Noch nie hat ein Kommunalpolitiker gewagt, den Jahresabschluss seiner Sparkasse anzufechten. Doch in Düsseldorf ist genau das vor einem Jahr geschehen. Oberbürgermeister Thomas Geisel streitet seither mit Sparkassenchef Arndt Hallmann um die Ausschüttung des Gewinns aus dem Jahr 2014, der Fall landete beim NRW-Finanzministerium, das die Rechtsaufsicht über die Sparkassen des Bundeslands führt.
Bei einem letzten Gipfeltreffen mit den Streitparteien heute hat die Rechtsaufsicht ihre Entscheidung mitgeteilt. Sie gibt laut Verhandlungsteilnehmern der Stadt Düsseldorf Recht. Es sei unzulässig gewesen, dass die Sparkasse nahezu den gesamten Gewinn in einen Sonderposten gesteckt habe, ohne dem Verwaltungsrat ein Mitbestimmungsrecht zu geben.
Die Beamten haben sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Beobachter vermuten, dass die Politik Stadt und Sparkasse zu einer einvernehmlichen Lösung bewegen wollte, damit es nicht zum großen Knall kommt. Auch haben sie nicht darüber geurteilt, wie hoch die Ausschüttung sein muss, sondern wie über sie zu beschließen ist.
Sparkasse in Zeiten von Minizins und Digitalisierung
Immer mehr Kunden wickeln immer mehr Bankgeschäfte digital ab: Vom heimischen Computer aus, mit der App auf dem Smartphone, online per Videoberatung. Flächendeckende Filialnetze, wie sie Sparkassen und Volksbanken unterhalten, werden zum Kostenfaktor. „Der Kunde geht nicht mehr in die Geschäftsstelle“, konstatierte vor einigen Wochen der bayerische Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Inzwischen komme ein Kunde im Schnitt nur einmal pro Jahr in eine Filiale, nehme aber 108 Mal jährlich online Kontakt auf. Bundesweit leisten sich die aktuell 409 Sparkassen laut nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 14 451 (Vorjahr: knapp 14 900) Filialen – inklusive Selbstbedienungspunkten. Der Verband rechnet mit einer weiteren Ausdünnung des engmaschigen Netzes. Die Sparkassen in Bayern beispielsweise haben bereits angekündigt, in diesem Jahr bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen zu schließen.
Ganz aufgeben wollen die Institute ihre Präsenz in der Fläche nicht. „Wir werden die Filialen am Ende immer unter zwei Überschriften prüfen: Der Kunde erwartet noch mehr Beratung, Beratungs-Know-how. Die reine Abwicklung gehört immer stärker der Vergangenheit an“, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon im März. „Wir sehen einen klaren Trend unsere Filialen in Sachen Beratung noch stärker aufzuladen und zugleich den digitalen Kanal auszubauen.“
Sparkassen verdienten lange gut daran, für Kredite mehr Geld zu kassieren als sie ihren Kunden an Zinsen fürs Sparen zahlten. Doch die Differenz aus den beiden Positionen, der Zinsüberschuss, wird tendenziell kleiner, weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf Null gesenkt hat. Sorge bereitet vielen Instituten zudem, dass immer mehr Kunden Gelder kurzfristig parken - während bei Krediten möglichst lange Laufzeiten gefragt sind. Steigen die Zinsen wieder, könnten Kunden ihre Einlagen rasch abziehen.
In der gesamten Branche wird an der Gebührenschraube gedreht. „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei“, sagte Fahrenschon im März. „Wir werden Leistungen bepreisen müssen - und zwar verursachergerecht.“ Auch die genossenschaftlichen Sparda-Banken stimmten auf Preissteigerungen „auf breiter Front“ ein - etwa Gebühren für Überweisungen in Papierform oder die Girocard. Die Noch-Deutsche-Bank-Tochter Postbank arbeitet derzeit an einem neuen Preismodell. Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, ob das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht sagen. Die Commerzbank will ab 1. Juni von Kunden des bislang kostenlosen Girokontos, die Papierbelege einreichen, eine Gebühr von 1,50 Euro pro Überweisung verlangen.
Noch scheut sich die Branche davor, die Parkgebühr, die ihnen die EZB aufgebrummt hat, an Privatkunden weiterzureichen. Sparkassen-Präsident Fahrenschon mag nicht einmal den Begriff „Strafzins“ in den Mund nehmen. Der ehemalige bayerische Finanzminister betont: „Entscheidend ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um diesen verheerenden Effekt der Niedrigzinspolitik nicht beim privaten Sparer ankommen zu lassen.“ Auch die Volks- und Raiffeisen zeigen sich bislang eisern: „Wir werden versuchen, das Thema Negativzinsen unseren Privatkunden nicht zuzumuten“, sagt der Präsident des Dachverbandes BVR, Uwe Fröhlich.
Die Sparkasse Oberhausen - ein mittelgroßes Institut - schreckte Mitte März mit der Ankündigung auf, sie schließe Strafzinsen für reiche Privatkunden nicht mehr grundsätzlich aus. Betroffen wären aber nur Kunden, die Geldbeträge im siebenstelligen Bereich anlegen wollen, erklärte ein Sprecher. Denkbar seien in solchen Fällen künftig Verträge, die Strafzinsen erlaubten. Der Sprecher betonte: „Da wird kein privater Sparkunde in absehbarer Zeit betroffen.“ Bereits im Herbst 2014 hatte die Deutsche Skatbank in Thüringen für Aufsehen gesorgt, weil sie EZB-Strafzinsen an ihre Kunden weitergibt - allerdings bis heute nur dann, wenn die Einlagen eines Kunden bei dem genossenschaftlichen Institut drei Millionen Euro überschreiten.
Ein Trost: Völlig freie Hand haben die Institute beim Thema Gebühren nicht - gerade in einem so umkämpften Markt wie Deutschland. „Wer zu stark an der Gebührenschraube dreht, wird angesichts des starken Wettbewerbs allerdings Kunden verlieren“, erklärt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen junge FinTechs, die online auf Kundenfang gehen. Die niedrigen Zinsen haben auf der anderen Seite auch Vorteile für Verbraucher: Kredite, etwa für die Baufinanzierung oder den Autokauf, sind aktuell extrem günstig zu haben.
Die Entscheidung zu Gunsten der Stadt Düsseldorf könnte einen Erdrutsch in Deutschland auslösen, wenn andere Kommunen dem Beispiel folgen und mehr Mitsprache bei der Gewinnverwendung ihrer Sparkasse fordern.
Wer hat Mitsprache?
Denn der Streit dreht sich nicht nur um mehr Geld für die Düsseldorfer Rathauskasse, sondern auch um eine prinzipielle Frage: Darf der Vorstand einer Sparkasse vorbei an den Trägern hohe Reserven bilden, ohne die kommunalen Vertreter im Verwaltungsrat mitreden zu lassen? Diese Frage stellt sich in allen mehr als 400 deutschen Städten, Gemeinden und Kreisen, die Träger einer Sparkasse sind und diese im Sinne ihrer Bürger kontrollieren müssen.
Was genau passiert ist: Die Stadtsparkasse Düsseldorf hatte im Jahr 2014 ein Ergebnis von rund 104 Millionen Euro erzielt und dieses fast vollständig in einen Sonderposten zur Absicherung gegen allgemeine Bankrisiken gesteckt. Übrig blieb ein Überschuss von nur 3,3 Millionen Euro, über dessen Verwendung die Stadt hätte mitbestimmen können.
Dagegen protestierte der Düsseldorfer Oberbürgermeister in seiner Funktion als Vorsitzender des die Sparkasse kontrollierenden Verwaltungsrats. Sparkassenchef Arndt Hallmann hielt jedoch an der Entscheidung fest, wobei er auch andere Mitglieder des Verwaltungsrats auf seiner Seite hatte. Der OB erklärte den Jahresabschluss daher im Juni 2015 für rechtswidrig, entscheiden musste also die zuständige Aufsichtsabteilung im NRW-Finanzministerium.
Die hat nun laut Verhandlungsteilnehmern dem Oberbürgermeister Recht gegeben. Danach ist das Vorgehen der Sparkasse unzulässig, nahezu den gesamten Gewinn in einen Sonderposten zu stecken, ohne dem Verwaltungsrat ein Mitbestimmungsrecht zu geben.
Diplomatische Geste aus NRW
Mit der Entscheidung hat die zuständige Abteilung im Finanzministerium gewartet, bis der große Sparkassentag in Düsseldorf über die Bühne gegangen war. Ausgerechnet an diesem Schauplatz des Ausschüttungsstreits hat der Sparkassenverband Ende April das nur alle drei Jahre stattfindende feierliche Treffen von Funktionären, Vorständen, Mitarbeitern und Auszubildenden aus der ganzen Republik veranstaltet.
Die diplomatische Geste aus NRW, den Sparkassentag mitten in der Landeshauptstadt nicht mit Dissonanzen zu übertönen, war wohlüberlegt. Schließlich gehören der Düsseldorfer OB und NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) derselben Partei an und wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, sie würden den Ausschüttungsstreit zum Politikum aufblasen.
Dass der Konflikt in andern deutschen Gemeinden Widerhall finden wird, kann die Düsseldorfer Diplomatie aber nicht verhindern können. In vielen Kommunen wären höhere Ausschüttungen angesichts vielerorts leerer Stadtkassen hoch willkommen. Gerade Gemeinden, die Flüchtlinge unterbringen, haben Probleme, die Belastungen trotz Unterstützung etwa durch die bundeseigene Förderbank KfW zu schultern.
Wenn Sparkassen wie in Düsseldorf Reserven bilden, statt Gewinne an Städte und Gemeinden auszuschütten, haben sie starke Argumente gegen kommunale Begehrlichkeiten auf ihrer Seite. Denn vor ihnen liegt eine geschäftliche Durststrecke. Der Präsident des Sparkassenverbands DSGV, Georg Fahrenschon, hat daher bereits vor einem Jahr klargestellt, dass er höhere Ausschüttungen nicht für vertretbar hält.
Die Argumente des Sparkassenverbands: Zum einen müssen sich die Sparkassen gegen die Nebenwirkungen des niedrigen Zinsniveaus wappnen und ihr filialbasiertes Geschäft digital aufrüsten. Zusätzlich verlangen ihnen die strengeren Aufsichtsregeln für Bank- und Finanzgeschäfte immer mehr teure Bürokratie ab. Und schließlich leisten auch die Sparkassen ihren Beitrag zur Willkommenskultur für Flüchtlinge, indem sie diesen kostenlose Konten anbieten.
Neben allen Belastungen bieten die Bilanzen vieler Sparkassen aber immer noch genug Potenzial für Ausschüttungen. Während die 400 deutschen Sparkassen jährlich insgesamt etwa zwei Milliarden Euro Gewinn nach Steuern erzielen, haben etwa in Bayern nur fünf von 71 Sparkassen überhaupt Gewinn ausgeschüttet, wie eine Untersuchung des bayerischen Sparkassenkritikers Rainer Gottwald zeigt. Und dabei geht es nicht allen 55 anderen schlecht.
Finanziell stabil
Auch die Düsseldorfer Sparkasse steht finanziell stabil da, hat 2014 sogar eines der höchsten Ergebnisse ihrer Geschichte erwirtschaftet. Für die ab 2019 geltenden Eigenkapitalvorschriften ist das kommunale Kreditinstitut gut vorbereitet. Allein die Kernkapitalquote liegt laut Plan vom November 2015 schon für das laufende Jahr bei mehr als 17 Prozent – verlangt werden künftig 13 Prozent Gesamtkapital einschließlich Pufferzone. Die vorausschauende Reservenbildung spricht für den strategischen Weitblick des Vorstandsteams um Sparkassenchef Hallmann, dennoch ist der generelle Geiz gegenüber der Kommune übertrieben.
Wäre es dem Düsseldorfer Rathaus nur um ein paar Euro mehr für den städtischen Haushalt gegangen, hätte OB Geisel schon bei einem früheren Kompromissangebot der Sparkasse zugreifen können. Diese soll dem Vernehmen nach zwischenzeitlich immerhin fünf Millionen Euro Ausschüttung angeboten haben, um den Streit ohne lauten Knall beizulegen. Die Stadt blieb aber bei ihrer Linie, eine Grundsatzentscheidung über die kommunale Mitbestimmung bei der Verwendung der Geschäftsergebnisse zu erzwingen.
Damit ist sie Vorbild für andere Kommunen, die Schluss machen wollen mit dem Gefälligkeitskartell zwischen Rathäusern und Sparkassen. Nicht nur in Düsseldorf stößt die bisher vorherrschende Nähe zwischen Sparkassenvorständen und kommunalen Verwaltungsräten auf Kritik.
Bürger und Kommunalpolitiker wollen mehr Transparenz und Mitbestimmung erreichen, wofür die Verwaltungsräte ihre Hausaufgaben aber auch besser erledigen müssten als bisher. Mangelnde Finanzkompetenz oder blindes Vertrauen seitens der Stadtoberen macht es dem Verwaltungsrat jedoch oft unmöglich, dem Sparkassenvorstand auf Augenhöhe und mit genug Selbstvertrauen gegenüber zu treten.
So hat der Rechnungshof des Bundeslands Niedersachsen in seinem Kommunalbericht 2015 die Frage aufgeworfen, wie kommunal die Sparkassen wirklich seien. Dabei stellte die Behörde geringe Ausschüttungen an die kommunalen Träger fest. Von 2009 bis 2012 sind von insgesamt 393 Millionen Euro ausschüttungsfähigen Bilanzgewinnen nur knapp 14 Prozent oder 55 Millionen Euro an niedersächsische Kommunen ausgeschüttet worden.
Die Diagnose des Landesrechnungshofs: Nur wenige Gemeinden haben ihre Rolle als Kontrolleur ihrer Sparkasse wirklich ernst genommen und sollten ihre Rechte und Pflichten aus der Sparkassenträgerschaft noch aktiver wahrnehmen. Es wäre also gut, wenn das Beispiel aus Düsseldorf Schule macht – nicht nur beim Thema Gewinnausschüttung.