenn die sich produktiv in den politischen Prozess einbringen, statt allgemein Frust zu schieben.
Glauben Sie, dass die derzeitige Finanzbranche nur mit Verlierern funktionieren kann? Frei nach dem Motto: Der Gewinn der Finanzbranche ist immer ein Verlust der Anleger und Sparer?
Eine gut organisierte Finanzbranche ist ein Win-Win-Geschäft, bei dem ein Kunde einen Kredit zu vernünftigen Konditionen bekommt und die Bank einen angemessenen Zinsgewinn erhält. Bei einem schlecht organisierten Finanzmarkt, wie wir ihn heute haben, ist das anders. Der Kunde erhält zwar einen günstigen Kredit, dann wird aber ihm vorgegaukelt, er müsse unbedingt eine Restschuldversicherung abschließen, bei der die Hälfte der Prämienbeiträge Provisionen für den Berater sind. So wird der Kredit deutlich teurer als nötig, der Kunde ausgetrickst und die Bank generiert Erträge ohne richtige Gegenleistung. Wir wollen einen Finanzsektor, in dem Banken durchaus vernünftige Gewinne machen können und der Verbraucher gute Angebote findet. Dann ist das System auch langfristig stabil und produziert nicht ständig neue Krisen.