Tauchsieder
Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen – wer denkt da nicht an den dunklen, hohen EZB-Turm in Frankfurt? Doch der Mensch als Schöpfer einer neuen Geldglaubensordnung? Wenn das nicht frevelhaft ist! Quelle: Evelyn Dragan für WirtschaftsWoche

Die Finanzkrise ist zurück

Die Kapriolen in Italien verunsichern die Märkte. Die Aktie der Deutschen Bank bricht ein. Die EZB ist ohnmächtig. Keine Panik? Von wegen. Unser Kredit-Geld-System ist an der Wurzel krank – und wird nicht überleben.

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Die Angst ist zurück. Sie trägt noch keine Züge der Panik, weiß Gott nicht, aber sie schleicht sich langsam heran und beginnt, das Vertrauen in die Stabilität des Währungssystems zu zersetzen, das Vertrauen der Menschen in den Wert ihres Geldes – und auf dieses Vertrauen kommt alles an. Die politischen Kapriolen in Italien verunsichern die Märkte. Die Aktie der Deutschen Bank, traditionell gut und gern engagiert im Schuldgeschäft, bricht dramatisch ein, weit unter die Zehn-Euro-Marke. Und die Geld-Feuerwehr in Frankfurt, die Europäische Zentralbank (EZB) des Mario Draghi, die in diesen Tagen 20 Jahre alt wird, steht ohne Wasser, Schaum und Pumpen da, nach zehn Jahren im Dauereinsatz für systemrelevante Banken und sieche Staaten. 

Die Notenbank hat unter anderem mit der großzügigen Distribution von Billiggeld, genauer mit dem Ankauf von billionenschweren Staatsanleihen, so lange dafür gesorgt, dass klamme Staaten für klamme Banken geradestehen können, damit klamme Banken für klamme Staaten geradestehen können, dass ihre Kraft für das Löschen eines großen Brandherds nicht mehr reichen wird.

Er werde alles tun, um die Gemeinschaftswährung zu schützen, sagte Draghi vor sechs Jahren, und beendete damit die Spekulation gegen den Euro. Doch was, wenn die Märkte ein solcher Satz diesmal nicht beeindrucken würde? 

Nicht primär von Italien wird die nächste Geld-Krise ausgehen, dafür dürfte das Land, bei allen Schulden, über zu viel ökonomische Substanz verfügen. Sondern von der EZB selbst, die grenzenlos mächtig und ohnmächtig zugleich ist. Grenzenlos mächtig, weil sich die Politik eine selbst verantwortete Lösung der Krisen – Schuldenschnitt, Euro-Austritt, Gläubigerhaftung, Tilgungsfonds – nicht zugetraut und das Kollegium der Währungshüter statt dessen zu einer Geldnotstandsregierung aufgewertet hat.

Und grenzenlos ohnmächtig, weil sie sich mit der indirekten Übernahme finanz-, sozial- und industriepolitischer Aufgaben zum Erfüllungsgehilfen einer reformresistenten Politik abgewertet hat. Die einst unabhängige EZB ist damit längst zum Gravitationszentrum eines finanzmarktliberalen Staatsschuldenkapitalismus geworden, um einem hoffnungslos ineinander verwickelten, privat-öffentlichen Staat-Banken-Komplex von sich wechselseitig stützenden Gläubigern und Schuldnern den Ruin zu ersparen - notfalls auf Kosten der Steuerzahler. 

Die EZB hat ihre Bilanzsumme auf mehr als 4500 Milliarden Euro ausgeweitet. Der Wert der von ihr gekauften Anleihen beläuft sich auf etwas mehr als 2500 Milliarden Euro. Und die Geschäftsbanken stehen bei ihr aktuell mit 759 Milliarden Euro in der Kreide – so weit die Zahlen. Was sie in Worten bedeuten, ist die zunehmend heikle, ungewisse Verzögerung eines Doppelbankrotts: einer nachfrageorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits – und einer politisch infizierten Geldpolitik andererseits. Denn die Wahrheit ist: Die Regierungen haben ihre Staatshaushalte seit den Siebzigerjahren mit einem Impulsmix aus sozialdemokratischen Ausgabenprogrammen und bastardliberalen Steuersenkungen systematisch zugrunde gerichtet – im Einklang mit systemkonformen Notenbanken, die mit zinskeynesianischen Mitteln eine schuldenfinanzierte Wachstums- und Wohlstandsillusion aufrechterhalten, die nicht nur jeglicher realwirtschaftlichen Grundlage entbehrt, sondern in deren Folge auch die Vermögenspreise vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind: zugunsten der Superreichen. 

Übrigens hat besonders die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank Fed dabei im schlechtesten Sinne stilbildend gewirkt. Jahrzehntelang hat sie im Parallelschwung mit dem politischen Washington die Amerikaner ermuntert, kostenlose Immobilienkredite aufzunehmen und Wetten auf steigende Häuserpreise abzuschließen, um der Regierung die Kosten des Sozialstaates zu ersparen.

Jahrzehntelang hat sie, im Vertrauen auf die alchimistischen Kräfte der Wall Street ihre Bürger über endemische Industrie-, Handelsbilanz- und Haushaltsdefizite hinweggetäuscht und damit systematisch in die Verschuldungsfalle getrieben. Wenn die Schweizer sich angesichts dieser Befunde am 10. Juni in einer Volksabstimmung dafür entschieden, eine politisiertes „Vollgeld“ in Umlauf zu bringen, dessen Wert zwar gedeckt sein würde, aber von einem Staat, der allein das Vollgeld für seine Zwecke vermehrend bewirtschaften könnte, so wäre das nicht die Lösung des Problems, sondern ziemlich sicher ein Beitrag zu seiner Zuspitzung.

Warum aber ist unser Kredit-Geld-System an der Wurzel krank? Warum hat es – letztlich – keine Überlebenschance? Um das zu verstehen, reicht ein Blick in die Geschichte. Zurück in die Zeit, bevor der „Goldstandard“ als Garant von Geld-Wert-Stabilität abgeschafft wurde (1973). Zurück in die Entstehungszeit des finanzmarktliberalen Staatsschuldenkapitalismus – zurück in die Zeit der Erfindung des staatlich besicherten Papiergeldes, in die Zeit von Goethes „Faust“:

Am 26. Februar 1797 wird die Bank of England per Kabinettsorder und Parlamentsbeschluss von der Verpflichtung befreit, Banknoten in Münzgeld zu wechseln und damit eine Deckung des umlaufenden Papiergelds zu garantieren. Es ist ein Schock. Die Geldreserven der Bank sind nach dem Krieg zwischen England und Frankreich erschöpft; einem Barvermögen von 1,27 Millionen Pfund steht ein Notenumlauf von 8,64 Millionen Pfund gegenüber – die Bank ist zahlungsunfähig. Statt jedoch Konkurs anzumelden, weil sie die (potenziellen) Forderungen ihrer Gläubiger nicht mehr (alle zugleich) bedienen kann, ruft die Bank kurzerhand eine bank-restriction aus, ein Konversionsverbot für Banknoten. Und siehe da: In den nächsten Tagen und Wochen zeigt sich, dass der pure Glaube an das neue Schein-Geld Berge versetzen kann.

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