Gerhard Schick „Wir haben die Finanzkrise noch immer nicht überwunden“

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„Staat ist mit der Finanzbranche nicht auf Augenhöhe“

Wo wollen Sie ansetzen?
Eine unserer zentralen Forderungen anlässlich von zehn Jahren Lehman-Pleite ist Transparenz. Es braucht ein Lobby-Register, und auch Transparenz darüber, welcher Teil eines Gesetzes auf wessen Vorschläge zurückgeht. Nur so können wir feststellen, ob ein Gesetz Pferdefüße hat.

Ist der Regierungsapparat personell und fachlich überfordert? Sind die persönlichen Verbindungen zwischen Politikern und Managern zu eng?
Das ist je nach Thema unterschiedlich. Die Mövenpick-Steuer (ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen zur allgemeinen Konjunkturbelebung nach Ausbruch der Finanzkrise, Anm. d. R.) wollte damals kein einziges Mitglied im Finanzausschuss. Aber den Lobbyisten ist es gelungen, das Thema über die Schatzmeister der Parteien einzutüten. Das war kein Kompetenzproblem. Bei den Cum-Ex-Geschäften aber fehlte die nötige Kompetenz in den Ministerien. Das räumte auch der zuständige Referatsleiter ein, dass er das Schreiben des Bankenverbandes zunächst nicht verstanden hat. Das zeigt: Der Staat ist an manchen Stellen mit der Finanzbranche nicht auf Augenhöhe. Das müssen wir unbedingt ändern.

Dazu braucht es eine Bürgerbewegung?
Es gibt in Deutschland keine Organisation – auch keines der großen Wirtschaftsinstitute -, die sich zum Beispiel mit den Cum-Ex-Geschäften ernsthaft beschäftigt hat. Niemand. Es gibt keine gesellschaftspolitische Organisation, die sich mit Finanzmarktregulierung im Kern beschäftigt. Damit fehlen unabhängige Expertise und politisches Gegengewicht zu den Branchenverbänden. Diese Lücke muss gefüllt werden.

Zehn Jahre Finanzkrise

Aber Sie stehen damit noch am Anfang. Auf welche Probleme wollen Sie sich konzentrieren?
Jetzt wird es stark auf die aktive Beteiligung der Bürger ankommen - sowohl für die finanzielle Basis, als auch für die inhaltlichen und politischen Beiträge. Im Gründungsprozess haben mir viele gesagt: Endlich gibt es so eine Initiative, ich mache da gerne mit. Ich glaube, dass wir tausende Menschen mobilisieren können.

Rechnen Sie mit ausreichenden finanziellen Mitteln? Sie nehmen es mit Heerscharen hochbezahlter Anwälte und gewaltigen Budgets für Kampagnen auf.
Ich habe nicht behauptet, dass es leicht wird. Aber es ist wichtig. Wir versuchen das jetzt – und das ist auch für mich mit einem gewissen Risiko verbunden. Ich glaube, dass es gelingen kann – so wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Foodwatch etwa hat über 400.000 Leute, die mitmachen und über den Newsletter ansprechbar sind. Warum soll das im Finanzbereich nicht gelingen, wo es so viele Menschen gibt, die immer wieder bei Finanzskandalen merken, dass die Regeln nicht stimmen? Nahezu jährlich verlieren Zehntausende durch einen Betrugsskandal am grauen Kapitalmarkt viel Geld. Wir könnten viel ändern, wenn die sich produktiv in den politischen Prozess einbringen, statt allgemein Frust zu schieben.

Glauben Sie, dass die derzeitige Finanzbranche nur mit Verlierern funktionieren kann? Frei nach dem Motto: Der Gewinn der Finanzbranche ist immer ein Verlust der Anleger und Sparer?
Eine gut organisierte Finanzbranche ist ein Win-Win-Geschäft, bei dem ein Kunde einen Kredit zu vernünftigen Konditionen bekommt und die Bank einen angemessenen Zinsgewinn erhält. Bei einem schlecht organisierten Finanzmarkt, wie wir ihn heute haben, ist das anders. Der Kunde erhält zwar einen günstigen Kredit, dann wird aber ihm vorgegaukelt, er müsse unbedingt eine Restschuldversicherung abschließen, bei der die Hälfte der Prämienbeiträge Provisionen für den Berater sind. So wird der Kredit deutlich teurer als nötig, der Kunde ausgetrickst und die Bank generiert Erträge ohne richtige Gegenleistung. Wir wollen einen Finanzsektor, in dem Banken durchaus vernünftige Gewinne machen können und der Verbraucher gute Angebote findet. Dann ist das System auch langfristig stabil und produziert nicht ständig neue Krisen.

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