Die Panik verbreitete sich über WhatsApp-Gruppen: Investoren hätten empfohlen, die Gelder bei der Silicon Valley Bank abzuziehen, schrieben dort deutsche Gründer. Andere rieten zum Gegenteil. Bloß nicht abziehen, sonst gibt es einen Banken-Run. Die „sehr gut vernetzten kleinen Gruppen von Risikokapitalgebern und Start-up-Gründern“ könnten „über WhatsApp innerhalb von Stunden Milliarden bewegen“, sagt ein deutscher Start-up-Gründer.
Genau das ist passiert: Nachdem Ende vergangener Woche bekannt wurde, dass die beliebteste Start-up-Bank, die kalifornische Silicon Valley Bank (SVB), pleite ist, versuchten Gründer und VCs ihre Gelder so schnell wie möglich abzuziehen. Auch einige deutsche Start-ups hatten Geschäftsbeziehungen mit der SVB – die meisten von ihnen parkten ihre Einlagen bei der britischen Tochter. Der Grund dafür, neben der Gründerfreundlichkeit, sind vor allem die Negativzinsen, die deutsche Gründer bei deutschen Banken zahlen mussten. „Außerdem ist sowieso jeder zweite bei der SVB, da macht man sich auch nicht weiter Gedanken über irgendwelche Risiken“, erzählt ein Berliner Gründer, der anonym bleiben will. Der Gründer erzählt von einem Telefonat mit der SVB UK am Freitagmittag. „Die haben uns versichert, dass bei ihnen alles gut ist, dass sie montags ganz normal öffnen würden.“
Auch Jan Oberhauser war zum Ende der Woche erst noch entspannt: „Wir haben die Info bekommen, dass die Krise bei der amerikanischen SVB keine Auswirkungen auf die SVB UK haben sollte“, erzählt der Gründer der Berliner Software-Start-ups N8N, das Automatisierungstools für Workflows entwickelt. Und: „Selbst, wenn wir gewollt hätten, hätten wir unser Guthaben nicht abziehen können.“ Denn das hatte N8N dort so angelegt, dass das Start-up immer nur nach einer bestimmten Zeitperiode an die Teile kam, „wir hatten keine Flexibilität“.
Als dann Freitag gegen Mitternacht die Nachricht kam, dass auch die britische Einheit der SVB von der Pleite betroffen ist, lag Oberhauser schon im Bett – im Gegensatz zu seinen Kollegen, anderen Gründern und Investoren, hatte er immerhin eine ruhige Nacht.
Samstagmorgens dann Treffen des Führungsteams. Schon auf dem Weg ins Büro habe er mit seinen Investoren gesprochen, erzählt Oberhauser. Diskussionen über Zwischenfinanzierungen über diverse Anbieter. Schnell war klar: Im schlimmsten Fall wären nur 20 Prozent der Gelder weg. „Davon wäre unsere Firma nicht untergehen, aber es wäre viel Geld weg gewesen. Das ist als Start-up sehr schmerzhaft.“
Der anonyme Berliner Gründer blockte über das Wochenende erst einmal alle Kreditkarten, alle Aufträge, bei denen Geld rausgehen würde. „Wir wollten nicht in die Gefahr kommen, dass unser Cash rasant ausgeht“, sagt er. Sondern lieber mit den Lieferanten sprechen können und sich auf spätere Zahlungen einigen.
Wie Oberhauser und dem Berliner Gründer geht es einigen Start-ups in Deutschland. Zwar legen die ihre Gelder immer noch mit Vorliebe bei traditionellen Banken an. Einige waren aber auch Kunden bei der SVB. Die wohl prominentesten Start-up-Kunden der SVB in Deutschland sind etwa der Kochbox-Lieferant HelloFresh und das Münchner Lufttaxi-Start-up Lilium. Auch das Reise-Start-up Getyourguide und das Fintech Recap waren Kunden. Einige der deutschen SVB-Kunden bezogen Kreditlinien beim deutschen Ableger der SVB, die meisten von ihnen hatten ihre Einlagen bei der britischen Tochter geparkt.
Der Kollaps der Silicon Valley Bank
Das bereits in den 1980er-Jahren gegründete Geldhaus ist auf Hightech-Unternehmen und Start-ups spezialisiert und finanziert diese. Passend dazu logiert das Institut im kalifornischen Santa Clara; die Stadt ist das Zentrum des Silicon Valleys, das als Mekka der US-amerikanischen Start-up-Szene gilt. Parallel zum Aufstieg vieler junger Techfirmen ist auch die Silicon Valley Bank immer bedeutsamer geworden. Inzwischen zählt sie in den Vereinigten Staaten zu den 20 größten Geldhäusern. Die Bank ist zudem in immer mehr Länder expandiert, 2018 eröffnete das Institut etwa eine Dependance in Frankfurt. Deshalb könnten auch einige deutsche Start-ups zu den Kunden gehören.
Das Geldhaus braucht überraschend frisches Geld von seinen Investoren, um seine Reserven zu stärken. Der Schritt ist notwendig, um Verluste von knapp zwei Milliarden US-Dollar auszugleichen, die das Institut beim Verkauf von Anleihen erlitten hat.
Offenbar war die Bank gezwungen, die Anleihen zu veräußern. Genau vor einer solchen Situation fürchten sich Finanzaufseher seit Jahren, weil Notverkäufe Investoren verunsichern, Bankkunden in Panik versetzen und ein Institut blitzartig in Schieflage bringen können – so wie jetzt bei der Silicon Valley Bank.
Aus einer solchen Situation kann auch rasch eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem erwachsen, weil Investoren und Kunden plötzlich anzweifeln, wie stabil andere Banken sind. Und diese Sorge haben Investoren inzwischen tatsächlich, anderenfalls würden sie nicht auch die Aktien anderer Geldhäuser verkaufen. Sie haben etwa die Papiere der US-Institute JP Morgan und Bank of America sowie die europäischer Häuser wie der Credit Suisse losgeschlagen.
Offenbar haben die Kunden die Bank zu den Notverkäufen gezwungen. Die Krise des Geldhauses ist deshalb ein Symptom für die Probleme vieler Start-ups. Anscheinend brauchen Start-ups und Hightechfirmen zurzeit besonders viel Geld. Anders als in den vergangenen Jahren ist dieses nun aber schwer zu bekommen. So kommt es wegen des Ukrainekrieges und der unsicheren Weltlage kaum noch zu Börsengängen, über die sich Start-ups Kapital besorgen könnten. Zudem geben ihnen Investoren seltener frisches Geld – oder verlangen dafür höhere Zinsen, weil die Notenbanken wie die US-amerikanische Fed die Leitzinsen angehoben haben.
Die Folge der Geldknappheit: Die jungen Firmen haben ihre Einlagen aufgezehrt, die sie bei der Silicon Valley Bank geparkt haben – mit der Konsequenz, dass die Bank Anleihen verkaufen musste. Denn Geldhäuser wie die Silicon Valley Bank investieren einen Teil der Kundeneinlagen in Anleihen, um damit Geld zu verdienen.
Das Problem: Zurzeit sind solche Notverkäufe nur mit Verlusten möglich. Denn die Zinserhöhungen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und anderer Zentralbanken haben zu fallenden Anleihekursen geführt. Schließlich können Investoren bei diesen Papieren nur die niedrigen Zinsen einstreichen, die bis zu den Zinserhöhungen der Notenbanken üblich waren.
Jein. Einerseits sind die Probleme der Silicon Valley Bank einzigartig, hängen diese doch mit ihrer besonderen Rolle als Start-up-Finanzierer zusammen. „Das Risiko eines solchen Geschäftsmodells ist sehr hoch“, sagt Experte Brühl. Denn viele der jungen Firmen verdienen noch kein Geld und geraten deshalb eher als etablierte Unternehmen in Probleme, wenn Geldquellen versiegen. „Die meisten anderen Banken finanzieren deshalb keine Start-ups“, sagt Brühl.
Andererseits erinnern die Probleme der Silicon Valley Bank daran, dass die stark gestiegenen Zinsen nicht nur positiv für Geldhäuser sind. Offenbar hat diese eigentlich triviale Erkenntnis etliche Investoren überrascht: Sie haben in den vergangenen Monaten massenhaft Bankaktien gekauft, weil steigende Zinsen mittel- und langfristig zu höheren Einnahmen bei Banken führen. Allerdings hatten sie kurzfristig auftretende Probleme in ihrem Kaufrausch außer Acht gelassen – und wollen sich nun umso rascher von Bankaktien trennen.
Hinzu kommt: Die Probleme der Silicon Valley Bank könnten ein Indikator für eine schlechter werdende US-Wirtschaftslage sein, die sämtliche Banken träfe. Schwierigkeiten im Start-up-Sektor könnten die amerikanische Konjunktur belasten, was zu mehr Pleiten auch in anderen Branchen führen könnte.
Nein, bisher nicht. Aber auch in Deutschland leiden Geldhäuser, vor allem die Sparkassen und die Volks- und Raiffeisenbanken, unter der Zinswende und den gefallenen Anleihekursen. Auch sie haben einen Teil ihrer Einlagen in Anleihen investiert und mussten deshalb bereits Milliarden Euro abschreiben. Viele Institute konnten die Abschreibungen jedoch ausgleichen, weil sie über üppige Reserven verfügten. Vor allem Sparkassenmanager geben sich deshalb demonstrativ gelassen. Noch.
Aus langem Albtraum erwacht
Katharina Riederer zum Beispiel. Ihr Start-up Eco.Mio will Unternehmen dabei helfen, weniger CO2 zu verursachen. „Ich habe sehr viel zu erzählen, ich habe das ganze Wochenende damit verbracht, mir Gedanken über die SVB zu machen“, beginnt sie das Gespräch mit unserer Redaktion am Telefon. Ihr Start-up habe einen Großteil des Geldes bei der SVB UK liegen, nach den Nachrichten Freitagnacht „haben wir entsprechend erst mal das Schlimmste erwartet“. Die Teile der Gelder, die flüssig waren, habe sie abgezogen. „Aber Teile waren eben auch nicht flüssig, die konnten wir nicht abziehen.“
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Von ihrem Ansprechpartner der SVB erfuhr sie übers Wochenende nicht mehr als das, was sie in der Presse las. „Aber es war ja gut zu hören, dass da noch jemand ist“, sagt sie. Samstags trommelte sie ihre Mitgründer zusammen. „Unsere allergrößte Priorität war die Frage, wie wir es schaffen, unsere Mitarbeitenden zu halten“, sagt sie. Montagmorgens informierte sie ihr Team über die Lage – und sei erleichtert gewesen, nicht mit Tränen konfrontiert zu werden.
Kurz zuvor kam die Meldung, dass die britische HSBC die SVB UK übernimmt. „Da mussten wir uns aber erst mal weiter informieren – auch wenn wir direkt aufgeatmet haben“, sagt Riederer. „Über den Tag hinweg hat es sich so angefühlt, als würde ich langsam aus einem sehr langen Albtraum erwachen.“
Start-ups in der Krise
Wer dieser Tage mit deutschen Start-ups spricht, die von der Krise bei der SVB betroffen sind, hört vor allem Erleichterung darüber, dass ihre Gelder durch die Übernahme der HSBC sicher scheinen. In Schockstarre verbrachten sie das Wochenende, tüftelten über Notfallplänen, informierten sich darüber, wann sie Insolvenz würden anmelden müssen. Sie sorgten sich, schwitzten, ließen dann, als sie nicht mehr mehr tun konnten, einfach los. Im schlimmsten Fall, so erzählen es Gründer aber nur unter der Hand, hätten einige vielleicht ein, zwei Monate überleben können. Dann wäre Schluss gewesen.
„Die Situation hat Start-ups fremdverschuldet in die Gefahr einer existenziellen finanziellen Schieflage gebracht“, urteilt der Deutsche Start-up-Verband. „Im Ursprung ist das keine Krise des Start-up-Ökosystems, es handelt sich um Refinanzierungsprobleme einer Bank.“
Doch in der Start-up-Szene kriselt es seit dem letzten Jahr sowieso schon gewaltig: Der Krieg in der Ukraine, hohe Energiepreise, die Zinswende. Seit Anfang letzten Jahres halten Investoren ihre Gelder zusammen, bewerten Start-ups deutlich geringer als noch in der Boom-Zeit davor, stellen höhere Ansprüche: Es zählt Profitabilität statt Wachstumschancen. Viele Start-ups mussten Mitarbeiter entlassen.
Und nun auch noch der Schock über die Pleite der SVB – die für Start-ups zwar glimpflich ausgeht. „Man hat als Start-up einfach so viele Probleme, da macht man sich über die Auswahl der Bank kaum Gedanken“, sagt Oberhauser. Immerhin hätten bei der SVB auch andere Gründer ihr Geld liegen, genauso wie die Risikokapitalgeber – „denen erschien das ja auch nicht als großes Problem, über das man sich Gedanken macht“. Am Wochenende dann habe er sich aber schon gefragt „ob ich da nicht ein bisschen fahrlässig war“, kommentiert Oberhauser.
Katharina Riederer hat sich noch nicht entschieden, ob sie ihr Geld bei der SVB komplett abziehen wird oder bleibt. Auf andere Banken ist sie schon zugegangen, ihr Geld will sie breiter verteilen. „Start-ups müssen aus der Krise lernen, sich zu diversifizieren“, schlussfolgert sie. Für den Berliner Gründer, der anonym bleiben will, ist die Lehre einfach: Sein Geld will er in Zukunft komplett – und nicht nur in Teilen – bei der Sparkasse parken.
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