
Am 6. Juni reiste Tidjane Thiam zum Champions-League-Finale nach Berlin. Als Gast im VIP-Bereich von Barcelonas Sponsor Katar hatte er die Chance, mit jenen Männern auf Tuchfühlung zu gehen, die für seine Zukunft beim neuen Arbeitgeber Credit Suisse (CS) entscheidend sind.
Der Staatsfonds von Katar ist mit 21,7 Prozent größter Aktionär der zweitgrößten Schweizer Bank. In den innersten Zirkel schaffte es Thiam jedoch nicht. Auf den Top-Plätzen blieb das Gefolge um Scheich Hamad ben Khalifa Al Thani unter sich. Auch für den Großinvestor mag gelten: Erst mal abwarten, was der Neue bringt.
Seit dem 22. Juni, zehn Tage vor seinem offiziellen Arbeitsbeginn am 1. Juli, ist Thiam in Zürich tätig. Er hat Hoffnungen auf Veränderungen geweckt. Der Kurs der CS-Aktien stieg am 10. März, dem Tag seiner Berufung, um acht Prozent. Auch viele der 45.800 Bankmitarbeiter jubelten. Der 52-jährige Manager steht für Aufbruch, frischen Wind und das Durchbrechen von Konventionen.

Viel Potenzial für Enttäuschungen
Nun muss er die Hoffnungen in die Realität umsetzen. Das Potenzial für Enttäuschungen ist beträchtlich. Sein Job ist eine Herkulesaufgabe – die CS ist in einer schlechteren Lage, als viele glauben. Und von Thiam werden Wunder erwartet. Seit er den Aktienkurs des Versicherers Prudential als Vorstandschef ab 2009 um 230 Prozent in die Höhe getrieben und die Konkurrenz abgehängt hat, gilt er als Manager mit magischen Fähigkeiten. Dass er nie zuvor eine Bank geführt hat, war kein Hindernis.
Geboren wurde Thiam an der Elfenbeinküste. Aufgewachsen ist er in Marokko und Frankreich, wo er lokale Eliteschulen besuchte. Für die Beratung McKinsey war er in Paris und New York, in den Neunzigerjahren zog es ihn zurück in seine Heimat, wo er in Zeiten politischer Wirren als Hoffnungsträger galt. Nach einer kurzen Zeit als Minister für Planung und Erneuerung warf er das Handtuch und kehrte zu McKinsey zurück. 2002 wurde er Chef beim britischen Versicherer Aviva. 2008 ging er als Finanzchef zum größeren Konkurrenten Prudential. Nach nur einem Jahr übernahm er die Gesamtverantwortung.
Sein Start verlief holprig, Pläne zum Kauf des asiatischen Konkurrenten AIA scheiterten am Veto der eigenen Großaktionäre. Doch Thiam baute den Konzern trotzdem aus und legte vor allem in Asien ein beeindruckendes Wachstumstempo vor. Mitarbeiter schildern ihn als motivierenden Chef, als nahbar und unverkrampft.
Bei der CS hat Thiam Schlüsselfiguren der Bank zu Einzelgesprächen getroffen, die Chefs im Investmentbanking hat er in London und New York aufgesucht. Dort musste er Skepsis ausräumen. Viele Investoren und Mitarbeiter erwarten, dass der Neue den Bereich zurückstutzt und aus der CS einen Vermögensverwalter macht. So hat es die UBS bereits getan.