Kryptobörsengänge Wie Aufseher das Kapital aus dem Nichts vereiteln

Über digitale Münzen sammeln Start-ups Milliarden Dollar ein, vergleichbar mit der Aktienausgabe bei einem Börsengang. Lästige Gesetze störten sie bislang nicht. Doch nun geraten sie unter Druck.

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Quelle: REUTERS

Philipp Pieper bestellt sich an diesem Montagnachmittag im September in aller Ruhe einen Milchkaffee im Starbucks in Palo Alto, dem Herzen des Silicon Valley. Dabei hätte er schon ohne Koffeinkick Grund genug, vor Nervosität wippend am Tisch zu sitzen: Vor ein paar Stunden hat die chinesische Zentralbank Initial Coin Offerings (ICO) verboten, bei denen Eigentumsrechte oder monetäre Vorteile digital veräußert werden.

Damit trifft sie die rasant wachsende Szene der Kryptowährungen an einem wunden Punkt. Ausgerechnet diese ICOs sind ihr Megatrend. Anfang 2016 hatten Anleger 40 Millionen Dollar über ICOs investiert, heute sind es über zwei Milliarden. Würden sie ausgebremst, könnten die einerseits hoch bewerteten, doch zugleich kritisch beäugten Krypto-Start-ups massive Probleme bekommen. Pieper hat für sein Start-up Swarm genau so ein ICO organisiert. Panik? „Das kommt uns sogar entgegen“, sagt Pieper, voll der typischen Gelassenheit eines Silicon-Valley-Gründers. An das schlichte Verbieten glaubt der gebürtige Deutsche nicht. Je eher die Behörden klare Regeln aufstellen würden, umso besser.

Weltweit öffnen sich gerade Hunderte von Start-ups so für Anleger: Statt Aktien an einer Börse geben sie bei einem ICO digitale Münzen aus. Münzen in Kryptowährungen, also verschlüsselte, am Rechner geschaffene Zahlungsmittel, die auf dem Konzept der Blockchain aufbauen. Die Blockchain ist ein dezentrales Netzwerk, in dem sich Vermögenswerte digital gesichert übertragen lassen, eine Datenbank, in der Daten aus vielen hintereinander geschalteten und gespeicherten Transaktionen enthalten sind.

Erst belächelt, heute offiziell anerkanntes Zahlungsmittel in einige Staaten: Kryptowährungen wie Bitcoin haben eine große Zukunft vor sich, denn in mancher Hinsicht sind sie unserem Papiergeld dauerhaft überlegen.
von Thorsten Polleit

Pieper will über solch ein Netzwerk eine Art Genossenschaftsbank gründen, die Mitgliedschaft und Stimmrechte über digitale Münzen zuteilt. So wie eine Genossenschaftsbank Anleger aus einer Region vereint, soll Swarm Fund Digital Investoren aus aller Welt anziehen. Dieser Schwarm soll dann über Investments entscheiden.

Nichts wird in der Finanzbranche gerade heißer diskutiert als Kryptowährungen. Die bekannteste ist der Bitcoin, der auf der Blockchain basiert. Mit der Blockchain könnten Aktien ohne Broker, Depotbanken und Verwahrstellen gehandelt werden, direkt von Aktionär zu Aktionär. Und es könnten Verträge aufgesetzt werden, die Vertragsbedingungen automatisch kontrollieren.

Noch stecken solche Anwendungen in der Testphase. Allen gemein ist: Nur mit der digitalen Münze, auch Token genannt, funktioniert die Infrastruktur. Schon bevor die Projekte Realität werden, lassen sich diese Münzen aber handeln. Das nutzen die Gründer seit einem Jahr nun aus – mit Hunderten Kryptobörsengängen.

Die digitalen Anlagen kommen in vielen Formen daher: als Unternehmensanteile, Währungen oder Gutscheine, die sich für Dienstleistungen einlösen lassen. Was hier rechtlich erlaubt ist, ist höchst umstritten.

Wenn sie sich dem Publikum öffnen, geben Gründer statt Aktien Token aus. Auf einen Wertpapierprospekt verzichten sie, sie schreiben nur ein Konzeptpapier. Statt mit soliden Bilanzen, glänzen sie mit aufwendig produzierten Internetseiten, statt Zahlen liefern sie Visionen. Selbst Hotelerbin Paris Hilton ist auf den Zug aufgesprungen – als Werbefigur für das Start-up Lydian, das 100 Millionen Dollar via ICO einsammeln will. Die Token einiger Krypto-Start-ups haben nach ihrem ICO bereits über eine Milliarde Dollar Marktwert erreicht: OmiseGo, der Token für ein digitales Bankkonto, überschritt gerade diese magische Marke.

Nun greifen die Aufseher ein. Dem Komplettverbot der ICOs in China Anfang September, folgte ein Einschreiten der Schweizer Finanzaufsicht Finma: Sie untersucht elf möglicherweise unerlaubte ICOs, hat drei auf eine Warnliste gesetzt und den Verein Quid Pro Quo samt „Scheinkryptowährung“ aus dem Verkehr gezogen. In den USA warnt die Aufsicht SEC vor Betrügern. Unternehmen würden zudem US-Recht brechen, wenn sie Token als Beteiligungen ohne Prospekt ausgeben. „Die meisten ICOs sind irreführend, weil hier vermeintliche Werte an Anleger verkauft werden, bevor es überhaupt eine Bewertungsgrundlage für die Unternehmen gibt“, sagt ein Szenekenner.

Kein Umsatz, kein Businessplan, keine Investoren außerhalb der Kryptowelt – letztlich sind die Anteile wertlos.

Aussicht auf grandiose Renditen

Anleger lockt vor allem die Aussicht auf grandiose Renditen. Der Kurs des Tokens des Krypto-Start-ups TenX etwa, das eine Kreditkarte für Kryptowährungen entwickelt, verfünffachte sich binnen zwei Wochen. Und Start-ups bekommen auf der ganzen Welt Geld – auch wenn sie keine Risikokapitalgeber kennen. „ICOs sind eine sehr effektive Art, Kapital einzusammeln“, sagt Ted Livingston, Gründer und Chef des kanadischen Messagingdienstes Kik, der mit seinem gerade laufenden ICO 125 Millionen Dollar einwerben will. „Das ist die Zukunft des Investmentbankings“, sagt Pieper von Swarm, der einst für die Deutsche Bank im Private-Equity-Geschäft tätig war.

Doch wer von den Kennzahlen in der Kryptoszene keine Ahnung hat, verliert meist. „Ich würde doch auch nicht am Aktienmarkt investieren, wenn ich nicht verstehe, welche Kennzahlen dort relevant sind“, sagt Florian Glatz, Blockchain-Anwalt aus Berlin. Er berät Unternehmen bei ihrem ICO. „Nur wer sich in der Kryptoszene auskennt sollte dort investieren.“

Anleger sollten sich zunächst davon überzeugen, dass die Gründer überhaupt schon mal eine Zeile Code geschrieben haben. So etwas lässt sich in Foren von Onlineportalen wie Slack, Reddit oder Github nachlesen. Die meisten Projekte sind Gemeinschaftsarbeiten, die mit offenem Code ins Netz gestellt werden. Auch ein Blick auf die Liste möglicher Investoren verrät, ob hinter einem ICO-Projekt solide Gründer stecken – oder bloß heiße Luft. Selbst Profis wie Joel Weight sind vorsichtig geworden. Er arbeitet als Technologievorstand beim Risiko-Investor Medici Ventures in den USA. Sein Team investierte schon vor der ICO-Blase in Blockchain-Start-ups. „Wir treffen die Gründer und ihre Entwickler, bevor wir investieren“, sagt Weight.

„So schließen wir aus, dass wir auf bloße Visionen im Konzeptpapier reinfallen.“ Er erwartet, dass die SEC etliche ICOs verbieten wird.

Wo die Blockchain genutzt wird

In Deutschland sind vermutlich nur Token, deren Wert nach dem ICO vom Unternehmenserfolg abhängig ist, gesetzlich wie Wertpapiere zu behandeln, sagt Glatz. Für die gilt das Kleinanlegerschutzgesetz. Anleger, so sie nicht reich und erfahren sind, dürfen dann maximal 1000 Euro investieren.

Am spannendsten sind für Glatz Token, die helfen, Transaktionen zu protokollieren: „Dazu gehören die Kryptowährungen. Sie sind eine ganz neue Anlageklasse.“ Ether, der Token mit dem die Ethereum-Blockchain funktioniert, ist außerhalb des Netzwerks kein Zahlungsmittel. „Die Inhaber der Token halten damit primär das Netzwerk aufrecht“, sagt Glatz. Ethereum sei damit kein klassisches Unternehmen. Folglich wären die Token aus dem ICO keine Wertpapiere – Aufseher hätten nichts zu melden. Bei Piepers digitaler Genossenschaftsbank sollen Mitglieder über ihre Token in reale Werte investieren. Die Münzen gewähren Stimmrechte, mit denen sie den Verwaltungsrat wählen und über Investitionen entscheiden.

So könnten die digitalen Genossen entscheiden, ob sie bei einem Immobilienfonds einsteigen wollen. Laut Pieper gibt es Interesse von Reichen aus Schwellenländern, die ihr Vermögen gegen Politrisiken absichern wollen: „Wir demokratisieren den Zugang zu den Kapitalmärkten.“

Die Münzen der Anleger sollen mit realen Werten verknüpft werden, die dann innerhalb der Kooperative gehandelt, reinvestiert oder in Form von traditioneller Währung ausbezahlt werden. Die Plattform erhält eine Provision, die in ihre Weiterentwicklung fließen soll. Während viele ICOs sich auch an Kleinanleger richten, verlangt Swarm mindestens 50.000 Dollar. US-Bürger müssen mindestens eine Million flüssig haben – Pieper will vermögende Investoren.

Dollar und Euro nützen Anlegern in der Kryptowelt aber nichts. Ihr Investment müssen sie beim ICO meist in Ether, der digitalen Münze von Ethereum, überweisen. Für Großanleger gibt es Broker wie Bitcoin Suisse – Profis, die den Währungstausch organisieren. Bitter nötig: Viele Kryptowährungen werden wenig gehandelt. Wer große Einnahmen nach einem ICO wieder zu Euro, Dollar oder Franken machen will, könnte den Markt fluten und die Kurse drücken. Dieses Risiko sollen Kryptobroker abfedern. Zusätzlich betreuen sie als eine Art Kryptoinvestmentbank die Börsengänge.

Ihr Geschäft dürfte trotz Intervention der Aufsichtsbehörden nicht abreißen. Nach China komme die große ICO-Nachfrage nun aus Japan und Südkorea, sagt ICO-Experte Glatz. Dort haben die Regulatoren angedeutet, der Kryptoszene eher freien Lauf zu lassen. Zwar ist Glatz überzeugt, dass auch ICO-Start-ups künftig Wertpapierprospekte veröffentlichen werden und sich an den Regeln der Finanzmärkte orientieren: „Aber solange sie weiter Geld einsammeln können, ohne dass jemand ihr Geschäftsmodell überprüft, werden sie eben das machen.“

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