WirtschaftsWoche: Herr Kukies, europäische Banken schwächeln, bei US-Instituten läuft es blendend. Was heißt das für Goldman in Deutschland?
Jörg Kukies: Wir wollen Marktanteile gewinnen. Unsere Kapitalbasis ist stärker als die vieler Wettbewerber, wir können deshalb große Positionen übernehmen und sind Partner bei wichtigen Transaktionen. In der Vermögensverwaltung und unserer Privatbank fließen uns Mittel zu. Gerade hier steht Deutschland im Zentrum unserer Strategie. Zudem investieren wir massiv in die Digitalisierung unseres Geschäfts.
Und Europas Banken fallen zurück?
Zur Person
Kukies, 49, leitet Goldman Sachs Deutschland seit Ende 2014 gemeinsam mit Wolfgang Fink.
US-Banken profitieren von ihrem großen, einheitlichen Heimatmarkt und zudem von der Aussicht auf steigende Zinsen. Das muss aber kein Dauerzustand sein. Wenn die europäische Bankenunion voranschreitet, die Institute ihre Altlasten weiter abbauen und ihre Kapitalbasis stärken, sind ihre Perspektiven deutlich besser, als es der Markt suggeriert. Es ist kaum vorstellbar, dass Banken dauerhaft so niedrig bewertet werden.
Die Kluft dürfte sich erst mal vergrößern. US-Banken profitieren davon, dass Donald Trump die Regulierung zurückdrehen will. Ihre Analysten haben gerade ausgerechnet, dass dies bei US-Banken mehr als 200 Milliarden Dollar Kapital freisetzen könnte.
Da ist noch vieles unklar. Bisher gibt es nur einen Auftrag an das Finanzministerium, Regeln zu überprüfen. Niemand weiß, was das Ergebnis sein wird. Im Einzelnen sind Änderungen auch gar nicht so einfach. Bei wichtigen Gesetzen müssen in den USA auch Teile der Opposition zustimmen.
Mit Wirtschaftsberater Gary Cohn, Finanzminister Steve Mnuchin und seinem Stellvertreter James Donovan sind viele Ex-Goldman-Banker wichtige Mitglieder der Trump-Regierung. Sie werden für bankenfreundliche Regeln sorgen.
Die Annahme ignoriert die Tatsache, dass schon große Teile der bisherigen Regulierung nicht gegen die Banken, sondern im Konsens mit ihnen entstanden sind. Auch bei uns will niemand das Rad in die Zeit vor der Finanzkrise zurückdrehen. Es ist doch offensichtlich, dass es da falsche Anreize gab. Wir sind für mehr Stabilität und klarere Regeln.
Dann sind Anpassungen gar nicht nötig?
Es ist ganz natürlich, dass man nach acht Jahren Regulierung schaut, was erreicht wurde und wo es vielleicht unerwünschte Nebenwirkungen gibt. So ist die Liquidität wegen der Beschränkungen des Eigenhandels in vielen Märkten zurückgegangen. Für Investoren ist es heute oftmals gar nicht so einfach, größere Vermögenswerte zu verkaufen. Das gilt umso mehr, wenn die Stimmung an den Märkten krisenhaft ist. Hier haben die Banken früher als Puffer gewirkt. Das ist heute nur noch begrenzt möglich.
Gerade der Eigenhandel hat den Ruf der Banken ruiniert.
Es ist kaum möglich, klare Grenzen zu ziehen. Wenn wir einem Investor eine Anleihe abkaufen und kein Käufer direkt bereitsteht, nehmen wir sie erst mal auf unsere Bücher. Das kann man bereits als Eigenhandel betrachten. In jedem Einzelfall müssen wir ermitteln, wie wahrscheinlich wir einen Vermögenswert in absehbarer Zeit verkaufen. Das ist schwer zu prognostizieren und extrem komplex. Hier wären Klarstellungen sinnvoll. Ich bezweifle, dass Banken deshalb in rein spekulative Geschäfte zurückkehren. Da sind Hedgefonds vermutlich die geeigneteren Adressen.
Über das Wachstum der Weltwirtschaft
Erleichterungen wie in den USA wird es in Europa kaum geben, eine globale Regulierung scheint nur noch schwer erreichbar. Unklar ist etwa die Zukunft des Großprojekts Basel III, das einheitliche Kapitalregeln definieren soll.
Als globales Unternehmen sind wir an global funktionierenden Regeln interessiert. Und die Verhandlungen laufen noch. Bei vielen Themen gibt es schon große Einigkeit zwischen den Parteien.
Auf Übereinstimmungen legt der neue US-Präsident offenbar wenig Wert, er will die USA abschotten. Welche Folgen hätte das?
Sollte der internationale Warenhandel tatsächlich eingeschränkt werden, könnte das signifikante Auswirkungen auf das globale Wachstum, die exportabhängigen deutschen Unternehmen und für die USA haben. Das gilt auch für die diskutierten Restriktionen bei der Einwanderung. Gerade sie war in den vergangenen Dekaden ein großer Wachstumstreiber in den USA.
Mit dem Brexit hat sich auch Großbritannien gegen mehr internationale Integration entschieden. Wie viele Goldman-Banker werden deshalb nach Frankfurt kommen?
Ein Team unter Leitung unseres europäischen Managements prüft nach wie vor die Rahmenbedingungen. Wir haben noch keine Entscheidung getroffen.
Investoren blenden politische Unsicherheiten mittlerweile offenbar aus, die Börsenkurse steigen immer weiter. Sind sie naiv?
Nein. Investoren haben Erwartungen, die die Aktienkurse nach der Trump-Wahl nach oben getrieben haben, teilweise schon wieder revidiert. Und französische Staatsanleihen etwa reagieren extrem sensibel auf jede neue Prognose zur Wahl. Wir beobachten derzeit aber, dass sich die extrem negativen Erwartungen für Europa bessern. Viele Investoren halten es inzwischen für möglich, dass die Wahlen 2017 ein Aufbruchssignal zu mehr Integration liefern könnten.
Also erwarten Sie keinen Börseneinbruch?
Wir rechnen damit, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr womöglich sogar um vier Prozent wächst. Und die Gewinne europäischer Unternehmen steigen derzeit stärker als zu Beginn des Jahres erwartet. Auch wenn die Bewertungen gerade in den USA historisch extrem hoch sind, gibt es bisher keine Anzeichen für eine Blase. Die Fundamentaldaten stützen die positive Stimmung. Wir gehen davon aus, dass sich die Märkte noch eine Weile auf dem hohen Niveau halten werden, sehen aber auch, dass sie mögliche Rückschlagpotenziale unterschätzen.