WirtschaftsWoche: Immer mehr Steuertricks von Banken kommen ans Licht, zuletzt bei der Commerzbank. Bei ihr ist der Staat seit der Finanzkrise Großaktionär. Erfordert das besondere Konsequenzen?
Schick: Die Politik hat der Commerzbank nach der Rettung aus der Finanzkrise so viele Freiheiten gelassen wie möglich. Das war bequem für die jeweiligen Regierungen, weil sie keine Verantwortung übernehmen mussten. Aber es war ein Fehler, weil die Führung um CEO Martin Blessing und Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller scheinbar nicht in der Lage war, für saubere Verhältnisse zu sorgen. Sollte sich bewahrheiten, dass die Commerzbank unter dem aktuellen Vorstand an Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche beteiligt war, wäre die Führungsriege nicht länger tragbar.
Zur Person
Gerhard Schick ist Bundestagsabgeordneter und seit 2007 finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der promovierte Finanzwissenschaftler ist Mitglied im Finanzmarktgremium zur Kontrolle der staatlichen Rettungsmilliarden für Krisenbanken wie die Commerzbank.
Sie sind Grünen-Politiker und gehören nicht der Bundesregierung an, sitzen aber als Bundestagsabgeordneter im Gremium zur Überwachung der staatlichen Bankenbeteiligungen, unter anderem an der Commerzbank. Was können Sie in diesem Fall tun?
Die Verantwortung liegt bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er muss über die staatlichen Vertreter im Aufsichtsrat für Ordnung bei der Commerzbank sorgen. Im Finanzmarktgremium werde ich den aktuellen Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung zur Sprache bringen und Fragen nach den bankinternen Kontrollmechanismen stellen. Es kann nicht sein, dass immer erst dann angefangen wird, aufzuräumen, wenn der Staatsanwalt vorbeikommt.
Sind die derzeit untersuchten Steuerfälle vielleicht nur Altlasten, die Blessing und Müller von ihren Vorgängern geerbt haben?
Beide sind schon so lange in führenden Positionen bei der Bank, dass es sich bei den jüngst aufgeflogenen Fällen aus ihrer Perspektive wohl kaum um Altlasten handeln kann. Der derzeitige Aufsichtsratsvorsitzende Klaus-Peter Müller war unmittelbarer Vorgänger von Martin Blessing, der 2008 auf den Chefsessel nachgerückt ist. Müller ist sogar schon 1990 in den Vorstand eingetreten, gehört also fast seit einem Vierteljahrhundert zur obersten Führung der Commerzbank.
Kann es sein, dass die mutmaßlichen Beihilfen zur Steuerhinterziehung ohne Wissen der obersten Chefs passiert sind? Bei der Deutschen Bank etwa konnte die Finanzaufsicht trotz langjähriger Untersuchungen keine Verwicklung aktueller Vorstandsmitglieder in illegale Zinsmanipulationen feststellen.
Vorstände wissen scheinbar nie etwas. Wenn sie wirklich nicht über derart gravierende Rechtsverstöße im eigenen Haus - wie Steuertricks oder Zinsmanipulationen - Bescheid wissen, muss man sich fragen, wozu Bankvorstände überhaupt da sind. Zu oft läuft es so, dass die Führungsriege sich auf Unwissen herausredet, während die in mutmaßliche Straftaten involvierten Mitarbeiter beteuern, nur auf Anweisung von oben gehandelt zu haben. So lässt sich nie ein Verantwortlicher finden.
Kann man das ändern?
Dafür bräuchten wir ein Strafrecht für Unternehmen - nicht nur für Banken. Diese müssten dann Strafen zahlen oder könnten mit anderen Sanktionen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Gesetze gebrochen haben. Außerdem sollten Unternehmen ähnlich wie Medien Mitarbeiter festlegen, die bei bestimmten Geschäften strafrechtlich verantwortlich sind. Dann läuft die Schuldfrage nicht immer ins Leere.
Steuertricks, Schwarzgeld, Zinsmanipulation
Steuertricks, Schwarzgeld oder Zinsmanipulation sind nur einige Beispiele. Haben Sie als finanzpolitischer Sprecher Ihrer Partei eine Erklärung dafür, warum Banken auf so breiter Front in illegale Aktionen verwickelt sind?
Was Großbanken vom Kaliber einer Deutschen Bank oder einer Commerzbank betrifft, komme ich immer mehr zu dem Schluss, dass die Geschäftsmodelle ohne Illegalität nicht funktionieren würden, weil in allen international tätigen Großbanken massive Rechtsverstöße zu beobachten sind. Denken Sie an die Schweizer Banken UBS, Credit Suisse oder HSBC.
Klingt wie eine Entschuldigung.
Ist aber keine.
Kann die Politik gegensteuern?
Es gibt Möglichkeiten, Licht ins Dunkel des Finanzsektors zu bringen. Wir bräuchten zum Beispiel neue gesetzliche Schutzmechanismen für Whistleblower, also Insider, die Missstände und Rechtsverstöße aus ihren Unternehmen und Behörden an die Öffentlichkeit bringen. Gerade in Steueroasen sind solche Leute oft der Strafverfolgung ausgesetzt, weil Geheimnisverrat dort besonders streng verfolgt wird. Ein Kündigungsschutz für Whistleblower wäre ein Anfang.
Datenkäufe durch die Finanzverwaltung sind umstritten, weil die Daten auf illegalem Weg erlangt werden. Sind Sie trotzdem dafür?
Ja, denn es ist eine der wie gesagt eine von wenigen Möglichkeiten, Licht ins Dunkel zu bringen. Anders kommen wir dem Problem der Straftaten im Finanzsektor nicht bei. Wir müssen für gleiche Augenhöhe zwischen Behörden sowie tatsächlichen und potenziellen Finanzstraftätern sorgen. Ich habe den Eindruck, dass staatliche Institutionen nicht auf Augenhöhe mit dem mächtigen Finanzsektor sind. In Deutschland etwa ist die Steuerverwaltung in zahlreiche Länderbehörden zersplittert. Wir bräuchten mehr Kompetenz auf zentraler Ebene. Zudem sollten die Bankenaufseher das Recht erhalten, stärker als Ermittler tätig zu werden und Unterlagen in verdächtigen Unternehmen zu beschlagnahmen. Bisher sind sie dabei auf die Staatsanwaltschaften angewiesen, denen aber oft spezielles Wirtschafts- und Finanzwissen fehlt.
Mehr staatliche Kompetenz als Heilmittel? Der Staat ist doch kein besserer Banker.
Das ist ein anderes Thema als der Kampf gegen Straftaten, der selbstverständlich nur von staatlichen Institutionen geführt werden kann. Wenn man sich anschaut, dass viele Landesbanken in die berüchtigten Cum-ex-Geschäfte verstrickt waren, bei denen die Finanzämter gezielt mit Aktiendeals vor und nach den Dividendenstichtagen ausgenommen wurden, muss man sich fragen, ob staatliche Banken überhaupt noch eine Berechtigung haben. Es muss viel stärker als bisher sichergestellt werden, dass öffentliche Unternehmen wirklich dem Gemeinwohl dienen.