Das ist ja mal eine Überraschung. Die Berliner Digitalbank N26 zieht sich aus den USA zurück und wirft eine halbe Million Kunden raus. Zwar hatte das Start-up schon vor Tagen durchblicken lassen, dass die Vereinigten Staaten nicht mehr im Fokus stünden. Aber dass die Berliner ihr Geschäft gleich plattmachen?
Der am Donnerstag bekanntgewordene Schritt reiht sich ein in etliche Misserfolge und Pannen in diesem Jahr, 2021 war für die 2013 gegründete Start-up-Bank ein Krisenjahr. Diese Erkenntnis kann nur zu einem einzigen Schluss führen: N26 – das wichtigste deutsche Finanz-Start-up – ist ein überschätztes, überbewertetes Unternehmen.
Würde das N26-Management das auch so sehen? Sicherlich nicht. Schließlich hat N26 doch erst vor wenigen Wochen frisches Geld bei seinen Investoren eingesammelt, hunderte Millionen sollen das Wachstumsfeuer neu schüren. Zudem billigten die Investoren N26 einen höheren Unternehmenswert zu: Er wuchs im Zuge der Finanzierungsrunde auf mehr als neun Milliarden Dollar (acht Milliarden Euro), die Berliner Bank-Butze ist also fast so wertvoll wie die deutlich größere Commerzbank.
Allein: Der Unternehmenswert von N26 ist Ausdruck eines Irrsinns. Die Probleme türmen sich.
Dass sich das Management überhaupt zutraute, in den USA zu reüssieren, war vermessen – erst recht, weil fast alle deutschen Banken vor N26 bereits mit großen US-Plänen gescheitert waren. In den Frankfurter Doppeltürmen der Deutschen Bank können sie mit solchen Geschichten vom Scheitern Bücher füllen. Welcher Amerikaner braucht schon ein deutsches Geldhaus?
Die jahrelange Strategie von N26 war bereits vor dem USA-Exit merklich erlahmt, in immer neue Märkte zu expandieren und so Kunden einzusammeln. Zwar will das Start-up jetzt, wie ebenfalls am Dienstag bekannt wurde, in osteuropäischen Ländern durchstarten. Aber um weiter zu wachsen und die Einnahmen zu steigern, bleibt der Bank vor allem übrig: Sie kann bestehende Kunden für neu eingeführte Produkte neben dem N26-Kernangebot begeistern, dem klassischen Konto. Oder darauf hoffen, dass Kunden anderer Banken zu N26 wechseln – auch wegen der Neu-Produkte.
Das ist mühsam – nicht nur, weil der Wettbewerb unter Banken in Europa beinhart ist. Dort ist N26 jetzt fast ausschließlich aktiv. Hinzu kommt: Die Berliner erfinden kaum neue Angebote, sondern integrieren nur nach und nach Produkte, die andere Geldhäuser längst bieten. Ein Tagesgeldkonto und andere Allerweltsofferten stellen kaum die von N26 ausgerufene Revolution der Bankenbranche dar. Ist das Werben um neue und alte Kunden mit solchen Angeboten nicht eher schon Ausdruck fortgeschrittener Hilflosigkeit?
Noch schwerer als die ermattete Strategie wiegt, dass das Management um Gründer Valentin Stalf den eigentlichen Bankbetrieb nicht in den Griff bekommt. In diesem Jahr haben er und seine Truppen es sogar geschafft, die Deutsche Bank gut aussehen zu lassen: Während die Finanzaufsicht BaFin dem Frankfurter Dax-Konzern bislang nur einen Sonderbeauftragten wegen Mängeln geschickt hatte, entsendete die Behörde vor wenigen Wochen einen zweiten Aufpasser nach Berlin. Die Finanzaufseher hatten diesmal Defizite beim Risikomanagement attestiert, der im Frühjahr losgeschickte erste Sonderbeauftragte soll Mängel bei der Geldwäschebekämpfung abstellen.
Haben die Onlinebanker um Stalf verstanden, dass eine Bank mehr ist als eine App mit einer hübschen, einfach zu bedienenden Benutzeroberfläche, für die sich die Berliner stets rühmen? Dass eine Bank nicht in erster Linie cool sein muss, sondern Vertrauen braucht?
Daran gibt es Zweifel - und die sind riesig. Würde die Deutsche Bank eine solche Problempalette wie N26 aufweisen, der Aktienkurs wäre längst – völlig zu recht – abgestürzt.
Mehr zum Thema: Im WiWo-Podcast erzählte N26-Chef Valentin Stalf im Dezember 2020, wie er die Bank zur Produktplattform weiterentwickelt, warum er keine Angst vor dem britischen Konkurrenten Revolut hat – und welchen Traum er noch verwirklichen will.