Hypo Alpe Adria Gläubiger fordern Kärntens letztes Hemd

Österreich und Bayern wollen sich im Streit um die Skandalbank Hypo Alpe Adria auf einen Generalvergleich einigen. Zahlreiche deutsche Anleihegläubiger kämpfen jedoch weiter um ihr Recht in der Causa Hypo. Sie fordern ihr Geld vom Land Kärnten – und drohen sogar mit Pfändung.

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Hypo Group Alpe Adria Quelle: dpa Picture-Alliance

Bernhard Müller sitzt in einem Kaffeehaus in Wien bei einer mittäglichen Suppe und spricht große Zahlen gelassen aus: Die Gebäude der Kärntner Verwaltung? Die seien 37,4 Millionen Euro wert; die Maschinen der Behörden 21 Millionen Euro. 12,6 Millionen Euro, rechnet der Wiener Verfassungsexperte vor, betrage der Wert der Einrichtungsgegenstände der Landesregierung im südlichsten Bundesland, weitere 11,5 Millionen der Fuhrpark. 2,4 Milliarden Euro würde immerhin das Kärntner Straßennetz einbringen. Müller hält inne. "Aber was macht ein Gläubiger mit einer Straße?", fragt er und lässt den Satz zwischen Suppe und Cola verklingen. "Vielleicht ein Mautsystem errichten?"

Der Grund, warum Fragen wie diese in Österreich plötzlich wichtig sind: Das Land Kärnten ist einst Haftungen für seine mittlerweile untergegangene Landesbank Hypo Alpe Adria eingegangen, die heute noch rund zehn Milliarden Euro umfassen. Und dieses Geld möchten die einstigen Anleihegläubiger der Skandalbank nun eintreiben. Zwar hat die Republik Österreich durch Sondergesetze eine Art Schutzwall gegen private Gläubiger um die marode Bank gelegt. Doch die finden: Wenn die Bank, beziehungsweise deren Bad Bank Heta, nicht zahlen will, dann eben das Land Kärnten. Wofür hat es schließlich gehaftet?


An den Forderungen der Gläubiger ändert auch der Paukenschlag aus dem österreichischen Finanzministerium vorerst nichts: Am Dienstag verkündete Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling, dass sich die Republik nach jahrelangem Rechtsstreit mit Bayern um die Hypo Alpe Adria auf einen Generalvergleich einigen will. 1,23 Milliarden Euro will Österreich nach Bayern überweisen, das entspricht 45 Prozent der ursprünglichen Forderungen aus Bayern. Damit endet ein jahrelanger Rechtsstreit, der 2009 entbrannt war, als die Republik Österreich die Hypo von der bayerischen Landesbank BayernLB zurückgekauft hat.

Landeshaftung war schon immer eine Illusion

Wenn der Generalvergleich zustande kommt, wollen Bayern und Österreich sämtliche Verfahren in dieser Causa beilegen. Fix ist der Vergleich noch nicht: Neben den Parlamenten beider Länder muss auch die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) noch zustimmen. Doch auch wenn die Einigung hält, wird die Bad Bank Heta weiterhin österreichische und deutsche Gerichte beschäftigen. So prüfen etwa die Ergo Pensionskasse, die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS Institutional sowie deutsche Banken und Versicherungen Wege, an ihr Geld aus früher gezeichneten Anleihen zu kommen. Ein möglicher Weg dazu sind die Haftungen des Landes Kärnten.

Welche deutschen Institute zittern müssen
Die staatliche Förderbank für das Land Baden-Württemberg Quelle: Presse
DZ Bank - mittlerer zweistelliger Millionenbetrag Quelle: REUTERS
DWS Investment - 275 Millionen Euro Quelle: Presse
NRW-Bank - 276 Millionen Euro Quelle: dpa
Pimco - 292 Millionen Euro Quelle: REUTERS
FMS Wertmanagement - 295 Millionen Euro Quelle: dpa
Düsselhyp - 348 Millionen Euro (Stand: Ende 2013) Quelle: dpa Picture-Alliance

Das Problem: Die zehn Milliarden Landeshaftung waren von vorneherein eine Illusion. Sie sind viermal so hoch wie das Kärntner Jahresbudget. Weil zudem die Ratingagentur Moody's das Land abgestuft hat und Kärnten an den Kapitalmärkten kaum noch Geld bekommt, ist an eine Begleichung der Gläubiger kaum zu denken. Die drohen deswegen: Wenn Kärnten die Zahlungen nicht leiste, werde man pfänden. So kommt Müllers Liste ins Spiel. Der Anwalt, dessen Kanzlei Dorda Brugger Jordis mehrere deutsche Kläger gegen die Heta vertritt, sagt: "Die Kärntner werden in jedem Fall bis auf das letzte und das allerletzte Hemd ausgezogen werden." Und Ingo Kapsch, Wiener Anwalt einer deutschen Privatbank, sagt mit Blick auf ein laufendes Verfahren gegen Kärnten: "Wenn wir den Prozess gewinnen, können wir das Land auch pfänden."

Was wirkt wie eine Provinzposse, verspricht Antworten auf eine Grundsatzfrage nach der Finanzkrise: Muss der Steuerzahler wirklich für Banken einspringen, wenn diese sich verzocken? Und kann für das Versagen einzelner Manager und Politiker ein ganzes Bundesland in Geiselhaft genommen werden?

Die Portokasse ist leer

Verfassungsexperte Müller lehnt sich jetzt wieder über seine Suppe am Tisch des Wiener Innenstadtcafés und sagt: "Kärnten wird die Haftungen nicht bedienen können und wohl Insolvenz anmelden müssen. Die Gläubiger werden dann fragen, auf welche Vermögenswerte sie greifen können." Klar ist laut Müller jedenfalls, worauf Gläubiger nicht zugreifen können: "Alles, was dem Gemeinwohl dient, muss erhalten bleiben. Spitäler können also nicht gepfändet werden." Treffen könnte das Sparen Krankenhäuser dennoch, wenn sie ihren Betrieb aus Kostengründen aufs Nötigste reduzieren.

Das Gleiche gelte für die Verwaltung, sagt Müller: "Es ist durchaus denkbar, dass das Land dann keine Bescheide mehr verschicken kann, weil kein Geld für die Briefmarken vorhanden ist." Ob ein Bundesland nach österreichischem Recht überhaupt in Insolvenz gehen kann, ist unter Juristen umstritten. Genauso wie die Frage, was Gläubiger von einem Land pfänden können. "Auch wenn die Ausmaße nicht im Entferntesten zu vergleichen sind, im Einsparungspotenzial wird man Kärnten mit Griechenland vergleichen müssen", glaubt Müller. Erst im Mai rettete der Bund das Land mit einem Notkredit von rund 350 Millionen Euro vor der Pleite. Im Gegenzug sicherte Kärnten ein Sparprogramm zu.

Karl Petritz Bürgermeister

Dabei hat die Misere Kärntens mit einem Geldsegen begonnen. Unter dem früheren Landeshauptmann, dem Rechtspopulisten Jörg Haider, expandierte das 1896 als Landes-Hypothekenanstalt gegründete Institut in alle möglichen Märkte. Als Hypo Group Alpe Adria (HGAA) stürzte es sich ins Osteuropageschäft. Gesetz und Moral hielten nicht mit. 13 Verurteilungen ehemaliger Entscheidungsträgern der Bank, davon sechs rechtskräftige Urteile, zeugen davon. Langwierig sind zudem die Streitigkeiten zwischen Österreich und Bayern: Nachdem die BayernLB die Hypo 2007 von Kärnten gekauft und nach Milliardenverlusten 2009 wieder an die Republik Österreich abgestoßen hat, überziehen sich die Parteien mit Klagen.

Wenn Schüler für Banker-Sünden haften

Wie sich das Finanzfiasko für Kärnten anfühlt, ist in der Gemeinde Steuerberg zu besichtigen. Eine verschlungene Landstraße führt durch die Wälder des Gurktals, vorbei an den rund 30 winzigen Ortschaften der Gemeinde Steuerberg, 1650 Einwohner, viele Wanderwege, Seen und Gebirgsbäche. In einem lichten Raum des Gemeindeamtes sitzt Bürgermeister Karl Petritz von der konservativen Volkspartei unter dem Foto der hiesigen Eishockeymannschaft. Hinter ihm stehen Miniaturspielzeuge aus Holz.

Seit 30 Jahren steht Petritz der Gemeinde Steuerberg vor. Die derzeitige Finanzlage bezeichnet der Bürgermeister als "einmalig". Sämtliche Bereiche seien betroffen: Bei den Straßen würde laut Petritz nur noch das Notwendigste repariert, bei den umliegenden Spitälern seien Betten reduziert worden. Den Heizkostenzuschuss kann seine Gemeinde nicht mehr in voller Höhe auszahlen.

Die schmerzhafteste Wunde, die das Sparprogramm seiner Gemeinde reißt, liegt rund zehn Kilometer entfernt von Petritz' Amtshaus in der Gemeinde Wachsenberg. Der Ausblick von dem Hügel, auf dem das Dorf inmitten von Wald eingebettet ist, erinnert an die Naturbeschreibungen bei Adalbert Stifter. Malerisch liegt die Stadt Feldkirchen zu Füßen der Ortschaft, der Blick über die Bergketten reicht bis in die Karawanken. Es bedarf schon ländlicher Abgeklärtheit, um bei dem Anblick nicht zu stocken.

Dort besuchen 13 Schulkinder die Wachsenberger Volksschule. Die kleine Dorfschule ist nach einer Generalsanierung in den Neunzigerjahren aufgeputzt worden und verfügt sogar über einen stattlichen Turnsaal. Unterrichtet werden die Sechs- bis Zehnjährigen in einer Gesamtklasse von Heinrich Leeb. In seinem Direktorenzimmer hängt neben den Kinderzeichnungen ein rosa Kleidchen. "Das ist für unsere Kindermusicalaufführung kommende Woche", sagt Leeb, "das Stück heißt 'Das geheime Leben der Piraten'." Da klopft es an Leebs Tür. Eine der Schülerinnen will sich das iPad aus dem Lehrerzimmer borgen. "Das ist ein Schulversuch fürs digitale Lernen", erklärt Leeb und gibt ihr den Computer.

Weniger Investoren, weniger Arbeitsplätze

Weil die Landesregierung auch im Bildungsbereich den Rotstift ansetzt, soll die Volksschule Wachsenberg zusammen mit rund 20 weiteren Volks- und Kleinschulen bis 2018 geschlossen werden. Für Leeb würde das die Versetzung in eine andere Schule bedeuten: "Man hat mir schon vor Jahren einen Posten angeboten, der näher an meinem Heimatdorf liegt, aber ich stehe für diesen Standort", sagt Leeb. Wieder klopft es an seiner Tür. Diesmal ist es eine Schülerin mit einem Teddybären unter dem Arm. "Herr Lehrer, Herr Lehrer, haben Sie Uhu, der Bär hat ein Auge verloren." Leeb weiß wohl, dass er in Wachsenberg gebraucht wird.

"Wenn die Haftungen schlagend werden, ist hier Griechenland", sagt der Schulleiter. So könnte die Schule nur der erste grobe Einschnitt in das soziale Gefüge des Dorfs gewesen sein: "Der Kindergarten ist ebenfalls von der Schließung bedroht", sagt Bürgermeister Petritz. Spardruck, wohin man schaut.

Perspektiven, die auch den Präsidenten der Wirtschaftskammer Kärnten, Jürgen Mandl, sorgen. "Natürlich werden uns die Haftungen in irgendeiner Form treffen, aber trotzdem werden die Unternehmer weiter Geschäfte machen müssen", sagt Mandl. Unter dem Sparprogramm des Landes leidet die Kärntner Wirtschaft bereits jetzt. "Besonders betroffen ist das Baugewerbe", sagt Mandl, "im Hochbau kommen 30 Prozent und im Tiefbau 70 Prozent von der öffentlichen Hand. Diese Projekte sind nun gefährdet." Ihn beunruhigt die Kärntner Arbeitslosenquote von 9,7 Prozent im Mai. "Durch den Bau geht die Arbeitslosenzahl im Sommer traditionell zurück. Davon merken wir im Moment allerdings nichts."

Klaus Eisank vom Alpenverein in Kärntens Bergen repariert derzeit nur noch das nötigste.

Den Standort Kärnten trifft das aktuelle Sparprogramm des Landes hart. "Das ist natürlich auch eine Imagefrage", sagt Mandl. Für die zahlreichen Sport- und Kulturvereine wird der rigorose Zahlungsstopp der Landesförderung sogar zur Überlebensfrage. "Die aktuelle Lage der Kulturfinanzierung zwingt das Klagenfurter Ensemble, die Sommerpause bereits jetzt zu beginnen", heißt es auf der Homepage des zweitgrößten Theaters in Klagenfurt. Zwar hat das Land der Kleinbühne die Förderung von 40.000 Euro mittlerweile überwiesen, der Schaden für die Bühne ist dennoch beträchtlich: "So hat man keine Planungssicherheit, wir mussten Leute entlassen", sagt Intendant Gerhard Lehner.

Die Sportvereine sind ebenfalls von den Sparanstrengungen des Landes betroffen: Der Kärntner Landesruderverband musste die alljährliche Ruderregatta absagen, nachdem das Land die zugesagten Subventionen nicht überwiesen hatte. Auch der Alpenverein Kärnten wartet bis heute auf die Überweisung der Landesförderung. "Wir brauchen das Geld, um die alpinen Wege und Hütten zu erhalten", sagt Klaus Eisank vom Alpenverein.

Die Gläubiger der Heta werden auf die Befindlichkeiten der Kärntner voraussichtlich wenig Rücksicht nehmen. "Wenn wir einen Titel haben, werden wir auch exekutieren", lässt der Anwalt einer großen deutschen Versicherung wissen. Dass der Fall der Fälle tatsächlich eintritt, glaubt der theoretische Hardliner Bernhard Müller nicht: "Die Pfändung ist theoretisch denkbar, aber politisch wohl nicht durchführbar. Da würde der Bund wohl vorher eingreifen und Kredite gewähren."

Die Quote von 45 Prozent, auf die sich Österreich und Bayern nun geeinigt haben, ist laut Müller auch ein Signal an die übrigen Heta-Gläubiger. „Im Endeffekt", sagt Müller "versuchen sich sämtliche Kläger eine gute Verhandlungsposition zu verschaffen, wenn es zu diesem Schuldenschnitt kommt." Anwalt Ingo Kapsch würde sich mit dieser Quote allerdings nicht zufriedengeben: „Der Schuldenschnitt von 45 Prozent ist weit umfangreicher als erwartet. Es ist niemand gut beraten, darauf einzugehen.“

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