
Aus ihren Büros im 49. Stockwerk schauen die Vorstände der Commerzbank weit über das Land, an guten Tagen reicht die Sicht bis zu den rund 40 Kilometer entfernten Höhen des Odenwalds und darüber hinaus. In die Zukunft jedoch schauen die Manager von hier aus nicht. Das tun sie abseits des Turms, in einem Frankfurter Hinterhof. Dort hat die Bank das Start-up Neugelb gegründet, das ihren digitalen Aufbruch vorantreiben soll. Backsteinwände sorgen für das passende Ambiente.
Kürzlich hat sich der gesamte Vorstand hier getroffen, um über die digitale Zukunft des Instituts zu debattieren. Die Gesprächskreise finden regelmäßig statt, seit Martin Zielke im Mai den Chefposten bei Deutschlands zweitgrößter Bank übernommen hat.
Die Manager arbeiten an einer neuen Strategie, sie rechnen Zahlenkolonnen durch, entwerfen Szenarien. Nun sind sie auf der Zielgeraden. „Das Gerüst steht, es geht jetzt darum, das Konstrukt auf seine Plausibilität zu prüfen“, sagt ein Insider.
So soll das neue Filialnetz der Commerzbank aussehen
Die Commerzbank hat aktuell 1.050 Filialen mit 12.000 Mitarbeitern. Langfristig sollen an zentralen Standorten – an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen - 65 bis 100 Flagship-Filialen entstehen, die sich sowohl an Geschäfts- als auch an Privatkunden richten und auch die Vermögensberatung – Stichwort: Wealth Management - übernehmen. Die ersten dieser Filialen wurden in Berlin und Stuttgart getestet. "Das hat im Großen und Ganzen funktioniert", sagte Privatkundenvorstand Michael Mandel. Die nächsten sollen in Bochum, Bremen und Hannover eröffnet werden.
Die klassische Filiale mit einer Kasse sowie den typischen Schalterbeamten und den entsprechenden Beratungsangeboten soll erhalten bleiben.
Zusätzlich soll es reine Beratungsfilialen geben. Geld einzahlen, abheben oder Währungen wechseln geht hier nicht.
In den geplanten Cityfilialen werden Kunden die alltäglichen Bankgeschäfte erledigen können, aber keine Beratung für komplexe Finanzprodukte bekommen. Für eine Baufinanzierung oder Vermögensberatung müssen die Kunden größere Zweigstellen aufsuchen.
Spätestens im Oktober wird Zielke mit dem Plan herausrücken. Er muss vor allem erklären, womit die Bank zukünftig Geld verdienen will. Sie gilt als wenig profitabel, die niedrigen Zinsen setzen sie weiter unter Druck. Zielke wird die meisten Sparten deshalb vermutlich zwingen, verschärft zu sparen. Die Ausnahme dürfte das Privatkundengeschäft sein. In dem Segment, das Zielke vor seinem Wechsel auf den Chefposten selbst geleitet hat, soll die Bank, wie schon in den vergangenen Jahren, weiter kräftig wachsen. Während Konkurrenten wie Deutsche Bank oder Sparkassen reihenweise Filialen schließen, will die Commerzbank gegen den Strom schwimmen und Millionen neuer Kunden gewinnen. In Zeiten negativer Einlagenzinsen ist das ein gewagtes Experiment, das auch intern umstritten ist. Doch Zielke und sein Privatkundenvorstand Michael Mandel wollen den Weg unbeirrt fortsetzen, den sie 2013 eingeschlagen haben. Die Commerzbank, so ihr Plan, soll weiter in die Lücke stoßen, die Schwäche und Rückzug der Konkurrenten reißen.





Dieses Selbstbewusstsein steht im Kontrast zur Bewertung der Bank an der Börse. Dort kostet das Institut nur noch 7,6 Milliarden Euro, das sind gerade einmal 27 Prozent ihres Buchwerts. Würde die Aktie nicht so viel gehandelt, müsste die Commerzbank um ihren Platz im Dax zittern. Selbst als am Mittwoch vage Gerüchte über eine mögliche Übernahme durch die Deutsche Bank aufkamen, stieg der Kurs nicht dramatisch, zumal Deutsche-Bank-Chef John Cryan schnell erklärte, er schaue sich im Moment nicht nach deutschen Partnern um.
Zwar durfte sich Exchef Martin Blessing im April mit einem Milliardengewinn verabschieden, doch das ist Geschichte. Das Ziel, 2016 eine Milliarde Euro zu verdienen, hat Zielke bereits beerdigt, im ersten Halbjahr brach das Nettoergebnis um 42 Prozent gegenüber Vorjahr ein. Beim Stresstest der europäischen Bankenaufseher schnitt das Institut schlechter ab als alle anderen deutschen Banken.