Insolvenzen Pleitewelle: Ob sie kommt, hat der Staat in der Hand

Quelle: dpa

Die Angst vor der großen Insolvenzwelle wächst mit jedem neuen Lockdown-Monat. Bisher ist der ganz große Tsunami ausgeblieben. Die Verantwortung, dass das so bleibt, liegt vor allem bei der Politik.

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Die Welle gilt in der Pandemiezeit als die Schreckensmetapher schlechthin. Während die erste, zweite und mittlerweile auch dritte Infektionswelle von Beginn an zu erkennen waren, steigt die Angst vor einer anderen mit jedem Tag, an dem der Lockdown andauert: der Pleitewelle. Schon im April 2020 warnte Insolvenzexperte Lucas Flöther vor einer „Bugwelle“, die sich gerade „aufbaue“. Nur ob sie noch im Herbst oder erst 2021 komme, sei noch unklar, prophezeite er damals im Münchener Club Wirtschaftspresse. Jetzt, ein Jahr später, ist die Welle immer noch nicht da.

Die Politik hat die Wirtschaft in eine ungewöhnliche Situation manövriert. Im Sommer hatte der Bund die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, seit Oktober gilt sie nur bei Zahlungsunfähigkeit, nicht aber bei Überschuldung. Außerdem zahlte der Staat Überbrückungshilfen, mit deren Hilfe sich viele Unternehmen über Wasser halten konnten. 2020 meldeten deshalb 15,5 Prozent weniger Firmen Insolvenz an als im Jahr zuvor. Doch die Ruhe ist trügerisch und die Sorge bleibt groß: Wann kommt die große Pleitewelle? Oder kommt sie überhaupt?

Uwe Fröhlich, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank (DZ Bank), rechnet im WirtschaftsWoche-Podcast Chefgespräch nur mit einer „kleineren Welle von Insolvenzen“. Als Zentralinstitut der Kreditgenossenschaften hat die DZ Bank den Überblick über die Liquiditätssituation in Deutschland – auch weil ihre Genossenschaftsbanken die Hilfsprogramme an die Förderinstitute weiterreichen.

Auch für Fröhlich hängen der Zeitpunkt des Eintreffens der Pleitewelle und ihr Ausmaß an den Entscheidungen der Politik. Wenn die Insolvenzantragspflicht wieder voll greife, sei der Zeitpunkt, zu schauen „was überlebensfähig ist und was es nicht schaffen wird“.

Die Intensität der Pleitewelle sei vor allem davon abhängig, wie die Unternehmen es durch den Lockdown schaffen werden. „Die Lockdownphase kostet jede Woche Unternehmensschicksale“, mahnt Fröhlich und fügt hinzu „alles hängt davon ab, wie schnell wir den Lockdown hinter uns bringen“.

Der bisherigen Coronapolitik stellt er ein schlechtes Zeugnis aus und sieht noch „deutlichen Handlungsbedarf besser und schneller zu werden und Verantwortung zu übernehmen“. Grundsätzlich seien die Liquiditätshilfen aber der richtige Schritt in einer Notsituation gewesen. Dabei müsse allerdings genauer geschaut werden, ob das Unternehmen „vorher schon in wirtschaftlichen Notständen war oder ob die Pandemie der Auslöser der Schwierigkeiten ist“.

Vor der Gefahr, Unternehmen am Leben zu halten, deren wirtschaftliche Schwierigkeiten schon vor Corona bestanden, warnt auch das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer gemeinsamen Studie mit Creditreform. 25 000 Unternehmen, die schon vor der Krise finanziell schlecht dastanden, würden nur durch die Coronahilfen künstlich am Leben gehalten. Das ZEW prophezeit daher einen „Rückstau“ an Pleiten und mahnt die Politik, nur noch nach genauer Prüfung Finanzhilfen zu vergeben.

Vorsichtig optimistisch

Insgesamt fällt der Blick in die Zukunft allerdings deutlich positiver aus als noch im vergangenen Jahr. Der Kreditversicherer Euler Hermes, der im Juli noch von einer Insolvenzwelle ab Herbst sprach und prophezeite, „die Schockwellen dürften sich ins gesamte erste Halbjahr 2021 ausbreiten“, verfasste jüngst eine deutlich optimistischere Prognose.

Die Zahl der Firmenpleiten werde in diesem Jahr lediglich um sechs Prozent steigen und so immer noch deutlich unter dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019 liegen. Erst im nächsten Jahr erwartet der Versicherer einen Anstieg von 15 Prozent – in etwa auf das Niveau von 2017.

Doch auch Euler Hermes warnt, der derzeit so niedrige Stand an Unternehmenspleiten sei „künstlich“, erzeugt durch den Wellenbrechereffekt staatlicher Unterstützungsmaßnahmen. „Das wird nicht ewig so weitergehen“, sagt Geschäftsführer Ron van het Hof.

Und doch sieht er die Möglichkeit einer vorsichtigen Rückkehr in eine neue Normalität ohne einen sprunghaften Anstieg an Pleiten. Voraussetzung dafür sei, dass die Politik staatliche Hilfen nicht abrupt beende, sondern langsam und vorsichtig auslaufen lasse.

„Für deutsche Unternehmen ist dies zunächst eine gute Nachricht in diesen herausfordernden Zeiten“, sagt van het Hof. Sie sollten ihre Finanzen genau im Blick behalten und gleichzeitig schon jetzt die strategischen Weichen für die „neue Normalität“ stellen.

Dass jeder Tag, an dem Geschäfte ihre Türen nicht öffnen dürfen, Auswirkungen auf die Zeit nach der Pandemie hat, davor warnt auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Er rechnet damit, dass 82.000 Einzelhandelsgeschäfte es in die „neue Normalität“ gar nicht erst schaffen werden und Insolvenz anmelden müssten. 450 000 Arbeitsplätze ständen laut dem Handelsverband auf dem Spiel.

Auch er sieht die Politik in der Pflicht, den Ausstieg aus dem Lockdown und einen Übergang in eine Zeit nach Corona zu planen: „die Unternehmen brauchen Verlässlichkeit“.

Mehr zum Thema: Uwe Fröhlich, Co-Chef der zweitgrößten Bank Deutschlands, spricht im Podcast über verpasste Techtrends, Fehler von Olaf Scholz, das Leiden der Unternehmer – und seine beste Geldanlage.

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