Nico Bandick hat wohl einen der ungewöhnlichsten Arbeitsplätze, die ein Bankkaufmann in Deutschland haben kann. Der Sparkassenmitarbeiter sitzt in Anzug und Krawatte hinter einem Schalter - in einem Bus. Damit fährt er durch Ortschaften in Brandenburg südlich von Berlin. Dort gibt es keine Bankfilialen. Auch andernorts in Deutschland haben sich Kreditinstitute Konzepte für die Geldversorgung und Bankgeschäfte auf dem Land ausgedacht. Nicht alle funktionieren gleich gut
Der knallrote, gepanzerte Bus fällt in den Dörfern und Orten auf. Hier kennt man sich, in den Vorgärten winken die Bewohner dem 29 Jahre alten Bankkaufmann zu, als er die Straßen entlangfährt. „Es macht Spaß, die Kunden werden nach einer gewissen Zeit offener“, beschreibt Bandick seinen Job. Eine seiner vielen Stationen ist ein zentraler Platz in Fürstlich Drehna. Einmal die Woche hält der Bus dort für mehrere Stunden. Von außen erinnert die rollende Bank an einen Linienbus, hinten ist der Einstieg - das Innenleben sieht so aus: Schalter samt Glasscheibe, Infoflyer in Regalen und der PC-Arbeitsplatz. Nach kurzer Zeit kommen die ersten Kunden
„Tachchen“, ruft ein älterer Herr, stellt sein Fahrrad ab und steigt ein. Er ist wie viele andere Kunden sehr leger gekleidet, man kennt sich eben. „Wie immer“, sagt er zu Bandick und schließt eine Tür hinter sich, die den Schalterbereich von Sitzgelegenheiten im hinteren Teil des Busses trennt. Diskretion gibt es auch hier. Vor allem Ältere kommen und holen Bargeld ab. In dem Bus, den es schon viele Jahre in der Region gibt, können kleinere Geldbeträge abgehoben werden. Für aufwendigere Bankgeschäfte verweist Bandick die Kunden an seine Kollegen in den Geschäftsstellen.
Sparkasse in Zeiten von Minizins und Digitalisierung
Immer mehr Kunden wickeln immer mehr Bankgeschäfte digital ab: Vom heimischen Computer aus, mit der App auf dem Smartphone, online per Videoberatung. Flächendeckende Filialnetze, wie sie Sparkassen und Volksbanken unterhalten, werden zum Kostenfaktor. „Der Kunde geht nicht mehr in die Geschäftsstelle“, konstatierte vor einigen Wochen der bayerische Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Inzwischen komme ein Kunde im Schnitt nur einmal pro Jahr in eine Filiale, nehme aber 108 Mal jährlich online Kontakt auf. Bundesweit leisten sich die aktuell 409 Sparkassen laut nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 14 451 (Vorjahr: knapp 14 900) Filialen – inklusive Selbstbedienungspunkten. Der Verband rechnet mit einer weiteren Ausdünnung des engmaschigen Netzes. Die Sparkassen in Bayern beispielsweise haben bereits angekündigt, in diesem Jahr bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen zu schließen.
Ganz aufgeben wollen die Institute ihre Präsenz in der Fläche nicht. „Wir werden die Filialen am Ende immer unter zwei Überschriften prüfen: Der Kunde erwartet noch mehr Beratung, Beratungs-Know-how. Die reine Abwicklung gehört immer stärker der Vergangenheit an“, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon im März. „Wir sehen einen klaren Trend unsere Filialen in Sachen Beratung noch stärker aufzuladen und zugleich den digitalen Kanal auszubauen.“
Sparkassen verdienten lange gut daran, für Kredite mehr Geld zu kassieren als sie ihren Kunden an Zinsen fürs Sparen zahlten. Doch die Differenz aus den beiden Positionen, der Zinsüberschuss, wird tendenziell kleiner, weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf Null gesenkt hat. Sorge bereitet vielen Instituten zudem, dass immer mehr Kunden Gelder kurzfristig parken - während bei Krediten möglichst lange Laufzeiten gefragt sind. Steigen die Zinsen wieder, könnten Kunden ihre Einlagen rasch abziehen.
In der gesamten Branche wird an der Gebührenschraube gedreht. „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei“, sagte Fahrenschon im März. „Wir werden Leistungen bepreisen müssen - und zwar verursachergerecht.“ Auch die genossenschaftlichen Sparda-Banken stimmten auf Preissteigerungen „auf breiter Front“ ein - etwa Gebühren für Überweisungen in Papierform oder die Girocard. Die Noch-Deutsche-Bank-Tochter Postbank arbeitet derzeit an einem neuen Preismodell. Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, ob das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht sagen. Die Commerzbank will ab 1. Juni von Kunden des bislang kostenlosen Girokontos, die Papierbelege einreichen, eine Gebühr von 1,50 Euro pro Überweisung verlangen.
Noch scheut sich die Branche davor, die Parkgebühr, die ihnen die EZB aufgebrummt hat, an Privatkunden weiterzureichen. Sparkassen-Präsident Fahrenschon mag nicht einmal den Begriff „Strafzins“ in den Mund nehmen. Der ehemalige bayerische Finanzminister betont: „Entscheidend ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um diesen verheerenden Effekt der Niedrigzinspolitik nicht beim privaten Sparer ankommen zu lassen.“ Auch die Volks- und Raiffeisen zeigen sich bislang eisern: „Wir werden versuchen, das Thema Negativzinsen unseren Privatkunden nicht zuzumuten“, sagt der Präsident des Dachverbandes BVR, Uwe Fröhlich.
Die Sparkasse Oberhausen - ein mittelgroßes Institut - schreckte Mitte März mit der Ankündigung auf, sie schließe Strafzinsen für reiche Privatkunden nicht mehr grundsätzlich aus. Betroffen wären aber nur Kunden, die Geldbeträge im siebenstelligen Bereich anlegen wollen, erklärte ein Sprecher. Denkbar seien in solchen Fällen künftig Verträge, die Strafzinsen erlaubten. Der Sprecher betonte: „Da wird kein privater Sparkunde in absehbarer Zeit betroffen.“ Bereits im Herbst 2014 hatte die Deutsche Skatbank in Thüringen für Aufsehen gesorgt, weil sie EZB-Strafzinsen an ihre Kunden weitergibt - allerdings bis heute nur dann, wenn die Einlagen eines Kunden bei dem genossenschaftlichen Institut drei Millionen Euro überschreiten.
Ein Trost: Völlig freie Hand haben die Institute beim Thema Gebühren nicht - gerade in einem so umkämpften Markt wie Deutschland. „Wer zu stark an der Gebührenschraube dreht, wird angesichts des starken Wettbewerbs allerdings Kunden verlieren“, erklärt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen junge FinTechs, die online auf Kundenfang gehen. Die niedrigen Zinsen haben auf der anderen Seite auch Vorteile für Verbraucher: Kredite, etwa für die Baufinanzierung oder den Autokauf, sind aktuell extrem günstig zu haben.
„Wenn der Bus nicht wäre, hätten wir ein richtiges Problem“, sagt eine Frau. Die nächste Filiale ihrer Sparkasse sei mehr als 20 Kilometer entfernt. „Früher hatten wir hier alles: Fleischer, Bäcker und eine Bank - das ist alles weg.“ Eine jüngere Frau steckt Überweisungsträger in einen Briefkastenschlitz im Bus. „Die Internetleitung in meiner Wohnung ist zu schlecht für Online-Überweisungen, ich müsste den Laptop aus dem Fenster halten“, erklärt sie.
Die Mittelbrandenburgische Sparkasse, die zwei solcher Busse betreibt, spricht von einem Kompromiss. Man wolle einerseits die Kunden flächendeckend versorgen, andererseits müsse man auf den demografischen Wandel und das veränderte Kundenverhalten mit Online-Banking reagieren. „Wir können nicht in jedem Ort mit einer Geschäftsstelle sein“, sagt Sprecher Robert Heiduck.
Die Zahl der Bankfilialen sinkt seit Jahren
Zwar gibt es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch ein vergleichsweise dichtes Netz an Banken, doch seit Jahren sinkt sowohl die Zahl der Kreditinstitute als auch die der Bankfilialen. Nach jüngsten Angaben der Deutschen Bundesbank gab es zum Jahresende 2016 bundesweit 1888 Institute und damit 72 weniger als Ende 2015. Bei den Zweigstellen ging auf den gesamten Markt bezogen die Zahl um 2019 Filialen auf 32 026 zurück. Die rückläufige Entwicklung habe sich beschleunigt. Die Bundesbank führt als Gründe den hohen Wettbewerbsdruck und das aktuelle Niedrigzinsumfeld an.
Bei den Kreditgenossenschaften unterschritt deren Zahl mit 972 Ende 2016 erstmals die 1000-Marke, wie der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) vor einiger Zeit mitteilte. Das größte Filialnetz in Deutschland haben laut Bundesbank die Sparkassen.
Nach Einschätzung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands werden tendenziell „in erster Linie Kleinstfilialen mit bis zu zehn Mitarbeitern geschlossen.“ Auf dem Lande sind die Banken deshalb auf der Suche nach Lösungen für ihre Kunden, wo Filialen seltener frequentiert werden als in Großstädten.
Die VR Bank Südpfalz in Rheinland-Pfalz zum Beispiel betreibt in einigen Orten wie Lustadt und Neupotz zwar weiterhin Zweigstellen, führte dort aber eine Serviceberatung per Videoschaltung für Kunden ein. Die Mitarbeiter können so mehrere Filialen gleichzeitig betreuen. Die Bank will nach eigenen Angaben das Konzept erweitern, einige Standorte sollen hinzukommen.
In Bayern können Kunden bei einigen Sparkassen einen Bargeld-Bringservice nutzen, der nach Hause kommt. Die Nachfrage sei allerdings nicht allzu groß, heißt es vom Sparkassenverband Bayern. Im sächsischen Ort Zabeltitz gibt es eine andere Idee: Man teilt sich ein Geschäftsgebäude. Neben der Bank gibt es dort zum Beispiel auch einen Friseur und einen Paketdienst. Das Konzept werde gut angenommen, teilt die Sparkasse Meißen mit.
Zurück in Brandenburg. Mit seinem Bus hatte Nico Bandick bislang nur einmal eine Panne, wie er erläutert. Die Haltestationen sei er danach aber trotzdem noch abgefahren. Allerdings schauen einige Kunden schon auf die Uhr, wenn er sich mal etwas verspätet, wie er schmunzelnd sagt. „Manche rufen dann in den Bankfilialen an und fragen, wo ich bleibe.“