Geldanlage global
Die EZB muss neue Möglichkeiten der Geldpolitik ausloten Quelle: dpa

Notenbankpolitik kurz vor der Wirkungslosigkeit

Mark Haefele Quelle: PR
Mark Haefele Global Chief Investment Officer, UBS Global Wealth Management Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Die Notenbanken waren im letzten Jahrzehnt gezwungen, die Möglichkeiten der Geldpolitik mehr als auszureizen, um das Wachstum zu unterstützen. Nun stößt dieser Prozess an seine Grenzen: Zeit, über neue Wege nachzudenken.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Mark Haefele ist Global Chief Investment Officer der UBS.

Präsident Mario Draghi wurde kürzlich gefragt, ob die Verteilung von „Helikoptergeld“ – eine Idee von Milton Friedman, bei der Bargeld vom Himmel regnet, um das Wachstum zu unterstützen – für ihn eine Option sei. Die Antwort des Präsidenten lautete: „Es ist höchste Zeit, dass die Fiskalpolitik Verantwortung übernimmt.“

Ein Teil der Anerkennung für „fast alles, was man in Europa sieht, die Schaffung von mehr als elf Millionen Arbeitsplätzen in kurzer Zeit, den Aufschwung, das nachhaltige Wachstum für mehrere Quartale“ gebührt zu Recht dem EZB-Präsidenten. Doch genauso wie den übrigen Notenbanken auf der ganzen Welt geht auch der EZB die Munition aus, um zukünftige Konjunkturabkühlungen zu bekämpfen. Die Zinsen sind nahezu weltweit bereits niedrig oder negativ. Selbst der Möglichkeit, die Märkte auf eine längere Zeit mit niedrigen Zinsen einzustimmen, könnten Grenzen gesetzt sein; der Markt rechnet bereits damit, dass das Niedrigzinsumfeld in der Eurozone rund 15 Jahre und in der Schweiz fast 30 Jahre anhalten wird.

Nach der Zinssenkung im September auf zwei Prozent verfügt einzig die US-Notenbank noch über erheblichen Zinssenkungsspielraum. Aber auch hier dürfte die Wirkung der Zinssenkung durch die Besorgnis über den Handelskonflikt zwischen den USA und China ausgebremst werden. Viele Unternehmen halten sich trotz attraktiver Kreditzinsen mit Investitionen zurück, bis mehr Klarheit bezüglich der Handelsunsicherheit herrscht.

Zudem könnten sich weitere Stimulierungsmaßnahmen sogar als schädlich erweisen. Im Finanzsektor beispielsweise könnte der Rückgang der Nettozinserträge schwerer ins Gewicht fallen als der positive Höherbewertungseffekt der niedrigeren Zinsen auf die festverzinslichen Vermögenswerte der Banken. Im zweiten Quartal dieses Jahres sanken die Nettozinserträge der Banken der Eurozone gegenüber dem Vorquartal um ein Prozent und gegenüber dem Vorjahr um zwei Prozent. Und insgesamt liegt der Nettozinsertrag der Banken um 39 Prozent unter dem Niveau von vor der Finanzkrise 2007, obwohl das Kreditvolumen in diesem Zeitraum um 15 Prozent gestiegen ist.

Zudem könnten Negativzinsen einige Bevölkerungsgruppen dazu bewegen, tatsächlich weniger statt mehr auszugeben. Rentner oder Menschen, die kurz vor dem Ruhestand stehen, könnten aufgrund der niedrigen Zinsen ihre Ausgaben senken. Dieses Thema ist besonders relevant auf einem Kontinent, dessen Bevölkerungspyramide sich bei der Marke der 50- bis 54-Jährigen ausbuchtet.

Wenn die Notenbankpolitik kurz vor der Wirkungslosigkeit steht, können wir dann von den Regierungen erwarten, dass sie die Fiskalpolitik in einem Abschwung verstärken? Die Anzeichen sind nicht vielversprechend. Die USA haben ihr Pulver mit den Steuersenkungen 2017 bereits verschossen. Das Defizit beträgt trotz einer längeren Phase des Wirtschaftswachstums bereits mehr als vier Prozent des BIP. Japan hat die höchste Schuldenlast aller bedeutenden Volkswirtschaften zu tragen. In Europa befinden sich die meisten Länder nahe genug an den durch den Vertrag von Maastricht vorgegebenen Grenzen für die Kreditaufnahme, um eine deutliche Lockerung der Haushaltspolitik zu ermöglichen.

Deutschland ist eine Ausnahme. Hier ist die Einschränkung indes philosophisches Programm. Minister Olaf Scholz sagte: „Wir sind in der Lage, einer Wirtschaftskrise mit vielen, vielen Milliarden Euro zu begegnen ....“. Solche Maßnahmen würden jedoch nur dann ergriffen, wenn „in Deutschland und Europa tatsächlich eine Krise ausbricht.“ Mit anderen Worten wird die Fiskalpolitik eher reaktiv als proaktiv sein. Gemäß dem Kommentar von Scholz entsprechen die „vielen, vielen Milliarden“ einem Betrag von 50 Milliarden Euro. Dies entspricht nur 1,5 Prozent des deutschen Haushalts, was mit der Beibehaltung der ausgeglichenen Haushaltspolitik übereinstimmt und wahrscheinlich nicht ausreicht, um einer Rezession gezielt entgegenzuwirken.

Wenn also der monetäre Stimulus uns nicht retten kann und der fiskalische Stimulus uns nicht retten wird, was sind dann die Optionen? Erstens, Entspannung im Handelskonflikt. Zweitens, produktivitätssteigernde Reformen. Drittens, Zusammenarbeit in der Fiskal- und Geldpolitik. Das sind jedoch alles große Sprünge. Im Handelsstreit ist zwar ein Abkommen oder eine Entspannung möglich, doch die Rivalität zwischen den USA und China ist tief verwurzelt. Dies könnte zu einer dauerhaften Unsicherheit für die Unternehmen und wenig effizienten Anpassungen der Lieferketten führen. Produktivitätssteigernde Reformen sind für Politiker von Natur aus schwer umzusetzen, da sie zwangsläufig den eigenen Interessen zuwiderlaufen.

Die Durchführung solcher Reformen wird in Zeiten eines verlangsamten Wirtschaftswachstums noch schwieriger. Schließlich bleibt die Zusammenarbeit in der Fiskal- und Geldpolitik. Sie hat ihren Ursprung in der modernen Geldtheorie, bei der es darum geht, dass die Notenbanken zur Finanzierung größerer Haushaltsdefizite Geld drucken. Eine solche Zusammenarbeit ist angesichts des realen oder wahrgenommenen Inflationsrisikos für die einflussreichsten politischen Entscheidungsträger der Welt nach wie vor nicht umsetzbar.

Die monetären und fiskalischen Impulse haben den Finanzmärkten in den zehn Jahren seit der Finanzkrise im Jahr 2008 deutlich Schub verliehen. Die Wirksamkeit der Geldpolitik stößt jedoch nun an ihre Grenzen, und die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Fiskalimpulses ist gering. Die erforderlichen Maßnahmen für einen weiteren Renditeschub sind politisch schwer umsetzbar und daher weniger wahrscheinlich. Das bedeutet letztlich, dass die Anleger mehr Geduld haben müssen, um ihre finanziellen Ziele zu erreichen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%