Um ihn ist alles braun, mausbraun, tiefbraun, holzbraun, der Teppichboden, die Sesselpolster, die Wandvertäfelung. Mittendrin in dieser Gerichts-Tristesse sitzt Matthias Graf von Krockow und weiß nicht, wie ihm geschieht. Einst hat er Masse und Macht in einer Person verkörpert, jetzt ist nur noch Masse übrig. Der graue Anzug sitzt schlecht, das Hemd rutscht ihm beim Aufstehen aus der Hose, sein Gang ist schwer. Manchmal nur, für ein paar Momente, ist er fast der Alte, jener Banker, der so gerne flotte Sprüche klopfte. Dann blitzen seine Augen auf, suchen, aber sie finden nichts. Früher haben sich alle um ihn geschart, aber jetzt, da er auf der Anklagebank sitzt, erwidert niemand den Blick. Und in der Pause steht der Graf allein auf dem Flur und wartet, dass sein Prozess weitergeht.
Drinnen, im Saal 210 des Kölner Landgerichts, versucht Richterin Sabine Grobecker seit mehr als zwei Jahren zu klären, wie von Krockow und seine vier Mitangeklagten jene Bank heruntergewirtschaftet haben, die als unzerstörbar galt: Sal. Oppenheim, 1789 gegründet, unbeschadet durch Kriege und Revolutionen gegangen und dann 2009 spektakulär knapp an der Pleite vorbeigeschrammt. Die Deutsche Bank musste die nach eigenem Bekunden damals größte Privatbank Europas retten, auf einmal war diese nicht mehr selbstständig.
Die fatale Beziehung zwischen Karstadt-Quelle und der Sal. Oppenheim
Madeleine Schickedanz erhöht ihren Anteil an Karstadt-Quelle mit einem ersten Kredit von Sal. Oppenheim
Zweiter Millionenkredit an Schickedanz
Sal. Oppenheim gibt Schickedanz über eine Tarngesellschaft in der Schweiz einen weiteren Kredit von 380 Millionen Euro für die Übernahme der Mehrheit an dem Handelskonzern. Einige Gesellschafter und Josef Esch bürgen persönlich
Kursverfall des 2007 in Arcandor umgetauften Handelskonzerns. Das Risikomanagement der Bank fordert weitere Sicherheiten für die Kredite, die Bankführung ignoriert die Warnungen
September: Arcandor steht erstmals vor der Pleite, Sal. Oppenheim steigt als Großaktionär ein und gibt einen Rettungskredit
März Der Ex-Telekom-Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick löst Thomas Middelhoff als Arcandor-Chef ab
Juni Arcandor meldet Insolvenz an
August Die Deutsche Bank und Sal. Oppenheim beginnen Verhandlungen über eine Beteiligung
Oktober Die Deutsche Bank gibt die Komplettübernahme von Sal. Oppenheim bekannt
Dezember Matthias Graf von Krockow tritt als Chef zurück
Jeder kämpft für sich allein
220 Jahre unabhängige Bank- und Familiengeschichte waren ausradiert, das steckt man nicht so einfach weg. Allseitige Abneigung ist im Gerichtssaal, wo der Bankclan sich jetzt regelmäßig trifft, spürbar. Jeder kämpft für sich allein: Ex-Bankchef von Krockow, die anderen früheren Top-Manager Christopher von Oppenheim, Friedrich Carl Janssen und Dieter Pfundt und auch der mit angeklagte Immobilienunternehmer Josef Esch. Die Nerven liegen blank, nicht nur bei ihnen. Das Verfahren hat eine traumatisierende Wirkung auf alle Beteiligten. Angeklagte, Angehörige. Selbst Staatsanwälte und Richterin. Sie alle sehnen schon lange das Ende herbei.
In den kommenden Wochen beginnen die Plädoyers, möglichst noch im Mai will Richterin Grobecker das Urteil verkünden. Sie hat schon erklärt, dass sie die Bankiers für schuldig hält, die Strafen sollen zwischen 20 Monaten und drei Jahren liegen, von Krockow muss wohl am längsten büßen. Wenn er Glück hat, kommt er gerade so mit Bewährung davon, doch die Staatsanwälte wollen ihn im Gefängnis sehen. Im Zweifel gehen sie dafür in Berufung.
Die Geschichte ist eigentlich auch zu groß und zu tragisch, um einfach auszuklingen.
Sal. Oppenheim war ja nicht nur das bevorzugte Geldhaus der Reichen und Mächtigen. Bank und Familie waren seit Jahrhunderten eine Kölner Institution. Sie hatten mitgewirkt beim Bau der ersten Eisenbahn, der Gründung des Zoos, dem Aufbau des Dombauvereins. Sie waren Wohltäter, förderten Kunst und Kultur, aber am wohltätigsten waren sie doch zu sich selbst. Ihr Fall ist der Stoff, aus dem aufwendige TV-Mehrteiler sind. Wo steckt eigentlich Dieter Wedel, wenn er mal gebraucht wird?
Distanz zwischen früheren Kollegen
Der Niedergang ist auch ein Lehrbeispiel dafür, was mit Familiendynastien passiert, wenn ihre Tugenden zu Sünden pervertieren. Dann wird die Nähe so groß, dass es keine wirksamen Kontrollen mehr gibt, dann vermengen sich persönliche Interessen so sehr mit denen des Unternehmens, dass sie diesen schließlich entgegenstehen. Und das Erreichte gilt als so selbstverständlich, dass man es laufen lässt, bis es auf einmal weg ist. Für immer.
Seine eigene Vergangenheit trifft Krockow heute nur noch vor Gericht. Aus der Bank selbst haben die neuen Eigentümer von der Deutschen Bank ihn und seine Kollegen nach der Übernahme schnell vertrieben. Nun sehen sie sich immer mittwochs und donnerstags um Punkt zehn Uhr im Gericht. Krockow hat der Niedergang ebenso sichtbar mitgenommen wie von Oppenheim, Abkömmling der einst dominierenden Eignersippe. Auch die beiden familienfremden Ex-Top-Manager Janssen und Pfundt sind angespannt, sie bemühen sich um Distanz zu ihren früheren Kollegen, denen sie die Hauptschuld zuschieben wollen.
Der gute Ruf ist dahin
Sie hören aufmerksam zu, was all die Gutachter und Zeugen so über sie erzählen. In der Mittagspause sitzen sie auch mal auf Holzklappstühlen draußen in der Sonne, jeder mit seinen Anwälten an einem Tisch für sich. Miteinander reden sie kaum. Um sie herum liegt eine Wüstenei aus Behördenbeton, sie essen ein Würstchen vom „Snack-Mac“, und neben ihnen rauchen die Sacharbeiter des benachbarten Arbeitsamts.
Der Abstieg lässt jene, die ihn miterlebt haben, immer noch nicht kalt. Sie waren ja keine schlechten Chefs, keine bösen Menschen, sie haben ihre Angestellten gut behandelt und bestens bezahlt. Man hatte einen Ruf: dass man sich nicht dem Diktat der Quartalsberichte unterwerfe, sondern in Generationen denke.
Aufstieg und Niedergang von Sal. Oppenheim
Der 17-jährige Salomon Oppenheim gründet in Bonn ein Kommissions- und Wechselhaus.
Oppenheim verlegt den Sitz des Unternehmens nach Köln.
Die erste Krise: Nach Fehlinvestitionen in der Elektroindustrie wird die Bank in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Die Disconto-Gesellschaft, damals die zweitgrößte deutsche Bank, steigt bei Oppenheim ein.
Die Gründungsgesellschafter sind wieder Alleineigentümer.
Die Bankiers müssen auf Druck der Nationalsozialisten das Institut umfirmieren in Pferdemenges & Co. Robert Pferdemenges war seit 1931 Teilhaber und entpuppte sich als Retter in der Not.
Das Bankhaus erhält seinen ursprünglichen Namen zurück.
Der Ururenkel des Gründers, Alfred Baron von Oppenheim, wird persönlich haftender Gesellschafter. Er baut die Vermögensverwaltung als zweite Säule neben dem Firmenkundengeschäft aus.
Die Oppenheim-Esch-Holding wird gegründet.
Der Bereich Firmenkredite wird zum Großteil aufgegeben.
Sal. Oppenheim steigt mit der Übernahme der BHF-Bank zur größten unabhängigen Privatbank Europas auf.
Sal. Oppenheim wird durch Kredite an die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz Großaktionär bei Arcandor. Die Pleite von Arcandor reißt Oppenheim in die Krise. Zudem fallen im Investment-Banking Verluste an.
Matthias Graf von Krockow und Carl Janssen schließen den Einstieg eines externen Investors aus. Doch dann wird das Institut an die Deutsche Bank verkauft. Der Deal ist 2010 besiegelt. Die Tradition von 220 Jahren als eigenständiges Geldhaus sind vorbei.
Dass man den Kunden Anlagen bot, die sonst nirgendwo zu bekommen waren. „Wir empfehlen nichts, worin wir nicht auch selbst investieren“, warb Krockow und freute sich, wenn seine Kunden nicht nur von seinen Angeboten, sondern auch von den livrierten Etagenboten und den Urahnen in Öl an den Wänden des Kölner Stammhauses beeindruckt waren.
Die Ölbilder sind abgehängt, statt 4500 Mitarbeiter arbeiten heute knapp 500 für die Bank, die Mutter Deutsche Bank taxiert den Wert der Marke Oppenheim noch auf läppische 27 Millionen Euro, und der Ruf ist auch dahin. Was Gier und unterschätzte Risiken, zu viel Nähe, Druck, Erwartungen – das ganze Buddenbrooks-Zeug eben – halt so anrichten.
Gesellschafter für Führung wenig geeignet
Zwei Drittel der Bank gehörten zwei Familienstämmen, den Oppenheims und den Ullmanns. Die entsandten je einen der Ihren als persönlich haftenden Gesellschafter in die Geschäftsführung, um ihr Erbe zu hegen und zu mehren. Ob diese Familienvertreter dafür geeignet waren, prüften sie nicht allzu genau, schauten vielleicht auch weg. „In anderen Unternehmen wären beide nie so weit nach oben gekommen“, sagt ein früherer ranghoher Oppenheim-Banker.
Das gilt für den Grafen von Krockow, einen Abkömmling alten pommerschen Adels, dessen Familie nach ihrer Flucht am Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend mittellos war, der sich dann bei anderen Banken mühsam hocharbeitete und schließlich die gestrenge Bankerbin Ilona von Ullmann ehelichte. Er ist ein netter Kerl, eine bis zum Niedergang unverdrossene Frohnatur, aber der Großbanker, den er gerne darstellen wollte, den auch seine Frau so gern ihn ihm sah, war er nicht. Er habe Entscheidungen auf unzureichender Grundlage getroffen und Bedenken von Mitarbeitern ignoriert, gab der Graf im Prozess zu.
Das gilt noch mehr für Christopher von Oppenheim, die tragischste Figur dieser Tragödie. Er sieht auch mit fast 50 Jahren noch aus wie ein Junge, der sich den Anzug übergezogen hat, um Erwachsensein zu spielen. Aufgewachsen ist er mit der Familiengeschichte, Stunde um Stunde hat er im Archiv der Bank verbracht. Er wäre wohl gerne Historiker geworden, aber da war sein 2005 verstorbener Vater Alfred vor.
Die Last der Jahrhunderte
Sein Sohn, bis zum Untergang Chefbetreuer der vermögenden Kunden, hat im Verfahren einen Einblick gewährt in die Dynamiken, die in dieser Familie wirkten. Da hat er erzählt, wie ihn der Großvater bei seiner Konfirmation zur Seite nahm und ihm eröffnete, dass er „irgendwann in der Bank tätig sein und die Familientradition fortsetzen werde“. Eine privilegierte Geburt ist eben oft mehr Last als Gnade, vor allem, wenn diese Last Jahrhunderte wiegt.
Christopher hat in Jahrhunderten gelebt und gedacht. Er habe die Bank bis zur 250-Jahr-Feier im Jahr 2039 prägen wollen, hat er gesagt. Mit der Gegenwart hatte er es nicht so, sie ist ja auch anstrengend mit all den Zahlenkolonnen und Risikoberichten. Einen Blackberry hatte er nicht, E-Mails blieben oft tagelang ungelesen. „Er weiß, dass er etwas falsch gemacht hat“, sagt ein Vertrauter, „aber er weiß nicht genau, was.“
Einstieg bei Karstadt war ein Fehler
Er und die anderen haben verdammt viel falsch gemacht, meinen jedenfalls die Staatsanwälte. Der Prozess konzentriert sich derzeit auf zwei Fehler aus dem Jahr 2008: eine zweifelhafte Immobilientransaktion in Frankfurt und den ebenso zweifelhaften Einstieg beim später in Arcandor umbenannten Karstadt-Konzern, den ihre damaligen Stammkunden Madeleine Schickedanz und Thomas Middelhoff regierten.
Gegen das adlige Bankdoppel laufen aber noch rund 20 weitere Ermittlungsverfahren, heißt es in Justizkreisen. Weitere Anklagen sind möglich.
Die fünf Angeklagten im Sal. Oppenheim-Prozess
... ist mit den Oppenheims verschwägert und war seit 1998 der Sprecher der vier persönlich haftenden Gesellschafter - und somit eine Art Vorstandschef. Kurz vor der Übernahme von Sal. Oppenheim durch die Deutsche Bank schied er 2009 aus. Seinem Anwalt zufolge übernimmt er im unternehmerischen Sinne die Verantwortung für seine Entscheidungen, sieht aber keine strafrechtliche Relevanz. Durch die Beinahe-Pleite habe auch er selbst den Großteil seines eigenen Vermögens verloren.
... war ebenfalls persönlich haftender Gesellschafter. Der frühere Wirtschaftsprüfer kam 2002 zu Sal. Oppenheim, war ab 2004 für das Risikomanagement verantwortlich. Vier Jahre später wurde er vorübergehend Aufsichtsratschef beim später pleitegegangenen Karstadt-Mutterkonzern Arcandor. Im Strafprozess hat er sich als einen erst spät Hinzugekommenen „ohne Führungsanspruch“ dargestellt. Im Nachhinein werte er seinen Wechsel zu Sal. Oppenheim als „Fehler“.
... war Chef des Investmentbankings. In den Krisenjahren machte das Investmentgeschäft Riesenverluste. Auch er hat im Strafverfahren seine Rolle als eher klein dargestellt.
... war der Namensträger im früheren Topmanagement, er ist Ururururenkel des Bankengründers. CvO war zuständig für das exklusive Privatkunden-Geschäft. Er wollte das Geldhaus in Krisenzeiten radikal verkleinern, um die Unabhängigkeit zu wahren. Das dafür nötige Kapital fehlte aber. Janssen und Pfundt sagten im Strafprozess aus, die eigentliche Macht habe bei CvO und dem Grafen gelegen. Doch von Oppenheim selbst sah sich nach eigener Aussage zunehmend von Entscheidungsprozessen abgeschnitten.
... ist ein Immobilienunternehmer aus Troisdorf bei Bonn. Zusammen mit der Bank legte der gelernte Maurerpolier Dutzende Fonds auf. Im Prozess präsentierte er sich als Außenstehender, der in die inneren Bankvorgänge nicht einbezogen gewesen sei. Dagegen schilderten ihn Zeugen wie der frühere Arcandor-Chef Thomas Middelhoff und die Großaktionärin Madeleine Schickedanz als zentralen Entscheidungsträger.
Die Banker sollen ein Gebäude in Köln zu teuer gekauft und für den Bauauftrag der neuen Zentrale in Luxemburg zu viel gezahlt haben. Angeblich statteten sie den von ihnen 2009 an der Arcandor-Spitze abgelösten Middelhoff mit einem viel zu üppigen Beratervertrag aus und dessen Nachfolger Karl-Gerhard Eick mit einer zu hohen Antrittsprämie. Außerdem sollen sie die ihnen damals gehörende BHF-Bank gedrängt haben, ihnen mit einem Notkredit aus der Patsche zu helfen. Fragwürdig sind zudem Kredite, die sie günstig und in großem Stil bei ihrer eigenen Bank aufnahmen. Es geht da immer um Untreue zulasten des ihnen anvertrauten Instituts.
Schwerreiche Kunden fühlen sich betrogen
Auch rund zehn Kunden, die die Bank einst mit Jagdgesellschaften und Poloturnieren umschmeichelte, haben ihre einstigen Vermögensverwalter angezeigt. Es sind die richtig Reichen, nur sie durften in die rund 70 Immobilienfonds einzahlen, die Sal. Oppenheim mit dem Bauunternehmer Esch aufgelegt hatte. Die Beteiligungen versprachen hohe Renditen, und da sie die Anleger mit Krediten finanzierten, konnten sie noch Steuern sparen. Etliche Fonds laufen schlecht, die Kunden fühlen sich betrogen.
Rund ein Dutzend Kunden wollen deshalb Geld zurück, auf maximal 1,1 Milliarden Euro beziffert die Deutsche Bank die Forderungen in ihrem Geschäftsbericht. Ob die Kläger damit durchdringen, ist offen, die Gerichte haben unterschiedlich entschieden.
Mit den Fonds wuchs Eschs Einfluss
Esch, immer wieder Esch, der Name ist aufs Innigste mit dem Niedergang der Bank verbunden. Die Beziehung zu dem gelernten Maurer begann noch zu der Zeit, als Alfred von Oppenheim und der frühere Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl in der Bank das Sagen hatten. Sie legten gemeinsam einen ersten Fonds auf, einen zweiten und dann immer mehr. Mit dem wachsenden Fondsgeschäft wuchs auch der Einfluss Eschs im Bankhaus. Vor allem mit von Krockow war er aufs Allerengste verbunden, die beiden waren Freunde fürs Leben und noch mehr: Schon 1993 erteilte der Banker dem Bauunternehmer eine Generalvollmacht, die sogar über seinen Tod hinaus gelten sollte.
Dieser Esch sitzt vor Gericht jetzt in der hintersten Bank, stabil und stramm, er nimmt immer mal wieder einen kräftigen Schluck Cola Light, die man ihm nicht ansieht, der Anzug spannt, eine tiefe Nackenfalte teilt den kahlen Schädel. Ihm haben sie alle vertraut, die Milliardäre und auch der alte Adel, neben von Krockow stellten sein Schwager Georg Baron von Ullmann und dessen Mutter Karin dem ehemaligen Polier umfassende Vollmachten aus.
Sal. Oppenheim hing zu sehr von Arcandor ab
Und ausgerechnet er wird Saal 210 nun mit der geringsten Strafe verlassen. Sechs Millionen Euro zahlt er, dafür stellen die Staatsanwälte das Verfahren ein.
Dabei sind beide Transaktionen, die jetzt in Köln verhandelt werden, ohne Esch undenkbar. Bei der ersten geht es um ein Gebäude in Frankfurt, in das die Investmentbanker von Sal. Oppenheim einziehen sollten. Für dessen Kauf und seinen aufwendigen Umbau gründeten Esch und einige Familienangehörige eine Gesellschaft, genehmigten sich Millionenkredite von ihrer eigenen Bank und verkauften es dieser wenige Monate später Ende 2008 für 123 Millionen Euro. Das war viel zu teuer, meinen die Staatsanwälte.
Die Geschichte von Sal. Oppenheim
Salomon Oppenheim gründet in Bonn eine Bank
Umzug nach Köln
Mit der Finanzierung von Eisenbahnen und dem Einstieg ins Versicherungsgeschäft steigt die Bank auf
Auf Druck der Nazis Umbenennung in Pferdmenges & Co. (bis 1947)
Alfred von Oppenheim (gest. 2005) wird Chef und baut die Betreuung reicher Privatkunden auf
Verkauf der Anteile an der Colonia Versicherung, Beginn der Zusammenarbeit mit Josef Esch
Ex-Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl führt Sal. Oppenheim.
Matthias Graf von Krockow folgt ihm.
Mit dem Kauf der BHF Bank wird Sal. Oppenheim zur größten Privatbank Europas. Esch-Projekte wie der Neubau der Kölner Messe geraten in die Kritik.
Die Bank macht erstmals Verlust
Durch die Pleite des Handelskonzerns Arcandor, mit dem die Bank über Kredite und Aktienbeteiligung eng verbunden ist, gerät Sal. Oppenheim in eine existenzbedrohende Krise
Die Deutsche Bank übernimmt Sal. Oppenheim komplett.
Zahlreiche Prozesse von Anlegern wegen Verlusten bei Oppenheim-Esch-Fonds. Die Staatsanwaltschaft Köln erhebt Anklage gegen die Ex-Bankführung und Josef Esch, Prozessbeginn wohl Anfang 2013
Beim zweiten geht es um jenes dramatische Wochenende des 26. bis 28. September 2008, als Arcandor erstmals vor der Pleite stand. Für Sal. Oppenheim wäre das ein Desaster gewesen. Die Bank hatte ihrer Kundin Schickedanz hohe Kredite gewährt, die ausschließlich mit Arcandor-Aktien besichert waren. Rund 150 Kunden hatten zudem in Esch-Fonds investiert, deren Wohl allein von den Mietzahlungen des Handelskonzerns abhing.
"Ich sah keinen Anlass für Zweifel"
Und auch die Banker selbst hätte die Pleite übel getroffen, denn sie hatten persönlich für die Kredite gebürgt, mit denen Schickedanz 2005 ihren Anteil an Arcandor aufstockte. Also stieg die Bank über eine Kapitalerhöhung als Großaktionär bei dem trudelnden Konzern ein und gewährte ihm zusätzlich noch einen Millionenkredit. Das geschah, ohne die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ausreichend zu prüfen, so der Vorwurf der Ankläger.
Von Krockow und von Oppenheim haben Verfehlungen eingeräumt. Aber ihre früheren Kollegen in der Geschäftsführung, die nicht aus der Familie stammten, wehren sich nach Kräften. Manches ist durchaus nachvollziehbar. Doch Richterin Grobecker wirkt, als würde sie die Detailarbeit nur noch nerven.
Je mehr man eintaucht in diese Welt, desto mehr fragt man sich, warum keiner etwas gemerkt hat, warum so viele Beteiligte nichts sehen wollten oder konnten. „Ich hatte keinen Zugang zu Esch, ich sah keinen Anlass für Zweifel, ich habe mich nicht eingemischt“, sagte der für das Risikomanagement zuständige Ex-Top-Manager Janssen gleich zu Beginn des Prozesses.
Und dann tritt vor Gericht eine Figur wie Henri Pferdmenges auf, und man weiß, wie es so weit kommen konnte.
Sein Großvater Robert war von 1929 bis 1953 Teilhaber der Bank. Während der Nazizeit lieh er dem Bankhaus seinen Namen. Die Oppenheims waren schon Mitte des 19. Jahrhunderts zum Christentum konvertiert, ihr Name klang jedoch weiterhin jüdisch. Enkel Henri hat einen Anteil geerbt, die Kölner Wurzeln jedoch schon lange gekappt. Vier Mal im Jahr flog er aus dem Ausland zu den Sitzungen der Kontrollorgane ein, um nach dem Rechten zu sehen.
Kritik ziemte sich nicht
Oder auch nicht. „Ich habe am wenigsten gefragt, mein Deutsch ist nicht sehr gut“, sagt er. Zwei Gremien wachten über das Treiben der persönlich haftenden Gesellschafter: der Aktionärsausschuss und der Aufsichtsrat. Wie die sich unterschieden, weiß Pferdmenges nicht mehr so genau. Vor den Sitzungen bekam er dicke Mappen zugeschickt mit Unterlagen zur Verfassung der Bank, viele Papiere „klein und eng bedruckt“. Er braucht es nicht zu sagen, man ahnt auch so, dass er da nicht allzu genau reingeschaut hat.
Warum sollte er dem Führungspersonal auch misstrauen? „Die traten sehr professionell auf und wirkten gut vorbereitet“, sagt Pferdmenges, der mit von Krockow und von Oppenheim „seit Jugendtagen eng befreundet“ ist. Sie bildeten die „Bankfamilie“, trafen sich jedes Jahr zum Weihnachtsessen. Als der aufmüpfige Nicolaus von Oppenheim, der das kommende Unheil wenigstens ahnte, bei einer Sitzung ausfallend wurde, wies man ihn zurecht und tilgte die „emotionalen Passagen“ aus dem Sitzungsprotokoll. Kritik ziemte sich nicht. So einfach ist das. Warum sollten sie auch fragen, solange die Millionen flossen, mit denen sie es krachen lassen konnten?
Der wirtschaftliche Abstieg geht weiter
Das fing bei Christophers Mutter Jeane an, die sich beim Umbau einer von ihr genutzten Kölner Villa auf das Nötigste beschränken wollte und dabei eine Rechnung von mehr als acht Millionen Euro produzierte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Georg Baron von Ullmann legte sich neben dem Reitsport eine nach ihm benannte Zigarrenmarke zu. Und gemeinsam mit einigen Kunden jetteten Familienmitglieder mit dem Privatflieger zu Feiern nach Ibiza. Da wirken die noblen Oppenheims dann gar nicht mehr so nobel, sondern wie die bloß etwas stilvollere Variante ihrer Nachfolger als berühmteste Kölner Millionäre – der trashigen TV-Familie Geiss.
Der Familienfrieden ist durch den Niedergang brüchig, aber man rauft sich zusammen. In zwei Gremien, Pool und Konsortium, stimmen die einstigen Eigentümer ihre Interessen ab.
Kürzlich haben sie sogar einen bescheidenen Erfolg erzielt. Die Deutsche Bank zahlt nach Informationen der WirtschaftsWoche aufgrund einer bei der Übernahme getroffenen Vereinbarung einen Nachschlag auf den Kaufpreis für die Bank. Ein zweistelliger Millionenbetrag fließt in die Taschen der Sippe. Allerdings nicht in alle: Die Ullmanns und von Oppenheims haben zugunsten der anderen früheren Teilhaber auf ihren Anteil verzichtet, so vermeiden sie, dass diese sie auf Schadensersatz verklagen.
Der wirtschaftliche Abstieg hängt dennoch weiterhin über dem großzügigen Anwesen mit der Backsteinfassade im Kölner Stadtteil Marienburg. Und auch über dem Gestüt Schlenderhan, dessen Stallungen so manch edles Ross entsprungen ist.
"Ihre Nachkommen werden mal richtig arbeiten müssen"
Noch hält die Familie an vielen Insignien einstiger Größe fest. Christopher von Oppenheim hat die 42-Meter-Yacht Passepartout verkauft und auch ein Haus am Tegernsee. Das Geld liegt auf einem Sperrkonto und wartet auf seine Gläubiger. Ansprüche gibt es reichlich. Die Bürgschaften für den Schickedanz-Kredit sind fällig, dazu kommen Nachforderungen aus schlecht laufenden Immobilienfonds. Mehr als 500 Millionen Euro hatten sich die vier Banker zudem von ihrem eigenen Institut geliehen, auch die müssen sie zurückzahlen. Das hässliche Wort Vollstreckung macht in Köln die Runde.
Dabei ist Christopher noch ganz gut dran. Er hat seine finanziellen Verhältnisse in guten Tagen mittels Heirat diversifiziert. Seine Gattin stammt aus der Familie Mittelsten Scheid, die es mit Vorwerk-Staubsaugern zu einem Milliardenvermögen brachte.
Für das Paar von Krockow-Ullmann sieht es düsterer aus. Außer ihren Beteiligungen an der Bank und Esch-Fonds haben sie nur wenig angehäuft. Ein paar Immobilien sind da, aber die Forderungen gegen sie sind gewaltig. Das ist nicht gleichbedeutend mit der Privatinsolvenz, aber: „Ihre Nachkommen werden mal richtig arbeiten müssen“, sagt ein Verfahrensbeteiligter.
Auf die Milde der Deutschen Bank können sie kaum zählen, sie wird sich weigern, ihnen ein Schonvermögen von ein paar Millionen Euro zu lassen. Wie sollte sie auch angesichts all dieser lästigen Vorschriften zu Regulierung, Compliance, Controlling, die das Bankerleben heute so unerfreulich machen? Das ist nicht mehr die Welt der Oppenheims, in der die Millionen locker saßen, Kunden Kumpel waren und der Schein mehr als das Sein das Bewusstsein bestimmte.
Ihre Zeit ist vorbei, sie kommt nie wieder. Aber zu Ende, das ist ihre Geschichte noch lange nicht.